Digitalpaten für Senioren„Wir steigen ganz niedrig ein: Können Sie ein Smartphone einschalten?“

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Eine Seniorin hält ihr Smartphone in den Händen.

Wissen Sie, wie man ein Smartphone einschaltet? Bei den Digitalpaten sollen auch komplette Internet-Anfänger mitgenommen werden.

Erwin Knebel hat ein Ziel: Seniorinnen und Senioren ins Internet zu bringen.

Herr Knebel, Sie engagieren sich dafür, dass Seniorinnen und Senioren von der Digitalisierung nicht abgehängt werden. Wie groß ist das Problem denn?

Erwin Knebel: Etwa ein Drittel aller Menschen über 70 Jahren war noch nie im Internet. Gleichzeitig satteln aber alle Firmen und Verwaltungen auf den digitalen Weg um. Mit der Pandemie hat sich diese Transformation beschleunigt. Grundsätzlich ist das ja auch richtig. Aber wenn wir nicht alle mitnehmen, endet das für viele alte Menschen in einer Katastrophe. Sie werden ja vom Leben abgeschnitten.

Über welche Probleme klagen die Senioren, die keinen Zugang zum Netz haben?

Ihnen wird Teilhabe verwehrt. Mir ist zum Beispiel noch gut eine Frau in Erinnerung, 86 Jahre alt, die mit ihrem dementen Mann gerne Ausflüge unternehmen wollte. Sie ging also zur Rheinbahn in Hilden und bat um einen Fahrplan. Dort schüttelte man den Kopf. Gedruckt gäbe es den nicht mehr. Sie müsse sich das im Internet runterladen. Über Google. Die Frau war komplett ratlos und hat sich dann an uns gewandt. Aber auch die fehlende Erreichbarkeit über Telefon ist für viele Seniorinnen und Senioren ein Problem. Meist gelangt man ja nur noch an eine Automatenansage. Ein älterer Herr zum Beispiel hatte seine Finanzen zwar schon auf Online-Banking umgestellt, dann wegen seiner Sehbehinderung dreimal die falsche Pin eingetippt. Als das Konto dann gesperrt war und er verzweifelt bei der Bank angerufen hat, konnte er nur ein Ansageband erreichen. Das ist für viele keine Möglichkeit, denn da kann man seine Geschichte nicht erzählen. Nur mit Ja oder Nein kommt man bei komplexen Problemen nicht weit.

Erwin Knebel, Digitalpate

Erwin Knebel ist Digitalpate. In Kursen will er Senioren auf dem Weg ins Internet und beim Erlernen der Handhabung digitaler Geräte unterstützen.

„Vielen Senioren blieb damals der Zugang zum Schwimmbad verwehrt“

Besonders schwierig wurde es in der Pandemie, sagten Sie. Woran scheiterten die Senioren da?

Ein trauriges Beispiel: Bei uns in Hilden hat damals in dem heißen Pandemiesommer irgendwann das Freibad wieder geöffnet. Allerdings nur für diejenigen, die – wie damals üblich – ein E-Ticket in einem bestimmten Zeit-Slot gebucht haben. Wir haben damals versucht, eine Notlösung bei der Stadt Hilden für diejenigen zu erwirken, die keinen Internetzugang hatten. Ohne Erfolg. Vielen Seniorinnen und Senioren blieb deshalb damals der Zugang zum Schwimmbad verwehrt. Sowas tangiert ja sogar die Menschenrechte.

Die Menschen, die heute 75 sind, lebten aber doch vor 20 Jahren schon in einer Internet-Welt. Wie konnten sie sich da so lange abschotten?

Diese Leute, mich eingeschlossen, sind in einer analogen Welt groß geworden. Und lange Zeit gab es für viele von ihnen keinen Grund, diese zu verlassen. Der Zugang zur digitalen Welt war außerdem durch Hürden versperrt. Allein die ganzen Fremdwörter. Das ist für Menschen, die in der Schule kaum Englisch gelernt haben, wie eine exotische Fremdsprache. Viele wollten auch kein technisches Hilfsmittel, um ihr Leben bewältigen zu können, oder konnten sich das schlicht nicht leisten. Wir haben lange Zeit auch die Vorstellung gehabt, dass die analoge und die digitale Welt nebeneinanderher existieren werden. Aber das ist eine Illusion. Firmen, die ihr Geld in Digitalisierungen gesteckt haben, werden nicht ewig zweigleisig fahren und den analogen Weg weiter mit anbieten. Stadtverwaltungen ebenso wenig.

„Oft kommen Seniorinnen nach dem Tod ihres Mannes zu uns“

Was sind die Haupt-Motivatoren, sich mit über 70 doch noch dem Internet zuzuwenden?

Whatsapp bewegt viele zum Einstieg. Das ist auch nachvollziehbar. Denn durch den Messenger können die Senioren Kontakte halten, da antwortet sogar der Enkel, die Tochter schickt Fotos von der Reise. Darauf wollen viele nicht verzichten. Oft kommen auch Seniorinnen nach dem Tod ihres Mannes zu uns. Da hat er sich jahrelang um das Onlinebanking gekümmert, um die Mailkorrespondenz. Und dann stehen diese Frauen da und sagen: Das Arbeitszimmer steht voll mit Geräten, ich habe aber keine Ahnung, was ich damit tun soll. Helfen Sie mir!


Erwin Knebel (74) hat 2015 gemeinsam mit Freunden die „Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher im Kreis Mettmann“  gegründet. Hier bietet er als Vorsitzender auch das Projekt „Digitalpaten“ an. Ziel der Gemeinschaft ist es, ältere Menschen zu motivieren, sich für die digitale Welt zu interessieren und dort aktiv mitzumachen. In Kursen werden die Senioren auf dem Weg ins Internet und beim Erlernen der Handhabung digitaler Geräte unterstützt. Themen sind beispielsweise: „Keine Angst vor dem Onlinebanking“ oder „Wie buche ich einen Arzttermin mit dem Smartphone?“ Die Digitalpaten gibt es seit Juni 2021 im Kreis Mettmann. Mittlerweile engagieren sich über 70 Ehrenamtliche in sechs Städten des Kreises. 


Was müsste nun passieren, damit diese Menschen auch alle digital teilhaben können?

Der Staat, beziehungsweise die Gesellschaft müssen Strukturen bieten, um so eine Hilfe zu gewährleisten. Es gibt viele ehrenamtliche Hilfen, aber dadurch überlässt der Staat es dem Zufall, ob in meiner Nähe so ein Angebot existiert oder nicht. Das darf nicht sein. Wir lagern ja auch nicht das Schulsystem ins Ehrenamt aus. Wir brauchen eine offizielle Strategie und Orte, an denen Senioren üben können. Und zwar in Kleinstgruppen von höchstens zwei Teilnehmern. Die Volkshochschule arbeitet da schon wieder mit zu großen Gruppen. Senioren brauchen mehr Betreuung. Hier bieten sich Bibliotheken an, aber auch Firmen sind gefragt. Die Sparkasse Hamburg stellt beispielsweise ihre Räumlichkeiten geschlossener Filialen für Onlinebanking-Kurse zur Verfügung. Diesem Beispiel sollten auch andere folgen. Und für diejenigen, die sich nicht mehr umgewöhnen wollen, brauchen wir Servicestellen, wo sich 90-Jährige einen Fahrplan ausdrucken oder ein Ticket bestellen lassen können. Medienscouts wären eine Möglichkeit, die gibt es bislang aber nur für Schüler.

Es gibt den Digitalcheck NRW, da können Menschen ihre Kompetenz testen und bekommen dann Hilfeangebote an die Hand. Ein guter Weg?

Grundsätzlich ja. Für viele Senioren setzt der aber zu hoch an. Die können sich in den Check gar nicht einwählen, weil sie ja noch gar nicht online sind. Wir machen auch solche Checks, allerdings steigen wir ganz niedrig ein. Können Sie ein Smartphone einschalten? Wissen Sie, wo der Kopfhöreranschluss ist? Solche Fragen. Und wir machen das natürlich analog, zum Ankreuzen.

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