Am Geburtstag des Kremlchefs erschossenPutin begnadigt Täter in Mordkomplott an seiner größten Kritikerin

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Wladimir Putin, Präsident von Russland, hat einen weiteren Straftäter begandigt, damit er an der Front kämpfen kann.

Wladimir Putin, Präsident von Russland, hat einen weiteren Straftäter begnadigt, damit er an der Front kämpfen kann.

Der eigentlich zu 20 Jahren Haft Verurteilte soll seine Taten nun an der Front sühnen. Die Rekrutierungspraxis ist hochumstritten.

Rund 17 Jahre nach dem Mord an der kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja ist einer der verurteilten Täter in Russland vorzeitig aus der Haft entlassen worden – als Gegenleistung für einen Kriegsdienst in der Ukraine. Das bestätigte der Anwalt des im Jahr 2014 zu 20 Jahren Straflager verurteilten Mannes dem Nachrichtenportal RBK laut einem am Dienstag veröffentlichten Artikel.

Eine Frau legt 2009 Blumen vor einem Porträt der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja in Moskau nieder.

Eine Frau legt 2009 Blumen vor einem Porträt der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja in Moskau nieder.

Dem Telegram-Kanal Baza zufolge kämpfte der ehemalige Polizist bereits Ende 2022 in der Ukraine. Nach einem halben Jahr soll er seinen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium verlängert haben. Wo genau er derzeit im Einsatz ist, sei nicht bekannt. Der Straftäter hätte ursprünglich erst 2034 aus der Haft entlassen werden sollen.

Wladimir Putin begandigt an Mordkomplex beteiligten Straftäter

Politkowskaja war am 7. Oktober 2006, Putins 54. Geburtstag, vor ihrer Wohnung in Moskau erschossen worden. Für das weltweit beachtete Attentat wurden mehrere Männer aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus verurteilt. Der nun freigelassene Mann soll die für ihre kritische Tschetschenien-Berichterstattung geschätzte Journalistin vor ihrer Tötung beschattet haben lassen. Politkowskajas Familie vermutet hinter dem Mord ein politisches Motiv und fordert bis heute eine vollständige Aufklärung.

Politkowskaja war Journalistin der kremlkritischen Zeitung „Nowaja Gaseta“, die ihr Erscheinen in Papierform im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eingestellt hat. Ihre beiden Kinder veröffentlichten am Dienstagabend eine Stellungnahme.

Für uns ist diese ‚Begnadigung‘ kein Beweis für die Sühne und Reue des Mörders. Es ist ein ungeheuerliches Faktum der Ungerechtigkeit und Willkür.
Kinder der ermordeten kremlkritischen Journalistin Anna Politkowskaja

„Für uns ist diese ‚Begnadigung‘ kein Beweis für die Sühne und Reue des Mörders. Es ist ein ungeheuerliches Faktum der Ungerechtigkeit und Willkür“, schrieben sie. 

Zu dem Fall äußerte sich auch der Mitgründer der „Nowaja Gaseta“, Dmitri Muratow. „Die Rechte der Opfer werden vom Staat systematisch missachtet“, sagte der 62-Jährige, der 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, dem Internetmedium „Ostoroschno Media“. 

Wladimir Putin begnadet mehrere Schwerverbrecher – Dmitri Peskow verteidigt Rekrutierungspraxis

In den vergangenen Wochen haben in Russland immer wieder Fälle für Aufsehen gesorgt, in denen teils Schwerverbrecher von Präsident Wladimir Putin begnadigt wurden, damit sie in den Krieg gegen das Nachbarland Ukraine ziehen können.

Neben dem klassischen Begnadigungsverfahren, bei dem der Antrag eines Häftlings von mehreren Instanzen gebilligt werden muss, gebe es noch ein zweites, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am 10. November laut Agentur Interfax: „Der zweite Weg ist, dass sie ihre Schuld mit Blut begleichen. Die Verurteilten, unter ihnen auch Schwerverbrecher, büßen für ihr Verbrechen mit Blut auf dem Schlachtfeld.“

Begnadigung eines verurteilten Mörders durch Wladimir Putin sorgt für massive Kritik in Russland

Der Kreml verteidigte die umstrittene Rekrutierungspraxis, nachdem die kürzlich bekanntgewordene Begnadigung eines verurteilten Mörders durch Präsident Wladimir Putin hohe Wellen geschlagen hatte. Der Mann aus der sibirischen Stadt Kemerowo, der für die Tötung seiner Ex-Freundin im Jahr 2020 eigentlich zu 17 Jahren Straflager verurteilt worden war, wurde Berichten zufolge frühzeitig aus der Haft entlassen, weil er sich zum Kämpfen in der Ukraine bereit erklärte. Der Fall sorgte in russischen Medien und sozialen Netzwerken für heftige Diskussionen und Empörung.

Bereits im ersten Kriegsjahr 2022 war bekanntgeworden, dass insbesondere die russische Söldnertruppe Wagner massiv Straftäter aus Gefängnissen angeworben hatte. Vor einigen Monaten dann wurde die Anwerbung von Straftätern auch durch die reguläre Armee per Gesetz legalisiert. Das Vorgehen steht immer wieder in der Kritik, dient dem Kreml aber als wichtige Maßnahme, um die hohen Verluste ausgleichen zu können.

Wladimir Putin braucht angesichts hohe Verluste neue Soldaten

Nach Einschätzung des britischen Verteidigungsministeriums hat Russland in 20 Monaten Krieg rund 150.000 Gefallene oder Schwerverletzte zu beklagen. Offizielle Angaben dazu gibt es aus dem Kreml wenig überraschend nicht.

Wie dringend das russische Militär neue Kräfte braucht, davon zeugt eine viel beachtete Meldung von Anfang November. Medienangaben zufolge hat Russland mit der Rekrutierung von Frauen für seinen Krieg in der Ukraine begonnen. Bislang wurden Frauen im russischen Militär nur als Sanitäterinnen und in der Küche eingesetzt, nun können sie sich freiwillig melden und an Waffen ausbilden lassen.

Selenskyj sieht in Rekrutierung Kalkül von Wladimir Putin

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht einen Zusammenhang zwischen dem militärischen Vorgehen Russlands und der kommenden Präsidentenwahl in Russland 2024. Kremlchef Wladimir Putin verfolge zynisch ein politisches Ziel, sagte Selenskyj am Dienstagabend. „Er ist bereit, unbegrenzt viele seiner Leute zu töten, um in der ersten Dezemberhälfte wenigstens einen taktischen Erfolg vorweisen zu können. Nämlich dann, wenn er seine Wahlen ankündigen will“, sagte Selenskyj in seiner Videoansprache in Kiew mit Blick auf die gehäuften russischen Angriffe im ostukrainischen Gebiet Donezk.

Wegen der unerwartet hohen Ausfälle in seiner Armee hat Russlands Präsident Wladimir Putin im vergangenen Herbst die Mobilmachung von offiziell 300.000 Reservisten verkündet. Experten gehen davon aus, dass der Kreml angesichts der im Frühjahr 2024 geplanten Präsidentenwahl eine weitere Mobilmachung bis dahin vermeiden will und daher verstärkt Freiwillige anwirbt. (mit dpa)

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