Alles ausprobiertEin Jahr, 30 Jobs – was Job-Nomaden erzählen

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Haben beruflich viel ausprobiert: Jannike Stöhr (links) und Stephanie König sind moderne Nomadinnen.

Das Wort „Jobnomade“ hat sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Darin heißt es: „Als Jobnomade wird ein Erwerbstätiger bezeichnet, der von einer Beschäftigung zur nächsten springt, und zwar nicht nur von Ort zu Ort, sondern oftmals auch über die Grenzen von Staaten und Kontinenten hinweg.“ Auf Jannike Stöhr und Stephanie König trifft diese Beschreibung eindeutig zu. Beide Frauen haben ein Buch über ihre Odyssee durch Unternehmen und ihre Versuche in der Selbstständigkeit geschrieben.

Mit einem Unterschied: Stephanie König, die ältere der beiden Autorinnen, nimmt über die Jahre 39 verschiedene Jobs an, um sich finanziell über Wasser zu halten. Sie startet schon während der Schulzeit als Schwimmbad-Putzfrau, spielt nackt in einem Film von Hark Bohm mit, arbeitet als Stewardess und „Beinahe-Prostituierte“ (offenbar heißt das, man findet den Typen scharf und nimmt trotzdem Geld für Sex) und paukt tagsüber für ihren Abschluss zur Fremdsprachenkorrespondentin.

In ihrem Buch „Die Büronomadin“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf) schildert sie auch ihr wechselvolles Liebesleben, mehr oder weniger erotische Episoden und kläglich scheiternde Beziehungen. Politisch korrekt ist das Buch allerdings nicht immer. Wenn König beschreibt, wie ihr ein „stark pigmentierter Afroamerikaner“ beim Jobben in der Bar aus Versehen einen Billardqueue in den Rumpf stößt, ist man als Leser mehr als irritiert, was diese Wortwahl denn eigentlich soll, und wünscht sich ein sorgfältiges Lektorat herbei. Auch Sprüche wie „Eine Frau will ein Alphamännchen“ sind nicht emanzipiert, und die Sprache ist stellenweise derbe. Aber es mag vielleicht Leser geben, denen genau dieser unverfälschte Stil gefällt.

Von der Tierpräparatorin bis zur Winzerin

Jannike Stöhr hingegen geht mit fast 30 Jahren auf einen Selbsterfahrungstrip. Ein Auslöser ist die schwere Krankheit ihres Vaters, sein drohender Tod bringt die junge Frau ins Grübeln über ihr Leben. Sie kündigt ihren sicheren und gut bezahlten Job als Personalerin, verkauft ihre Möbel und tingelt ein Jahr lang durch 30 verschiedene Jobs – von der Tierpräparatorin bis zur Winzerin testet sie als Praktikantin aus, was ihr Spaß machen und sie erfüllen könnte.

Ihre Erfahrungen und Erlebnisse hat sie in einem Blog und im Buch „Das Traumjob-Experiment“ (Eichborn Verlag) verarbeitet. Am Ende jedes Kapitels gibt sie zudem eine kleine Einschätzung: „Für wen der Job etwas sein könnte“, und „Wer lieber die Finger davon lassen sollte“. Somit eignet sich das Buch auch als Ratgeber für junge Schulabgänger, die noch auf der Suche nach einem Berufsziel sind.

Die verrücktesten Jobs der beiden Nomadinnen

Jannike Stöhr kommt als Winzerin geruchstechnisch an ihre Grenzen: „Mit jedem Stoß in den Traubenbottich brennt mein Hals mehr, die Atemluft wird weniger. Ich kämpfe mit den Tränen und muss schließlich aus der Halle an die frische Luft flüchten.“ Der Job sei nach ihrer Einschätzung etwas für Verkaufstalente, die gerne in der Natur sind, sich für chemische Prozesse interessieren – und während der Weinernte gerne im Freien pinkeln.

Noch härter wird es für sie als Aushilfs-Pathologin: „Ich schwanke zwischen Faszination und Ekel: So sieht also eine Leber aus? Und so die Galle? Katrin schneidet sie mit einer Schere auf. Grüne Gallenflüssigkeit läuft im Waschbecken neben mir in Richtung Abfluss.“ Als Tierpräparatorin muss Stöhr unter anderem das Gehirn einer Amsel aus dem Schädel präparieren – nichts für schwache Nerven!

Ganzen Körpereinsatz zeigte Stephanie König, als sie für kurze Zeit „zur Halbhure eines Lehrers der katholischen Kirchenmusikschule“ wird. Ihre Beschreibungen sollen an dieser Stelle aus ästhetischen Gründen nicht komplett wiedergegeben werden, nur so viel: Es geht um nackte Körper, viel Öl und ein „schmatzendes Aneinander-hin-und-her-Glitschen von Menschen“. Na dann, vielleicht doch lieber das Amselhirn, mag sich mancher Leser denken.

Ausziehen musste sich König auch für eine Nebenrolle in einem deutschen Kinofilm, der, wie sie schreibt, ein paar Mal auf Arte lief. „Den Titel verrate ich nicht, weil er eine Nacktszene von mir enthält und mein Schamhaar damals so üppig war, dass man mich heute in der Zeit des Rasierwahns vielleicht dafür entführen und zwangsepilieren würde“, so die selbsternannte Büronomadin. Kopfkino dieser Art ist übrigens durchaus typisch für das Buch.

Endlich angekommen? Das Fazit der Nomadinnen

„Den einen Traumjob, so wie ich es mir im Vorfeld gewünscht habe, habe ich nicht gefunden“, sagt Jannike Stöhr in einem Verlagsinterview. „Dafür habe ich herausgefunden, was ich kann, was mir wichtig ist und was mir Spaß macht. Daraus ergeben sich jetzt glücklicherweise sogar mehrere Möglichkeiten, bei denen ich gerade schaue, welche davon sich in die Realität umsetzen lassen.“

Stephanie König arbeitet derzeit als Sachbearbeiterin in einem mittelständischen Betrieb, das klingt ziemlich gediegen. Trotzdem sagt sie: „Bis heute empfinde ich mich selbst als verirrten und verlotterten Punk der Arbeitswelt – auch wenn ich in High Heels und engem Wickelrock ins Büro gehe.“ Tief im Innern sei sie stets auf der Suche gewesen, nicht nur nach dem Traumjob, sondern auch nach einem Heimatgefühl. „Nur brauche ich dafür offensichtlich etwas länger als andere Arbeitnehmer.“

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Zwei Bücher, ein Thema, unterschiedliche Herangehensweisen.

Jannike Stöhr: Das Traumjob-Experiment. 30 Jobs in einem Jahr. Eichborn Verlag, 16 Euro.

Stephanie König: Die Büronomadin. Die Geschichte einer Rastlosen. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 9,99 Euro.

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