KostümspieleDas waren die Schattenseiten des Mittelalters in Bad Münstereifel

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An einen Baumstamm gefesselt steht die überführte Händlerin Erika Rimkus. Ratsherr Sebastian Pöschke und Büttel Sven Kreitmann stehen daneben. Sie alle tragen mittelalterliche Kleidung. Eine Gruppe von Menschen in moderner Straßenkleidung steht davor, schaut und lacht. Mit dem Smartphone machen einige von ihnen Fotos.

Das „Volk“ soll die des Betrugs überführte Händlerin (Erika Rimkus) beschimpfen. Das fordern der Ratsherr (Sebastian Pöschke, l.) und der Büttel (Sven Kreitmann) am Rathaus. Doch die Zuschauer lachen und schweigen.

Eine 25-köpfige Crew ließ in Bad Münstereifel die dunklen Seiten des Mittelalters wieder lebendig werden.

Von wegen romantisches Mittelalter! Es wurde betrogen und gepöbelt, am Rathaus stand – und steht immer noch – ein Pranger. In eine turbulente Zeit führt das „Erlebnis Mittelalter“ in Bad Münstereifel.

Konrad vom Berge ist Jakobspilger. Von Köln aus ist er aufgebrochen und eine Tagesreise weiter – zu Fuß, wohlgemerkt – steht er nun vor dem Torwächter von Münstereifel. Doch der will ihn nicht so schnell durchs Orchheimer Tor lassen in die Stadt. Und außerdem müsse der Sinnsucher auf seinem Weg nach Santiago de Compostela wohl zuerst einmal zum Bader, ein Bad zu nehmen. Er rieche ja, meint die herbeigeeilte neugierige Schankmagd Julia. Wirtin Ulrike nickt bestätigend.

Die Besucher nahmen bei der Stationenreise die Rolle des Volks ein

Vier als Marktfrauen in historische Kostüme gekleidete Frauen sitzen vor dem Rathaus in Bad Münstereifel.

Fast wie ein Bild flämischer Meister: Vier Marktfrauen sitzen am Rathaus von Bad Münstereifel.

Viel „Volk“ steht um die Gruppe herum, das zuvor – außer es handelt sich um Kinder in der Größe „unter Schwertmaß“ – einen Obolus für die vom Stadtmarketing veranstaltete, 90-minütige Stationenreise durch die Altstadt entrichtet hat. Von Bad war im mittelalterlichen Münstereifel nebenbei bemerkt noch keine Rede. Horst-Peter Neuse und Peter Schallenberg – Ersterer mimt den Pilger, der Zweite den Wächter – haben auf Basis der von Vater und Sohn Hürten aus der Kurstadt recherchierten Fakten in den Dokumenten des Stadtarchivs die Episodenreise zusammengestellt. 25 Akteure machen mit.

Die Menschen haben Freude am mittelalterlichen Rollenspiel

Sie sind wie Schankfrau Julia Mostert, 49, aus Weilerswist dabei, „weil der Stadt doch durch die Juliflut 2021 das Herz herausgerissen wurde. Ich will dem Ort ein bisschen was zurückgeben.“ Andere haben einfach Spaß am Spiel in alten Rollen und in Kostümen auch außerhalb des Karnevals. Wobei die exakte zeitliche Zuordnung des „Erlebnis Mittelalter“ schwierig ist. Die Kostüme umfassen einen Zeitraum vom ausgehenden Mittelalter um 1450 bis zur Renaissance und bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts.

Ein Mann trägt mittelalterliche Kleidung. In seinen Händen hält er ein hölzernes Folterinstrument.

Die alten Foltermittel sind nachgebaut, etwa die Armgeige.

Und gespielt werden keineswegs positive, freundliche Zeitgenossen, sieht an mal von der Spielleute-Gruppe „Wanderwind“ ab. Auch die sind als Mitglieder der „Fahrenden“ suspekt. Stattdessen werden einige Schattenseiten des vermeintlich romantischen Mittelalters gezeigt: Straßenhändlerinnen handeln mit faulen Zitronen, ein Bader zieht Zähne ohne jede Betäubung. Beutelschneiderin „Kleine Hexe“ ist der Spitzname der Erika (Rimkus). Die Bad Münstereifelerin, die schon ganze Mittelalterfestivals organisiert hat, mimt eine Tuchhändlerin, die unweit des Rathauses mit der falschen Elle misst, um den Preis zu bestimmen.

„Das Münstereifeler Maß war um die 80 Zentimeter lang“, sagt Ratsherr Sebastian (Pöschke, 38, aus Kalkar). Er deutet vor dem Roten Rathaus aus dem Jahre 1476 auf eine alte Eisenstange, die er zum Beweis mit sich führt. Zu ihm zerrt wenig später Stadtbüttel Sven (Kreitmann), der im richtigen Leben bei den Ritterspielen auf Burg Satzvey mitficht, die mit den Armen in eine monströse „Armgeige“ gezwungene, falsche Erika.

Ein Mann steht inmitten einer Ansammlung von Menschen. Er trägt die Tracht eines Jakobspilgers. Die Menschen um ihn herum tragen moderne Straßenkleidung.

Der Jakobspilger ist auf dem Weg nach Santiago de Compostela.

Das „Volk“ folgt und sieht tatenlos zu, wie der Büttel die Erika an den original erhaltenen, alten Eichenpranger stellt und ihr die eiserne Halskrause anlegt. So sei sie nun für einen halben Tag zur Schau gestellt, zur Qual und Abschreckung gleichermaßen, lautet das Urteil des Rates entsprechend der damals gültigen Strafordnung.

Das Bad Münstereifeler „Volk“ blieb zurückhaltend

„Doof nur, das Volk macht nicht so richtig mit“, sagt die Delinquentin unter der Eisenkrause etwas enttäuscht: „Es beschimpft mich nicht richtig, was es aber soll!“ Archivalien von vergleichbaren Fällen belegen, dass das damals so üblich war. Obwohl Ratsherr und Büttel alles tun, um die Zuschauer anzuheizen: Das „Volk“ steht da, grinst und schweigt. Vielleicht klatscht mal einer Beifall.

Dass einst mit der Zurschaustellung der Verurteilten aber Gesellschaftskritik, gar Geschlechterdiskriminierung verbunden gewesen sei, geben die Dokumente nicht her. Allenfalls der Appell: Lieber nicht auffallen, dann kann man auch nicht reinfallen. Die falsche Erika hatte alles getan, dass es was hätte werden können mit der Beschimpferei: „Ich hatte bei der ersten Gruppe noch nach der Verhaftung durch den Büttel geklagt, er solle Gnade vor Recht ergehen lassen, meine Kinder müssten jetzt hungern! Das machte aber das Schimpfen danach schwer“, so Erikas Beobachtung.

Also lässt sie das Jammern bleiben, es bringt aber nichts. Es wird nicht geschimpft und verleumdet, kein Stein geworfen. Wer allerdings glaubt, dass Erika, die falsche Elle und das An-den-Pranger-stellen doch nur Theater sei, den lehrte nicht nur der wuchtige Eichenpfahl am historischen Gemäuer eines anderen. Zurück am Erftufer, über eine der neuen Brücken zum Entenmarkt auf der anderen Seite steht das Wohnhaus des letzten Scharfrichters der Stadt. Kein Fake, keine Attrappe. Christian von Kommern, so die Inschrift über der Tür, lebte mit Ehefrau Elisa ab 1608 in dem Fachwerkhaus.

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