ProzessVersuchter Totschlag in Opladen – zehn Zeugen und ein Widerspruch

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Eine Bronzestatue der römischen Göttin der Gerechtigkeit, Justitia (Symbolbild) 

Eine Bronzestatue der römischen Göttin der Gerechtigkeit, Justitia (Symbolbild) 

Leverkusen/Köln – Bis es im Prozess vor dem Landgericht gegen Lukas A. (Name geändert) am Dienstagmittag zum bislang größten Widerspruch kam, hatten bereits neun unabhängige Augenzeugen an fünf Verhandlungstagen von ihren Erinnerungen an den Tatablauf erzählt.

Auch Polizisten, die der Mordkommission „Freiherr“ angehörten, hatten ausgesagt und dabei von den Zeugenvernehmungen berichtet.

Kein einziger Zeuge war dabei als unglaubwürdig bezeichnet  worden, jedem könne man glauben, fand das Gericht. Und doch schilderte eine Zeugin am Dienstag den Vorgang völlig anders.

Lukas A. ist des versuchten Totschlags angeklagt. Er hat gestanden, am 7. November 2015 am Opladener Busbahnhof elfmal auf Patrick B. (Name geändert) mit einem Messer eingestochen zu haben. 

Die Aufgabe der 4. Großen Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Ulrike Grave-Herkenrath ist, die Antwort auf eine wichtige Frage zu finden: Hat Lukas A. in Notwehr gehandelt? Darauf beruft er sich, ein klares Ja oder Nein scheint aber noch nicht möglich. Nicht endgültig geklärt werden konnte bislang, ob das Opfer zwischen den einzelnen Messerstichen weiter auf den Angeklagten einschlug oder ob er selber nicht mehr angriff.

In einer ganzen Reihe von Punkten stimmten die ersten neun Zeugen aber bei geringen Abweichungen überein: Aggressor sei zunächst das spätere Opfer gewesen. Nachdem der Angeklagte von diesem einen ersten Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht bekommen habe,  sei er zunächst weg gegangen. Sein Kontrahent habe aber nicht von ihm abgelassen und sei ihm gefolgt. Ebenso häufig wurde ausgesagt, der Angeklagte habe vor der Tat zu Patrick B. gesagt, er wolle sich nicht schlagen. Zudem seien beide Männer alkoholisiert gewesen, Patrick B. schien den Zeugen betrunkener als Lukas A. Je nach Aussage erfolgten die Messerstiche während eines Sprungs oder im Stand, gezielt oder unkontrolliert, mal stand das Opfer aufrecht, mal gebückt. Ein Umstand war jedoch stets derselbe und schien schon sicher: Die Männer standen sich bei der Auseinandersetzung gegenüber, die Angriffe erfolgten von vorne. Die Zeugin, die dann am Dienstag als letztes vor Gericht erschien, widersprach dem ausdrücklich und behauptete wiederholt das Gegenteil. Zwei bis drei Meter entfernt sei sie von der Schlägerei gewesen, das Tatgeschehen klar sichtbar. Nach einem Schlagabtausch sei Patrick B. umgekehrt und habe sich von Lukas A. entfernt. In diesem Moment habe A. das Messer gezogen, sich in Kampfpose begeben, einen Schrei ausgestoßen und sei auf den Rücken seines Opfers gesprungen. Von hinten habe er ihm erst in die Schulter, dann in die Seite gestochen.

Nach eigener Aussage hatte die Zeugin weder eingeschränkte Sicht noch war sie abgelenkt. Von ihrer Version war sie bei wiederholten Nachfragen von Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft überzeugt. Verteidiger Thilo M. Franke: „Mit diesem Widerspruch müssen wir wohl leben.“

Am kommenden Montag wird der Prozess fortgesetzt. Dann sagt der Arzt aus, der Patrick B. behandelt hat. Von ihm erhofft sich das Gericht Klarheit darüber, aus welcher Richtung zugestochen wurde.

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