Soziale NetzwerkeBestsellerautorin Silke Müller spricht in Frechen über die Gefahren für Kinder und Jugendliche

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Auf dem Bild ist die Autorin Silke Müller zu sehen.

Die Bestsellerautorin und Schulleiterin Silke Müller kommt zu einer Podiumsveranstaltung nach Frechen.

Die Podiumsveranstaltung der FDP Frechen mit der Bestsellerautorin und Schulleiterin Silke Müller will Tipps für Eltern und Lehrer bieten und für einen verantwortungsbewussten Umgang mit den sozialen Medien werben. 

Die Bestsellerautorin, Schulleiterin und Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen, Silke Müller, kommt am Donnerstag, 23. Mai, 18 Uhr, auf Einladung der FDP-Fraktion nach Frechen. In der Aula des CJS-Berufsbidlungswerks, Clarenbergweg 81, diskutiert sie über ihr Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ und die Gefahren im Umgang mit den sozialen Medien. Alexa Jansen hat mit der Autorin über ihr Anliegen gesprochen.

Gewalt, Missbrauch, Rassismus. Der verstörende Alltag im Klassenchat – so lautet der Untertitel Ihres Buches. Wie gravierend ist für Sie die Lage an einer ganz normalen deutschen Schule?

Alarmismus ist vielleicht ein passender und für mich nicht zwingend negativ konnotierter Begriff. Löst man einen Alarm aus, tut man dies, um Rettung und Hilfe zu erhalten. Darum geht es. Die Lage im Netz, insbesondere in sozialen Netzwerken, ist dramatisch. Kindern begegnet ungefilterte Brutalität, bestialische Folterszenen, abstoßende Pornografie, Livestreams aus Kriegsgebieten, immer wieder Aufrufe zu gesundheitsgefährdenden Challenges. Auch droht eine große Gefahr durch Cybergrooming. Kinder werden in Messengerdiensten wie Snapchat, in Chatfunktionen von Inline-Games immer wieder von Erwachsenen angeschrieben mit dem Ziel, ihr Vertrauen zu gewinnen, um dann in sexuelle Handlungen überzugehen. Die sozialen Netzwerke gleichen einem Haifischbecken, in das wir unsere Kinder quasi eigenhändig stoßen.

Schule bietet eine Social-Media-Sprechstunde an

Sie sind Schulleiterin der Waldschule Hatten, die als vorbildlich in Sachen Digitalisierung gilt. Was zeichnet diese Einrichtung aus?

Ich glaube, es ist wichtig, digital als normal zu betrachten. Wir arbeiten seit 2009 strategisch digital und haben drei klare Ziele für die digitale Schulentwicklungsarbeit gesetzt. Der Aufbau von auch niederschwelligen IT-Kompetenzen, ein Grundverständnis für künstliche Intelligenz und die Vermittlung einer digitalen Ethik sind die Fundamente, die jeden Entwicklungsschritt untermauern müssen. Außerdem bieten wir eine Social-Media-Sprechstunde an, in der sich Kinder wirklich Rat und Hilfe zu Vorfällen und Konflikten im Netz holen können.

Auf dem Bild sind Kinder zu sehen, die Tablets benutzen

Vor Gefahren für Kinder im Internet warnt Silke Müller. (Symbolbild)

Wie kann die Situation an Schulen verbessert werden?

Schule als Minikosmos unter einer wohlbehüteten Käseglocke hat kaum genügend Ressourcen und möglicherweise auch nicht ausreichend Expertise, um den Heranwachsenden all die Kompetenzen als Rüstzeug für die Zukunft zu vermitteln. Das bedeutet, dass wir für unterschiedlichste Themen, insgesamt aber auch für den Bereich digitale Transformation Experten in den Unterricht holen müssen, die ihr Wissen an die Kinder und auch Lehrkräfte weitergeben.

Sollte die Nutzung von Smartphones altersbeschränkt sein?

Unbedingt. In einem frühkindlichen Alter, aber auch mit elf oder zwölf Jahren sind die Gehirne der Kinder einfach noch nicht darauf ausgerichtet, all die Inhalte, die sie zwangsläufig konsumieren, entsprechend einzuordnen oder zu bewerten. Es ist mir vollkommen suspekt, warum wir das einfach nicht wahrhaben wollen und dennoch so fahrlässig handeln. Das Argument der Sicherheit wie „Ich muss mein Kind immer erreichen können“ ist keines, was ich gelten lassen kann.

Außerdem würde ich meinem Kind doch niemals mit einem Fahrradhelm ausstatten und es damit auf eine viel befahrene Autobahn schicken.
Silke Müller, Bestsellerautorin und Schulleiterin

Genügt es, wenn Eltern die Bildschirmzeit begrenzen?

Natürlich sind technische Einschränkungen für und auf den Smartphones richtig und wichtig. Allerdings ist es ein gefährlicher Trugschluss, wenn ich denke, mein Kind dadurch vor dem Kontakt mit gefährdenden Inhalten zu schützen. Am Ende ist es doch so, dass es immer ein Kind im Freundeskreis geben wird, das einen unbeschränkten Zugang zum Smartphone und Netz hat, dann schauen die Kinder eben da rüber. Außerdem würde ich meinem Kind doch niemals mit einem Fahrradhelm ausstatten und es damit auf eine viel befahrene Autobahn schicken. Im Netz ist es aber genau das. Auch in nur fünf Minuten können die Kinder letztlich an traumatisierende oder mindestens erschreckende Inhalte geraten. Das wiederum bedeutet, dass wir über die Regulierung von Inhalten, möglicherweise auch über das verpönte Wort Zensur sprechen und diskutieren müssen und hier sind wir dann sicherlich im Bereich von politischen Forderungen.

Das Jugendschutzgesetz soll in den Fokus genommen werden

Welche Erwartungen stellen Sie an die Politik?

Ganz klar ist, dass die Politik in der Pflicht ist, endlich für klare Richtlinien und Gesetze zu sorgen. Es muss dringend über ein Ende der kompletten Anonymisierungsmöglichkeiten in sozialen Netzwerken diskutiert werden. Auch sollte das veraltete Jugendschutzgesetz in den Fokus genommen werden. Es ist keine Frage, ob Politik sich hier kümmern muss, sondern ich halte es für ein großes Versagen der letzten eineinhalb Jahrzehnte, dass es so weit kommen konnte, dass das Netz zu einem gefühlt rechtsfreien und für Kinder schutzlosen Raum geworden ist. Darum ist es jetzt fünf nach zwölf und es braucht es eine klare, allparteiliche und ehrlicherweise europaweite Kraftanstrengung, um für mehr Sicherheit zu sorgen.

Es ist zwingend notwendig, gemeinsam mit dem Kind von Zeit zu Zeit zu prüfen, ob die Inhalte auf dem Smartphone problematisch sein können
Silke Müller, Bestsellerautorin und Schulleiterin

Welche Empfehlungen haben Sie für Eltern?

Das Wichtigste für mich ist, dass wir aufhören, Vorfälle im Netz entweder sofort zu kriminalisieren oder mit Scham zu belegen. Viel wichtiger ist es, sich klar zu werden, dass ich meinem Kind stets das Gespräch anbieten sollte und die helfende Hand ausstrecken muss. Außerdem sollten wir dringend aufhören, ein Smartphone mit einem Tagebuch zu vergleichen. Mitnichten ist alles privat auf dem Handy. Es ist es zwingend notwendig, gemeinsam mit dem Kind auch von Zeit zu Zeit zu prüfen, ob die Inhalte auf dem Smartphone problematisch sein können. Außerdem hat ein Smartphone niemals etwas zur Schlafenszeit im Kinderzimmer zu suchen


Silke Müller ist Schulleiterin in Niedersachsen und seit 2021 erste Digitalbotschafterin ihres Landes. Sie setzt sich für eine ethische und demokratische Werteerziehung ein – vor allem in der digitalen Welt. Ihr Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ erschien 2023 und erreichte Platz eins der Spiegel-Bestsellersliste. Anfang Mai erschien ihr neues Buch „Wer schützt unsere Kinder?“. Sie lebt mit ihrer Familie im Landkreis Oldenburg.

Für die Veranstaltung wird um eine Anmeldung per E-Mail an den Fraktionsvorsitzenden Bernhard von Rothkirch gebeten. Im Anschluss gibt es eine Signierstunde. Das Buch „Wir verlieren unsere Kinder“ ist im Droemer Knaur HC Verlag, erschienen. Es hat 224 Seiten und kostet 20 Euro. ISBN: 978-3-426-27896-3. (aj)

bvonrothkirch@t-online.de.

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