Kommentar zur NationalmannschaftBeleidigt und verzettelt – Die DFB-Elf entfacht das Gegenteil von EM-Euphorie

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Stark gestartet, hart gelandet: Julian Nagelsmann wirkte am Dienstagabend in Wien schwer getroffen.

Stark gestartet, hart gelandet: Julian Nagelsmann wirkte am Dienstagabend in Wien schwer getroffen.

Nagelsmanns Wirken als Bundestrainer erinnerte zunächst an Jürgen Klinsmann vor der Heim-WM 2006. Doch banale Tugenden sind weiter nicht zu sehen.

Keine sechs Wochen nach dem jüngsten Neustart braucht die deutsche Fußball-Nationalmannschaft also bereits den nächsten Neustart. Dabei schien Julian Nagelsmann mit dem 3:1-Sieg in den USA eine frühe Wende eingeleitet zu haben. Die Umdeutung der lästigen US-Tournee zum Erlebnistrip, der auf dem Weg zum Turnier im eigenen Land den Teamgedanken stärkt und sportliche Erfolge zeitigt, erinnerte an Jürgen Klinsmanns Wirken vor der Heim-WM 2006.

Damals gab es nicht nur die Asienreise mit Spielen in Japan, Korea und Thailand. Klinsmann und seine Leute schafften es in der Frühphase ihres Wirkens, jeden scheinbar unnötigen Test zum Ereignis werden zu lassen. Das war die erhoffte Aufbruchstimmung.

Auch damals folgten schwere Rückschläge, immer wieder gab es Niederlagen. Der 1:4-Untergang in Florenz im März 2006 ließ die Heim-EM endgültig zur Bedrohung werden: Man befürchtete die maximale Blamage im eigenen Land.

Die Stunde des Assistenten unter Jürgen Klinsmann

Dann trafen sich die deutschen Nationalspieler zur Vorbereitung in Genf, wo Assistent Joachim Löw seinen legendären Grundkurs im Verteidigen abhielt. Weil man sich damals noch einen Vorteil durch körperliche Fitness verschaffen konnte, holte Klinsmann seine Spezialisten aus den USA hinzu.

Nach zwei Gegentoren gegen Costa Rica zum WM-Auftakt blieb Deutschland dreimal nacheinander ohne Gegentor und wurde letztlich WM-Dritter. Zusammenhalt, Fitness, Abwehrbereitschaft: Das Fußballwunder unter Jürgen Klinsmann adressierte damals vor allem die scheinbar banalen Tugenden.

Julian Nagelsmann kann die Lust am Verteidigen nicht vermitteln

Sechs Monate vor der Heim-EM ist keine dieser Tugenden zu sehen. Stattdessen hat sich Julian Nagelsmann früh in taktischen und personellen Experimenten verzettelt. Vor lauter Frust ließ sich etwa Leroy Sané, nun ebenfalls ein vorerst gescheiterter Hoffnungsträger, in eine peinliche Rauferei verwickeln, was neben der Blamage für einen ja immerhin 27-jährigen Profi eine Sperre für die EM-Vorbereitung zur Folge haben wird.

Was der Bundestrainer vor allem nicht geschafft hat, ist, seiner Mannschaft die Lust am Verteidigen zu vermitteln. Nagelsmanns Prinzip scheint zu sein, dass gar nicht erst verteidigen muss, wer ständig den Ball hat und den Gegner mit seiner Fußballkunst aus dem Spiel hält.

Doch dieser Gedanke trägt bislang nicht. Ein Sieg aus vier Spielen und eine negative Tordifferenz – die Bilanz des als Hoffnungsträger gestarteten Bundestrainers ist trübe.

Nach der Partie beteuerte Nagelsmann etwas beleidigt, sein Plan wäre eigentlich ein simpler, was ein wenig klang, als frage er sich, wie blöd man eigentlich sein müsse. Man müsse außerdem „akzeptieren“, dieses Wort fiel mehrfach, dass der deutsche Fußball derzeit nicht über „Abwehrmonster“ verfüge und es nur über Arbeit, Arbeit und nochmal Arbeit gehe.

Zum Abschluss des Länderspieljahres 2023 ist zumindest das unumstritten. Ebenso deutlich wurde in Wien, dass die DFB-Elf mit dem Gegenteil von Euphorie ins EM-Jahr startet.

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