wir helfenHeimelig - Leben im Kinderheim
Für Leute, die meinen, es sei blamabel im Heim aufzuwachsen, hat Lena (Name geändert) nur ein müdes Lächeln übrig. Seit zehn Jahren lebt die 17-Jährige in Wohngruppen der Kinder- und Jugendpädagogischen Einrichtung der Stadt Köln, kurz: KidS – was wesentlicher sympathischer und weniger aus der Zeit gefallen klingt als Waisenhaus oder Kinderheim. Lena empfindet eher Stolz als Scham, hat dort wenig entbehrt aber viel erreicht. Spielte in der U-16-Mannschaft bei Bayer 04 Leverkusen. Besucht als angehende Fachabiturientin ein Berufskolleg in Köln. Ist selbstsicher und selbstständig. „Meine alleinerziehende, vollberufstätige Mutter hätte mir all das, auch aus finanziellen Gründen, nicht bieten können“, sagt Lena, und fügt leise, als wolle sie ihre Mutter schützen, an: „Bei ihr hätte ich mich vielleicht nicht so entwickeln können.“
Ein Zuhause für acht Jahre
Heute ist Lena, wie regelmäßig, zu Besuch in ihrer ersten Wohngruppe. Das gemütlich und liebevoll dekorierte Reihenhaus im Wohngebiet von Raderthal war ihr Zuhause für acht Jahre, bis sie vor zwei Jahren in die Jugendwohngruppe in Hürth umzog. Im März wird sie dort ein Appartement für sich alleine beziehen – um sich in Ruhe auf das Abitur und die Selbstständigkeit vorzubereiten.
Benjamin, der Name ist Programm
In der Tür wird Lena von ihren ehemaligen Mitbewohnern empfangen – wie eine nach langer Zeit heimgekehrte, sehnlichst erwartete große Schwester. „Schön, dass du da bist!“, rufen sie im Chor – so wie die sieben Bewohner selbst täglich von ihren fünf Betreuern begrüßt werden, wenn sie aus der Schule kommen. Benjamin – der Name ist Programm, denn er ist mit seinen vier Jahren der jüngste Bewohner – springt zur Begrüßung in Lenas Arme, wo er für Stunden verharren wird. Im Flur flackern die Kerzen auf einem zum Buffet umfunktionierten Tisch.
Doppelter Schwesternbesuch
Neben Big Sister Lena hat sich nämlich noch anderer Schwesternbesuch angekündigt: Die „Lost Sisters“ und „wir helfen“-Vorsitzende Hedwig Neven DuMont wollen sich ein Bild davon machen, wie ein Teil der Kinder und Jugendlichen in den KidS-Wohnheimen lebt, denen die Karnevalsgesellschaft 85000 Euro gespendet hat – damit möglichst alle jungen Bewohner in den Genuss eines Jahresurlaubs kommen. Möglichst alle Bewohner meint genau: 183 Kinder und Jugendliche zwischen vier und 18 Jahren, die längerfristig in sogenannten vollstationären KidS-Wohngruppen leben. Weil sie aus Familien mit besonderen Problemlagen stammen. Die Eltern in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt sind, überfordert, psychisch krank oder suchtabhängig. Weil eine Trennung eskalierte. Das Kindeswohl gefährdet war. Oder weil ein Elternteil verstorben ist, der andere mit der Situation nicht fertig wurde.
Von der Polizei abgeholt
Lena und ihr älterer Bruder kamen 2008 in die Wohngruppe Raderthal. Da war sie sieben Jahre alt, ihr Bruder neun. „Irgendwann stand plötzlich die Polizei mit zwei Wagen vor unserer Schule. Ich musste mich entscheiden, ob ich in das Auto steige, in dem meine Mutter sitzt, oder in das, in dem mein Bruder wartet.“ Lena entschied sich für den Bruder – und damit fürs Heim. Irgendwer hatte die Polizei, die wiederum das Jugendamt verständigt, da das befreundete Ehepaar, das die beiden Geschwister hütete während die Mutter arbeitete, das nicht zum Wohle der Kinder tat.
KidS sorgte für 1023 Kinder in Köln
Neben den stationären Wohngruppen bietet KidS an insgesamt 16 Standorten in Köln auch teilstationäre, familiäre und ambulante Hilfen. In 2017 versorgte, betreute, erzog und förderte KidS insgesamt 1023 Kinder und Jugendliche, egal welcher Nationalität, Herkunft oder Religion dauerhaft oder in Krisensituationen. 183 von ihnen wurden in vollstationären Wohngruppen betreut, 64 in teilstationären, 484 in Notaufnahmegruppen der Inobhutnahme, 17 junge Menschen suchten ambulante Hilfe, 54 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Unterstützung in einer Erstaufnahme-Einrichtung und 182 Jungen und Mädchen wurden in eine Pflegefamilie vermittelt. Daneben stärkt KidS Eltern in der Erziehungsverantwortung, unterstützt und entlastet sie durch Hilfsangebote – „in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und mit den Eltern“, betont Maruan Azrak, Leiter der KidS-Wohngruppen.
Highlight des Sommers
Wie zum Beweis klingelt das Telefon im Wohnzimmer, in dem sich der Besuch mit den Bewohnern um eine Fotogalerie mit Bildern aus Holland versammelt hat. Marias Mutter ist am anderen Ende der Leitung, möchte wissen, was ihre elfjährige Tochter heute in der Europaschule erlebt hat. Doch die hat ausnahmsweise keine Lust auf Plaudereien. Lieber will Maria den Besuchern Marco Späth und Erik Hufer von den „Lost Sisters“ und Hedwig Neven DuMont erzählen, was sie im Sommer im niederländischen Westkapelle erlebt hat.
Normalität tut unglaublich gut
Und warum dieser Urlaub so richtig und wichtig ist. Lena stimmt in den Lobgesang ein. Zehnmal war sie gemeinsam mit ihren Mitbewohnern, Gruppenleiterin Simone Krasinski und Stellvertreterin Andrea Bast im Urlaub – für acht Tage. Achtmal in Holland, zweimal im Emsland. „Die Freizeiten waren das Highlight des Jahres. Wir haben alle lange darauf hin gefiebert“, schwärmt Lena. Weil sie dort vom Alltag abschalten konnten. Sich wie eine echte Familie fühlten. In der Schule vom Urlaub erzählen durften. „Wie alle, die bei ihrer Familie leben“, bemerkt Maria strahlend. Normalität tut gut.
Mutter ist und bleibt Mutter
Heimweh kennt die Elfjährige nicht. Auch zwei ihrer Geschwister leben in Wohngruppen von KidS – der jüngste Bruder ist bei einer Pflegefamilie untergekommen. Maria hat von ihren Betreuern, in Therapien und vielen Elterngesprächen im Laufe der vergangenen sechs Jahre gelernt, dass ihre Mutter, „trotz dass sie uns weggeben musste, nie weggehen und immer für uns da sein wird.“
Auch wenn Maria ab und an „gruppenmüde und genervt von den anderen, vor allem quengelnden Kleinkindern ist“, sieht sie das Leben in der Raderthaler Wohngruppe alles in allem als Ergänzung – und Bereicherung. Hier wird sie schulisch unterstützt. Hier wird ihr Tanzunterricht und Therapie geboten.
Spendierter Sommerurlaub
Und auch in diesem Jahr wieder ein Sommerurlaub – dank des Spendensegens der „Lost Sisters“, der aus den Einnahmen der Benefiz-Party an Weiberfastnacht in den Rheinterrassen stammt. Warum die Spende nötig ist und dankbar angenommen wird, erklärt KidS-Direktor Jürgen Haas: „Die Grundfinanzierung der Freizeiten wird zwar vom Jugendamt übernommen, doch die reicht bei weitem nicht aus, um in den Hauptsaison während der Schulferien ein kindgerechtes Haus für mindestens neun Personen pro Wohngruppe zu mieten.“
Knabbereien und Emotionen
Zum Abschied am Buffet gibt’s Kuchen, Kaffee, Knabbereien – und Emotionen: „Uns wird es warm ums Herz, wenn wir sehen, wie hier Großfamilie gelebt wird – es ist schön zu wissen, dass unser Geld goldrichtig zum Einsatz kommt“, sagt Marco Späth.
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