ModeDie neuen Strümpfe stellen Kleider in den Schatten

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Illustration: bestrumpfte Beine

Strümpfe

Strümpfe sind nebensächlich? Nicht, wenn man mit der Mode gehen will. Denn die richtet den Fokus nicht nur in diesem Herbst und Winter, sondern auch im Frühjahr darauf.

Socken durften lange nur minimalistisch bis unauffällig sein, Strumpfhosen wurden von Leggings verdrängt. Füße und Knöchel ließ man am besten unbedeckt. Kein Wunder, dass der Barfußschuh freie Bahn hatte: Er ist mittlerweile in den Großstädten angekommen. Sein Weg führte ihn raus aus der Gesundheitslatschen-Nische rein in die urbane Streetstyleszene. Es gibt für Herbst und Winter sogar gefütterte Modelle.

Bodenhaftung und Erdverbundenheit soll man trotzdem uneingeschränkt spüren können: Eine extra dünne und flache Sohle verspricht ein „natürliches Lauferlebnis“. Albert Einstein (1879–1955), der sich nie um Mode scherte, aber berühmt war für seine genialen Ideen, kultivierte das Barfußlaufen in Schuhen für sich bereits, als er noch ein Kind war. Da war Barfußlaufen allgemein weder Gesundheitstick noch Lifestyleattitüde, sondern schlicht ein Zeichen von Armut.

Der berühmte Wissenschaftler stammte keineswegs aus prekären Verhältnissen, empfand Socken aber nach eigenen Worten als unbequem, weil sein großer Zeh immer Löcher hineingebohrt habe. Als Erwachsener versuchte er den „Mangel an Zivilisation“, wie er sein Barfußfaible selbst nannte, noch mit hohen Stiefeln zu verbergen. Doch in späteren Jahren scheute der Physiker nicht davor zurück, selbst bei einem Besuch im Weißen Haus dem Präsidenten sichtbar ohne Socken gegenüberzutreten.

Ich habe ein Alter erreicht, in dem ich keine Socken mehr tragen muss, wenn mir jemand sagt, dass ich welche tragen soll.
Albert Einstein

Die Freiheit seiner Füße war Einstein heilig: „Ich habe ein Alter erreicht, in dem ich keine Socken mehr tragen muss, wenn mir jemand sagt, dass ich welche tragen soll“, sagte er mal. Für seine Biografen Andrew Robinson und Walter Isaacson symbolisiert die Sockenfrage gleichermaßen Einsteins Rebellentum und seine Vorliebe für Einfachheit. Damit wird dem Thema Fußbekleidung doch relativ viel Gewicht beigemessen.

Mittlerweile gilt nicht Barfußlaufen, sondern Strümpfetragen als mutig und auch als ein bisschen rebellisch, wenn man sich die aktuellen Modelle und die Strumpfmode für 2024 anschaut. Socken, Kniestrümpfe und Strumpfhosen sind nicht länger nur notwendige Teile der Basisgarderobe, die nur dem Zweck dienen, Beine und Füße bei niedrigen Temperaturen warm zu halten. Vielmehr handelt es sich vor allem in der Damenmode um Accessoires, die zum Teil derart ins Auge stechen, dass sie selbst Röcke und Kleider in den Schatten stellen.

. Der Umsatz an Strumpfwaren ist nach gehörigen Einbrüchen in den Nullerjahren seit 2018 wieder stetig gestiegen.
Kerstin Hergt

Der neue Strumpfsinn zeigt sich auch in Zahlen: Dem Portal Statista zufolge beläuft sich der Umsatz für Strumpfware in Deutschland in diesem Jahr auf mehr als 2,7 Milliarden Euro, davon entfallen 1,2 Milliarden Euro allein auf Socken und Strümpfe für Frauen. Der Umsatz an Strumpfwaren ist nach gehörigen Einbrüchen in den Nullerjahren seit 2018 wieder stetig gestiegen, für 2028 erwartet die Strumpfbranche gar einen Umsatz von knapp 3 Milliarden Euro.

Die Strümpfe der Luxuslabels

Die Mode der Luxuslabels könnte die Nachfrage weiter antreiben: Wer sich zu den Fashion Weeks in diesem Jahr auf die Socken gemacht hatte, trug bevorzugt weiße Tennissocken in Loafern, knallrote oder weiße Strumpfhosen unter ultrakurzen Röcken – um dann vor allem dunkle Feinstrumpfhosen und jede Menge Kniestrümpfe auf den Laufstegen zu sehen.

Bei Vivienne Westwood dominieren verschiedenfarbige Kniestrumpfpaare mit eher rustikaler Note, bei Victoria Beckham transparente Versionen zu schmalen Minikleidern, bei Maison Margiela auch für Männer weiße Exemplare mir schwarzem Schleifchen. Beim Label Rokh darf der Strumpf auch verrutschen und stulpenähnlich die Wade bedecken, ebenso wie bei Etro. In ist auch, Kniestrümpfe von Nike oder Adidas in Pumps zu tragen. Hauptsache, der Strumpf fällt auf. Daher darf er auch über den Stiefelrand ragen.

Die Feinstrumpfhose war lange ein No-Go auf den Laufstegen und selbst bei kaltem Wetter verpönt bei modeaffinen Influencerinnen oder Schauspielerinnen. Nur für weibliche Royals sind Strümpfe selbst bei sommerlichen Temperaturen Pflicht. Daran wollte sich Meghan Markle selbst im November nicht halten, als sie 2017 zum Verlobungsfoto mit Prince Harry schritt: Leicht zitternd, aber strumpflos rebellierte sie auf ihre Art das erste Mal gegen das Protokoll.

Socken in Badeschlappen und Birkenstocks salonfähig

Nun ist Meghan fast Geschichte, doch die Feinstrumpfhose feiert ihr Comeback: Die schwarze, leicht durchsichtige Strumpfhose wird beispielsweise bei Chanel besonders durch die Kombination mit weißen Kleidern oder Röcken in Szene gesetzt. Auch knallrote oder weiße Strumpfhosen in Spitzenoptik sind angesagt. Nur hautfarbene Modelle sind offenbar zu langweilig. Strümpfe sollen Blickfang sein. Das hat sich schon mit dem Trend der vergangenen Sommer angedeutet, als Socken in Badeschlappen und Birkenstocks salonfähig wurden.

Eine Sache wird sich wohl eher nicht durchsetzen: die Idee von Gucci und Miu Miu, den Strumpfhosenbund absichtlich über der Gürtellinie hervorblitzen zu lassen, insbesondere bei auf der Hüfte sitzenden Röcken. Andererseits ist ein sichtbarer Strumpfhosenbund, in den noch dazu der Pulli reingefriemelt wird, auch nicht peinlicher als der aus der Jeans hervorlugende Rand einer Boxershorts oder gar der obere Teil eines Stringtangas, wie es in der letzten Hüfthosendekade der Nullerjahren weit verbreitet war.

Auch wenn es modische Ausreißer und Extravaganzen in Sachen Strumpfmode gibt, ist doch grundsätzlich zu begrüßen, dass man nicht gleich als bieder gilt, wenn man selbst im Winter nicht nur Sneaker-Socken trägt, sondern auch mal bis zum Anschlag hochgezogene Strümpfe. Denn kalte Füße sind unangenehm, das räumte selbst Einstein ein.

Schon in vorchristlicher Zeit behalfen sich die Menschen mit Fußbekleidung aus Leder oder auch Baumwolle, um es bequem und warm zu haben. Das Wort Socke leitet sich vom lateinischen Soccus ab. Dabei handelt es sich um einen Schlupfschuh mit sehr flacher Sohle aus Leder oder Filz – ähnlich einem Barfußschuh. Er wurde im antiken Rom aber fast nur von kränklichen oder alten Menschen getragen. Barfüßigkeit bedeutete also Vitalität. Erst im 16. Jahrhundert kam in Europa der gestrickte Strumpf auf – und war zunächst ein Luxusgut.


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