„Bücherspuren“Traurige Reise einer Bibliothek

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„Fröhliche Wissenschaft“ war das Lebensmotto der gelehrten Schwestern Helene und Elise Richter.

„Fröhliche Wissenschaft“ war das Lebensmotto der gelehrten Schwestern Helene und Elise Richter.

Lindenthal – Das Motiv, das die Wiener Schwestern Elise und Helene Richter zur Kennzeichnung ihrer Bücher verwendet haben, zeigt eine heiter studierende Frau in einer Renaissancelaube. „Fröhliche Wissenschaft“ war das Lebensmotto der gelehrten Frauen. Das eigene Leben der Professorin Elise Richter, die als erste Frau an einer deutschsprachigen Universität einen Lehrstuhl für romanische Philologie innehatte, und ihrer Schwester Helene, einer renommierten Anglistin, endete dagegen in Armut, Entehrung, Verfolgung. Die betagten Damen, 78 und 82 Jahre alt, starben im Konzentrationslager Theresienstadt. Zuvor waren die evangelischen Frauen ihrer jüdischen Vorfahren wegen aus allen Ämtern gedrängt worden und gezwungen, zum Lebensunterhalt ihre umfangreiche Bibliothek zu verkaufen. Ein großer Teil dieser Bücher landete in der Universitätsbibliothek zu Köln.

„Dass Bücher ebenso wie anderes Kulturgut während der Nazizeit den rechtmäßigen Besitzern entzogen wurden, ist nicht selten“, sagt die Bibliothekarin Christiane Hoffrath. Ungewöhnlich ist aber, dass sich der Weg der Bücher und der Lebensweg der früheren Besitzer anhand geretteter Dokumente so genau nachverfolgen lassen. Christiane Hoffrath beschäftigt sich seit 2005 mit der Recherche und Rekonstruktion der Richter-Bibliothek. Was ihre fast kriminalistischen Untersuchungen zutage förderten, ist eine ebenso bittere wie spannende Geschichte - und ein politisches Mahnmal, das nahezu sieben Jahrzehnte nach dem Tod der Schwestern erschütternd wirkt.

In einem Buch mit dem Titel „Bücherspuren“ hat die Wissenschaftlerin die Ergebnisse aufgearbeitet; eine Ausstellung in der Universitätsbibliothek informiert über Leben und Werk der Schwestern, ihre Verfolgung und den Weg des Bücherverkaufs nach Köln, aus dem sie wegen unglücklicher Umstände am Ende doch kein Geld bekamen. Schließlich geht es um die - immer noch andauernde - Suche nach erhaltenen Bänden der einst 2700 Werke umfassenden Bibliothek; 535 Bücher sind jetzt noch im Bestand.

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Ein Briefwechsel der Schwestern aus den Jahren 1941 bis 1943 mit dem damaligen Leiter der Universitätsbibliothek Köln, Hermann Corsten, belegt die ausführlichen Verhandlungen um den geplanten - wiewohl erzwungenen - Bücherverkauf. Der Wiener Universitätsbibliothek wollten die Schwestern ihre restliche Sammlung nicht überantworten, nach Köln gab es aber gute Kontakte über zwei Romanistik-Professoren, die Helene Richter verbunden waren.

Obwohl Corsten dem Kuratorium der Universität zu Köln nach einer persönlichen Besichtigung der Richter-Bibliothek den Ankauf „zu einem Spottpreise“ von 1,30 Reichsmark je Einzelwerk schmackhaft gemacht hatte und die Bücher 1942 nach Köln versandt wurden, kam es nicht zur Übersendung des bereitstehenden Gesamtbetrages von 6000 Reichsmark. Corsten war infolge einer Kriegsverletzung lange krank, sein Vertreter nicht eingeweiht - „eine Verkettung unglücklicher Umstände“ hat die Kölner Forscherin ermittelt.

Für ihre Arbeit, die über die Erforschung des jetzigen Buchbesitzes hinaus dem Leben der Richterschwestern nachgeht und das empörende Unrecht offenkundig macht, hat Christiane Hoffrath bei der Kölner Universitätsbibliothek große Unterstützung gefunden. „Wir wollen das Unrecht aufdecken und versuchen zu heilen“, sagt Bibliotheksleiter Prof. Wolfgang Schmitz.

Bei der NS-Herkunftsforschung - gemäß einem Appell der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien - wird in Köln beispielhafte Arbeit geleistet. Der Rückgabe ermittelten Raubguts haben die Stadt (für den Altbestand) und das Land (für neuere und neu erworbene Bestände) zugestimmt. Im Fall der Richter-Bibliothek war es bisher nicht möglich, eventuelle Erben zu ermitteln. Bei der Suche nach weiterem Raubgut wird die Wiedergutmachung aber angestrebt. Die Rolle der Universitäten in diesem dunklen Kapitel der Geschichte erledigt sich „nicht durch Abwarten, sondern muss zwingend öffentlich gemacht werden“, sind sich Schmitz und Hoffrath einig.

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