„Die jungen Leute sehen keine Perspektive“

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Christoph Butterwegge.

Christoph Butterwegge.

Nach dem Überfall auf einen 37-jährigen Deutsch-Äthiopier in Brandenburgs Hauptstadt Potsdam ist das Thema Rechtsextremismus wieder auf der Tagesordnung. Über die Ursachen der Gewalt im Osten sprach KSTA-Online-Redakteur Dogan Michael Ulusoy mit dem Rechtsextremismus-Experten und Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln, Christoph Butterwegge.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Butterwegge, warum driften Jugendliche vor allem im Osten immer stärker in die rechtsextreme Szene ab?

CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Sie fühlen sich in dieser Gesellschaft schlicht nicht mehr wohl und sehen keine Perspektive, beruflich und sozial Fuß zu fassen. Auf die gerade im Osten äußerst prekäre Arbeitsmarktsituation reagieren die Gewalttäter, indem sie ihren Frust an Schwächeren auslassen und sich selbst zu Herrenmenschen erklären. Das Gefühl, in einer insgesamt immer reicher werdenden Gesellschaft vergessen und vernachlässigt zu sein, den Staat und die Politik nicht auf ihrer Seite zu haben, ist der tiefer liegende Grund für Attacken gegen Migranten.

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KÖLNER STADT-ANZEIGER: Weshalb werden gerade in den neuen Ländern so viele rechtsextreme Straftaten verübt, obwohl dort die Zahl der Ausländer geringer ist als in den alten Bundesländern?

CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Rassistisch motivierte Gewalt ist keine Reaktion auf die Zahl der Zuwanderer. Ausgangspunkt ist die beschriebene soziale Misere, aber auch eine bestimmte politisch-ideologische Ausrichtung. Man glaubt, Ausländer würden einem die Arbeitsplätze wegnehmen. Was natürlich absurd ist, weil die wenigen Zugewanderten im Osten den vielen arbeitslosen Einheimischen unmöglich die Jobs wegnehmen können. Die rechte Ideologie konnte sich in den neuen Ländern so gut verbreiten, weil Parteibüros und Führungspersonal von Neonaziorganisationen gezielt dorthin verlagert wurden. Insofern kann man nicht sagen, die Ostdeutschen seien grundsätzlich anfälliger für rechte Weltanschauungen. Es wurde vielmehr ganz bewusst vom Westen aus in diese Richtung gearbeitet.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Seit Monaten werden im brandenburgischen Rheinsberg ausländische Geschäftsleute von Rechtsradikalen regelrecht terrorisiert. Die Staatsanwaltschaft spricht beim Potsdamer Angriff von einem „extremen Einzelfall“. Wird rechte Gewalt immer noch verharmlost?

CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Ja, denn sie ist immer auch mit einem Stigma verbunden. Wenn sich eine bestimmte Region offen zu rassistisch motivierten Übergriffen bekennt, hat sie ein echtes Imageproblem. Ich erinnere da nur an die sächsische Kleinstadt Sebnitz, wo man zunächst davon ausging, ein Junge sei von Skinheads ermordet worden. Doch dann stellte sich als Todesursache ein Badeunfall heraus. Gut wäre es, wenn das Bild einer Stadt dahingehend positiv beeinflusst wird, dass sie rechtsextreme Gewalt konsequent bekämpft.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Welche Verantwortung trägt die Politik für die Lage der Jugendlichen?

CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Die Politik hat einen Reformprozess eingeleitet, der für manche Menschen große Nachteile und soziale Probleme mit sich bringt. Damit schafft man auch den geistigen Nährboden für Rechtsextremismus. Wenn man weiter die Mittel für Jugendeinrichtungen im Osten streicht oder kürzt, wird man dem Problem sicher nicht gerecht.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Und welche Rolle spielen die Medien?

CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Sie sind leider stark ereignis- und täterorientiert. Entweder der Rechtsextremismus wird völlig ignoriert oder aber extrem dramatisiert, wie jetzt im Falle der spektakulären Tat von Potsdam oder bei sensationellen Wahlerfolgen rechter Parteien. Nur dann nimmt die Öffentlichkeit das Problem für kurze Zeit zur Kenntnis.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Was kann die Politik tun, um rechtsextreme Jugendliche besser in die Gesellschaft zu integrieren?

CHRISTOPH BUTTERWEGGE: Entscheidend hierfür ist letztlich die Lösung der ökonomischen und sozialen Probleme in Deutschland. Statt den Druck immer nur auf die jungen Arbeitslosen zu erhöhen, sollte die Wirtschaft viel stärker in die Pflicht genommen werden, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. An diesem Punkt müsste die Politik aus meiner Sicht viel hartnäckiger sein.

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