Köln/Düsseldorf – Womöglich wird niemand je als Verantwortlicher für den Betonplatten-Tod einer 66-Jährigen auf der A3 ausgemacht werden können. Warum seit zwölf Jahren die Flickschusterei an der Lärmschutzwand in Dellbrück bekannt war, aber niemand etwas unternommen hat, ist auch knapp einen Monat nach dem Unglück unklar.
„Ich weiß schlicht und ergreifend nicht, warum da irgendwann nichts mehr passiert ist“, sagte ein sichtlich ratloser Verkehrsminister Hendrik Wüst am Mittwoch im Verkehrsausschuss des NRW-Landtags. Die Versäumnisse beim Landesbetrieb Straßen NRW waren „wenigstens mitursächlich“ für den Unfall, wie ein Bericht des Verkehrsministeriums nun feststellte.
Abnahme des Bauwerks war nur unter Vorbehalt
Von der notdürftigen Montage der Lärmschutzwand 2008 bis zum Insolvenzantrag der Baufirma Ende 2013 vergingen fünfeinhalb Jahre. Schon die Abnahme des Bauwerks war nur unter Vorbehalt dieser Ausbesserungen vorgenommen worden. Die Nacharbeiten aber hat es bis zum Unfall Mitte November nicht gegeben. Demnach war die fehlerhafte Verankerung ursächlich für den Sturz der Betonplatte aus der Wand und damit den Tod der Autofahrerin.
Laut des Berichts gingen die Versäumnisse des Landesbetriebs aber noch weiter: „Anders als zunächst nach dem Unfall angenommen, musste nach Auswertung der Bauakten festgestellt werden, dass diese nicht richtlinienkonforme Befestigung einiger Lärmschutzelemente der örtlich zuständigen Bauüberwachung des Landesbetriebes bekannt gewesen war“, heißt es darin.
Zu wenig Personal?
Die Abweichung von der Planung bei den betroffenen Konstruktionen sei am 22. Juli 2008 der Baufirma erstmals schriftlich per E-Mail angezeigt worden. Darüber hinaus habe die Bauüberwachung des Landesbetriebes die Baufirma schon vor dem Einbau der Lärmschutzelemente per E-Mail aufgefordert, statische Nachweise dafür vorzulegen, dass die veränderten Konstruktionen sicher sind.
Obwohl es diese Nachweise nie gab, seien die Lärmschutzelemente in der Nacht auf den 28. August 2008 eingebaut worden. Der Bericht des Ministeriums kommt zu dem Ergebnis: „Der Einbau der Lärmschutzplatten hätte nicht erfolgen dürfen.“ Wüst ergänzte im Landtag: „Hier ist eine Reihe von Fehlern passiert, die nicht hätten passieren dürfen.“
Verkettung individueller Nachlässigkeiten?
Warum es dennoch so gekommen ist und offenbar niemanden mehr gekümmert zu haben scheint, ist nun die Frage, die politisch und juristisch zu klären ist. Wüst kündigte an, klären zu lassen, ob es eine Verkettung individueller Nachlässigkeiten oder strukturelles Versagen war. Für zweiteres könnte die Personallage im Landesbetrieb sprechen, den die SPD als mögliche Begründung aufführte.
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„Es ist offensichtlich so, dass zu Beginn des Jahrzehnts ein massiver Personalabbau stattgefunden hat“, sagte der verkehrspolitische Sprecher Carsten Löcker. Vielleicht sei dabei das Risikomanagement „auf der Strecke geblieben“. Den Vorwurf wies Minister Wüst zurück. Das Personal habe „nie in Rede gestanden. Daran dürfen wir nicht sparen“, sagte Wüst. Die strafrechtlichen Verantwortlichkeiten ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln, die ihr eigenes Gutachten in Auftrag gegeben hat.
Weitere Kette von Nachlässigkeiten
Dass die Platten in jenem Sommer 2008 erst in der Nacht vor der feierlichen Einweihung der Lärmschutzwand eingesetzt wurden, ist für den Minister kein Zeichen dafür, dass das Bauwerk auf politischen Druck hin eilig und notdürftig fertiggestellt wurde. Der Termin sei aus bautechnischen Gründen festgelegt worden. Es habe kein Druck bestanden, weil „da unbedingt jemand ein Band durchschneiden wollte“, sagte Wüst.
Aber auch nach dem Einbau „wurde die Vorlage geprüfter statischer Nachweise für die veränderte Verankerungskonstruktion mehrfach schriftlich eingefordert“, heißt es nun im Bericht des Ministeriums. Nachdem die Firma nicht antwortete, habe man – so das Fazit des Berichts – irgendwann auch nicht mehr nachgefragt. In den kommenden Jahren sei es zu weiteren Fehlern gekommen: So seien die Hauptprüfungen bei den betroffenen Stützwänden vom Landesbetrieb nicht mehr regelkonform gewesen.
Konstruktion bekam bei Hauptausschuss die Note 1
Weder im Herbst 2008 noch 2013 habe man die fehlerhaften Verankerungen bemerkt, da man nicht – wie vorgeschrieben – auch hinter die Platten gesehen habe. Bei der Hauptprüfung 2013 bekam die Konstruktion die Note 1. Die nächste turnusmäßige Prüfung 2019 wurde verschoben, weil die Arbeitsbelastung zu hoch war.
Am 13. November schließlich zerquetschte die sechs Tonnen schwere Betonplatte den Kleinwagen einer 66-jährigen Kölnerin wie eine Konservenbüchse. Die Frau war sofort tot.