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Ausschuss zur Kölner SilvesternachtOpfer zur Aussage gezwungen

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Szenen aus der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof.

Köln – Nach den vorige Woche bekannt gewordenen beiden mutmaßlichen Vergewaltigungen vor dem Hauptbahnhof in der Silvesternacht sind Polizei und Staatsanwaltschaft Köln einen entscheidenden Schritt voran gekommen. Sie kennen nun die Identität zumindest einer der beiden Frauen, die die Taten Anfang des Jahres in vertraulichen Gesprächen mit der Beratungsstelle „Lobby für Mädchen“ geschildert hatten. „Im Übrigen wird weiter ermittelt“, sagte Staatsanwalt Benedikt Kortz.

Vorige Woche hatte die Koordinatorin der Beratungsstelle, Frauke Mahr, vor dem Untersuchungsausschuss im Landtag zum Erstaunen der Abgeordneten erstmals von den beiden Fällen berichtet. Im Anschluss hatte die Staatsanwaltschaft Köln umgehend Ermittlungen aufgenommen – wozu sie rechtlich verpflichtet ist.

Unter anderem luden die Ermittler Mahr und eine Kollegin zur Vernehmung und fragten nach der Identität der beiden Opfer. Anders als etwa Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten haben die Koordinatorin und die Beraterin kein Recht, ihre Aussage zu verweigern – obwohl sie das nur zu gerne getan hätte, betont Mahr. In einem Brief an die Abgeordneten des Ausschusses legt sie dar, sie sei bei ihrer Aussage vor den Parlamentariern „in gutem Glauben davon ausgegangen, dass den betroffenen Klientinnen kein Schaden daraus erwachsen“ würde.

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In ihrem Schreiben führt Frauke Mahr aus: „Wir haben eine Klientin, die sich anonym an uns gewendet hat und unsere Unterstützung wünschte. Sie hatte für sich ganz klar entschieden, keine Aussage vor der Polizei zu machen und keine Anzeige zu erstatten. Und trotzdem wird sie jetzt in eine Situation gezwungen, die sie absolut nicht wollte.“ Mahr fragt: „Wie soll das Thema Sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft wahr- und ernst genommen werden, wenn Fachfrauen aus Beratungsstellen nicht mehr sagen können, dass sie mit dem Thema befasst sind, weil sie dann Vorladungen von Ermittlungsbehörden und Durchsuchung der Beratungsstelle riskieren?“

Auch Jura-Professor Michael Kubiciel vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung der Universität Köln sieht die Staatsanwaltschaft in einer „besonderen Zwickmühle“. Aber: Das Gesetz lasse ihr keine andere Wahl. Zwar hatten die Beraterinnen keine Pflicht, die Taten anzuzeigen, nachdem sie davon erfahren hatten, aber eben auch kein Schweigerecht in dem Moment, als Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen aufnahmen. „Da gilt für die Beraterinnen dasselbe wie für jeden anderen Bürger auch: Man muss die Ermittlungen unterstützen.“ Grundsätzlich müssen Zeugen, die sich dem verweigern, im äußersten Fall mit einer Strafanzeige und einem Ordnungsgeld bis zu 2000 Euro oder Ordnungshaft rechnen.

Die Mitglieder im Silvester-Untersuchungsausschuss, dort also, wo Mahrs Dilemma seinen Lauf nahm, sind zerknirscht. Die nun entstandene Situation hat auch die Parlamentarier überrascht – viele fragten zunächst einmal die hauseigenen Juristen, ob und wie sich der Konflikt womöglich lösen lasse. „Polizei und Staatsanwaltschaft müssen ermitteln“, sagt die für den Opferschutz zuständige Abgeordnete Josefine Paul (Grüne). Gleichzeitig wünsche sie sich aber von den Ermittlern, dass sie „etwas sensibler mit der Situation umgehen und etwa die Beraterinnen nicht so unter Druck setzen“, sagt Paul.

Ihr FDP-Kollege Marc Lürbke bringt eine Gesetzesänderung ins Gespräch: „Wer anonym Hilfe sucht, muss auch anonym Hilfe bekommen können“, sagt Lürbke. Womöglich müsse geprüft werden, ob sich der Kreis derjenigen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden werde, erweitern lasse. „Schutz eines Opfers von sexualisierter Gewalt darf doch nicht vom Zufall abhängen, an welche Beratungshilfe es sich gerade aus persönlichen Gründen wendet“, meint der FDP-Mann.

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