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Attentat in MoskauTerroristen aus Zentralasien – auch für Köln eine Gefahr

Lesezeit 6 Minuten
Blumen und ein Teddybär liegen am Zaun der russischen Botschaft, die nach dem Anschlag in Moskau dort abgelegt wurden. Bei dem Terroranschlag auf das Veranstaltungszentrum Crocus City Hall am Stadtrand von Moskau ist die Zahl der Toten nach Angaben der Ermittler auf mehr als 130 gestiegen.

Blumen und ein Teddybär liegen am Zaun der russischen Botschaft, die nach dem Anschlag in Moskau dort abgelegt wurden.

Der IS-Ableger Provinz Khorasan soll hinter dem Anschlag in Moskau stecken. Auch den Kölner Dom hatten Mitglieder im Visier.

Bei den Attentätern, die in der Crocus City Hall nahe Moskau 133 Menschen töteten, soll es sich um zentralasiatische Tadschiken handeln. Hinter ihnen steckt offenbar die Terror-Miliz „Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“ (ISPK). Der auf 2500 Kämpfer geschätzte afghanische Ableger gilt nach dem Niedergang der IS-Zentrale in Syrien und im Irak als einer der einflussreichsten Organisationen im Terror-Netzwerk.

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wird er von pakistanischen, afghanischen und zentralasiatischen Dschihadisten dominiert. Zu ihnen gehört wohl auch der Zirkel um den tadschikischen Flüchtling Mukhammadrajb B., der zum Jahreswechsel Anschläge auf den Kölner Dom und den Stephansdom in Wien geplant haben soll.

Seit Jahren versucht der ISPK, den islamistischen Terror nach Europa und Deutschland zu tragen. Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, warnte bereits im Juni 2023 davor, dass „die Anschlagsgefahr so hoch ist wie lange nicht mehr“. So rufen die selbst ernannten Kalifats-Brigaden zu Anschlägen gegen „die Kreuzritter und Juden“ auf.

Alles zum Thema Herbert Reul

Laut einem internen Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) zum ISPK „bleibt der Gefährdungsaspekt für Deutschland hoch“. Insbesondere vor der anstehenden Fußballeuropameisterschaft im eigenen Land im Sommer. Derzeit spielt die Anti-Terrorabwehr alle möglichen Anschlagsszenarien durch: Ferngelenkte Drohnen, Modellbauautos, Attacken auf Stadionbesucher.

Gefährdungspotenzial auch im Zusammenhang mit der Fußball-EM in Deutschland

Kürzlich erst hatte NRW-Innenminister Herbert Reul die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern aufgefordert, die Anschlagsgefahr in Deutschland durch Islamisten aus Zentralasien stärker in den Blick zu nehmen. Das geht aus einem Schreiben des CDU-Politikers an die Innenministerkonferenz (IMK) hervor, das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ veröffentlichte. Aufgrund des „hohen abstrakten Gefährdungspotenzials, auch im Zusammenhang mit der Fußball-Europameisterschaft“, sei eine Befassung der IMK mit dem Thema bei der Frühjahrstagung dringend erforderlich, heißt es.

In den vergangenen Jahren hätten die deutschen Sicherheitsbehörden in mehreren Ermittlungskomplexen festgestellt, „dass vermehrt islamistisch-terroristische Personen aus dem zentralasiatischen Raum“ in Deutschland agieren würden. Dabei handele es sich um Personen aus Tadschikistan, Kirgisistan, Usbekistan und Turkmenistan mit aktuellem Wohnsitz oder Aufenthalt in Deutschland. Ein „örtlicher Schwerpunkt“ sei NRW.

Die Verdächtigen verfügten über Verbindungen zur Terrorgruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan. „Hier versucht der ISPK, insbesondere selbstradikalisierte Einzeltäter und autonom agierende Kleinstgruppen zu Anschlägen zu animieren und in Teilen auch hierbei anzuleiten“, warnte der Minister.

Einreise nach Deutschland mit gefälschten Flüchtlingsgeschichten

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ reisen die Dschihadisten mit falschen Papieren oder Fluchtgeschichten verstärkt nach Deutschland ein, um Asylanträge zu stellen. So verurteilte der Düsseldorfer Staatsschutzsenat im Mai 2022 ein fünfköpfiges tadschikisches Kommando zu Haftstrafen zwischen vier und neuneinhalb Jahren. Die Angeklagten hatten Bombenanschläge mit Drohnen auf US-Militärbasen in Deutschland geplant. Zudem verfügte die Gruppe über weitreichende Beziehungen zur militanten Islamistenszene in Österreich.

Auf Geheiß von ISPK-Führungskadern sollte die Terrorzelle in Neuss einen Islamkritiker töten, der sich von seiner Religion abgewandt hatte. Der Anschlag war als PR-Aktion für den ISPK gedacht. Demnach sollten die Terroristen Bilder des Opfers machen. Zusammen mit einem Aufruf zum Kampf gegen die „Ungläubigen" sollten die Aufnahmen auf YouTube veröffentlicht werden. Der Mordplan scheiterte.

Nach dem Fehlschlag des ersten Terror-Kommandos kam im Februar 2022 die zweite transasiatische Truppe über die Ukraine und Polen nach Deutschland. Um einen Aufenthaltsstatus zu bekommen, wurden Geschichten über Folter und Gefängnis erfunden. Nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes hatte der mutmaßliche Kopf der Gruppe, Abdusamad A., genannt „der Sheikh“, bereits zwei Jahre zuvor mit zwei ISPK-Instrukteuren alle Details erörtert, um in Europa ein Blutbad anzurichten.

Wegen eines befürchteten Anschlags bewacht die Polizei den Dom. Die Silvesternacht blieb ruhig.

Wegen eines befürchteten Anschlags bewachte die Polizei in der Silvesternacht den Dom.

Zum Jahreswechsel 2022/23 wurde demnach einer der Hauptakteure der zentralasiatischen Terror-Zelle ungeduldig. Von seinem Sheikh, der in den Niederlanden lebte, wollte der Turkmene Ata A. wissen: Wann führen wir hier einen Anschlag durch? Der bat um Geduld.

Die Staatsschützer hatten die Gruppe zu dieser Zeit schon auf dem Schirm. Und so verfolgten Observationseinheiten Mitglieder der neunköpfigen Zelle, die an Ostern 2023 eine große Kirmes in Köln als mögliches Anschlagsziel ausgespäht haben sollen. Zeitweilig geriet auch die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin-Moabit ins Blickfeld. Das Gebetshaus lädt Muslime ein – und engagiert sich dabei auch für die LGBTQ-Bewegung unter den Gläubigen. In den Augen des ISPK galt die Moschee deshalb als ein „Ort der Teufelsanbetung“.

Ideale Ziele seien Polizei, Straßen, Festivals, Märkte und Einkaufszentren

Im Online Magazin „Voice of Khurasan" hetzten die Verfasser gegen das Berliner Gotteshaus. Mittels einer Grafik mit dem englischen Titel „Kill them, where ever you find them" (Tötet sie, wo immer ihr sie findet) rief man die „Unterstützer des Kalifats" zu Anschlägen im Westen auf. Als ,,ideale Ziele" wurden Polizei, Straßen, Outdoor-Festivals, Märkte und Einkaufszentren, Demonstrationen sowie generell öffentliche Ansammlungen aufgeführt.

Ehe es zu dem geplanten Blutbad gegen „die Ungläubigen“ (Kuffar) kommen konnte, wanderte die zweite zentralasiatische Terror-Clique im Juli 2023 in Untersuchungshaft. Doch etliche so genannte „Kontaktpersonen“ scheinen die Nachfolge-Generation aufgebaut zu haben, ein Zirkel um den tadschikischen Flüchtling Mukhammadrajb B., der zum Jahresende Anschläge auf den Kölner Dom und den Stephansdom in Wien geplant haben soll. Die ISPK-Anhänger wollten vermutlich ein mit Sprengstoff vollgepacktes Auto an Weihnachten oder Silvester vor der Kölner Kathedrale in die Luft sprengen, so der Verdacht.

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Sicherheitskreisen erfuhr, sollte der Sprengstoff aus den Niederlanden kommen. Bisher aber reichten die Ermittlungen hierzulande nicht aus, um die neue ISPK-Clique zu verhaften. Mukhammadrajb B. wurde an die österreichische Justiz ausgeliefert. In Wien ermitteln die Strafverfolger gegen zwei mutmaßliche Komplizen. Ein weiterer Verdächtiger aus Nörvenich sollte abgeschoben werden.

15-Jähriger aus Burscheid soll Anschlag auf Leverkusener Weihnachtsmarkt geplant haben

Die militanten Fanatiker werden nach Aussagen der Staatsschützer immer jünger. Am 1. Dezember, so die Ermittlungen, wollten ein 15-jähriger Deutsch-Afghane aus Burscheid mit seinem ein Jahr älteren Kumpel aus Brandenburg einen Kleinlaster auf einem Weihnachtsmarkt in Leverkusen hochjagen. Anschließend wollten sich die Jugendlichen nach Afghanistan zum ISPK absetzen. Durch den Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes flogen die Terrorpläne auf.

Vergangenen Dienstag wanderten zwei afghanische Migranten unter Terrorverdacht in Gera in Untersuchungshaft. Die beiden Männer sollen auf Geheiß des ISPK einen Anschlag in Schweden ausgeheckt haben. Die Bundesanwaltschaft machte als Motiv die Verbrennungen des Koran in Schweden und Finnland im vergangenen Jahr aus.

Die ISPK-Propaganda verfängt vor allen Dingen über die sozialen Netzwerke. So hatten zwei ranghohe Mitglieder des ISPK, Faridzhonovich Davlatov und Sayvaly Shafiev, einen tadschikischen Terroristen in NRW als digitalen Anwerber auserwählt. Über ein russisch-tadschikisches Online-Netzwerk versuchte der Administrator Sympathisanten weltweit zu radikalisieren, sowie Spenden und neue Kämpfer anzuwerben. So etwa auch jenen tadschikischen Attentäter, der in der Stockholmer City am 7. April 2017 mit einem Lastkraftwagen vier Personen tötete und zahlreiche weitere Menschen verletzte.

„Es ist davon auszugehen, dass diese Kanäle bewusst für die Rekrutierung und ideologische Festigung von Personen in Europa und Russland gegründet worden sind“, heißt es in einem BKA-Auswertebericht. Kommandeur Shafiev, der die tadschikischen ISPK-Einheiten lenkte, hatte es speziell auf kampfbereite Landsleute aus seiner Heimat „und auf diejenigen, die in Russland arbeiten“, abgesehen.