Ob von Linken, Lula, Intellektuellen oder der AfD – seit Kriegsbeginn werden immer wieder Rufe nach Waffenstillstand und Verhandlungen laut. Doch will Russland das überhaupt?
„An Diplomatie glaube ich nicht“Das sagt die Kreml-Elite zu Waffenstillstand und Verhandlungen
Fast ein Jahr lang tobt nun der russische Krieg gegen die Ukraine. Fast genauso lang gibt es Rufe nach Waffenstillständen und Verhandlungen. In Deutschland tun sich neben einigen Intellektuellen vor allem die Linke und die AfD mit dieser Position hervor. Ob Amira Mohamed Ali (Linke) oder Tino Chrupalla (AfD) – immer wieder kommen die Rufe nach Verhandlungen. Mittlerweile auch von der RAND Corporation, einem amerikanischen Thinktank, und dem brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Auch CDU-Politiker Michael Kretschmer rückt in dieser Frage gerne von der Parteilinie der CDU ab.
Dass dieser Krieg mit einer diplomatischen Lösung enden wird, ist derweil ohnehin die Prognose nahezu aller Expertinnen und Experten. Und auch die der Politik. Die Frage ist bloß: Unter welchen Bedingungen?
Verhandlungen über Frieden in der Ukraine? Olaf Scholz nennt Bedingung
Olaf Scholz hatte seine bei einem Bürgergespräch in der letzten Woche noch einmal klargemacht: Bei einem russischen Truppenabzug sei Kiew ganz sicher gesprächsbereit, erklärte der Kanzler, der im Hintergrund laut eines „Spiegel“-Berichts derzeit händeringend damit beschäftigt ist, seinen „Panzer-Doppelwumms“ zu retten.
Während die Ukraine – völlig rechtmäßig – versucht, weitere ihrer Gebiete zurückzuerobern, um Russlands Position in den irgendwann kommenden Gesprächen zu schwächen, scheint man Verhandlungen in Moskau derweil gar nicht zu wollen. Ungeachtet der Forderungen von Linken, Lula, AfD und manchen westlichen Intellektuellen.
Kreml-Elite will von Waffenstillstand und Verhandlungen nichts wissen
Ob Präsident Wladimir Putin, Ex-Präsident Dmitri Medwedew oder schrille TV-Propagandisten wie „RT“-Chefin Margarita Simonjan – die Kreml-Elite lässt wenig Gelegenheiten aus, mit markigen Worten an ihrer „militärischen Spezialoperation“ festzuhalten.
Das wurde in einer der Talkshows des Propaganda-Senders „RT“ am Wochenende erneut überdeutlich. Als einer der Gäste in Simonjans TV-Show ungewöhnlicherweise erklärte, ein „sofortiger Waffenstillstand“ sei notwendig, fragte die als Vertraute von Machthaber Putin bekannte Moderatorin ungläubig: „Was sagen Sie da? Das können Sie nicht sagen!“ An Diplomatie „glaube sie nicht“, so Simonjan.
Dann unterhielt sich die Runde laut der Journalistin Julia Davis, die regelmäßig die russischen Medien analysiert, im Staatsfernsehen darüber, dass man nun Terroristen bewaffnen müsse – damit Amerikaner, Franzosen und Deutsche in Zukunft in ihrem eigenen Land zu sterben beginnen.
Russland droht mit „Vergeltungsschlägen“ statt Verhandlungen
Unnachgiebig klingt derweil auch der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew: Angesichts der neusten Waffenlieferungen der USA, die auch reichweitenstarke Raketen enthalten, die technisch bedingt für die Russen nur schwer abzuwehren sind und Angriffe auf die Krim möglich machen, fand der nunmehrige stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates eindringliche Worte.
„Das Ergebnis wird das Gegenteil sein“, statt Verhandlungen werde es „Vergeltungsschläge“ geben, drohte Medwedew in russischen Staatsmedien am Wochenende. Die Krim sei russisches Territorium und könne unter Anwendung „aller“ Waffen verteidigt werden, führte der Ex-Präsident aus, der seit Kriegsbeginn mit kaum etwas anderem als derartigen Drohkulissen in Erscheinung tritt. Dass Russland den Anspruch auf Krim und Donbass ohne militärische Rückschläge aufgibt, scheint angesichts solcher Worte ausgeschlossen.
Sergej Lawrow kommentiert Bedingungen aus Kiew: „Selenskyj hat manchmal eine große Fantasie“
Bei Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der sich wie die gesamte Kreml-Elite rund um das Gedenken an die Schlacht von Stalingrad ungewöhnlich redselig zeigte, bestätigt sich die Haltung Moskaus ebenfalls. „In der Welt“ müsse es erst noch zu „einem Verständnis kommen, dass man das beenden muss“, erklärte Lawrow in einem ausführlichen Interview mit Staatsmedien. Das sei jedoch wegen des „unnachgiebigen Kurses des Westens mit den USA an der Spitze“ und des ukrainischen Präsidenten nicht möglich. Lawrows Botschaft: Gespräche gibt es nur, wenn Russland bekommt, was es will.
Dass Russland sich weigere, an Verhandlungen teilzunehmen, sei eine „Lüge“, die man stets dementiere, behauptete der Chefdiplomat des Kremls zwar. Aber auch nur, um sich dann über die laut Lawrow unrealistischen Verhandlungsbedingungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu amüsieren, der ein Tribunal gegen Russland, Reparationen und die Verdrängung der Kreml-Truppe hinter die Grenzen von 1991 fordert. „Selenskyj hat manchmal eine große Fantasie“, lautete Lawrows lakonischer Kommentar.
Der Westen führe „durch das Kiewer Regime“ einen „Hybridkrieg“ gegen Russland, behauptete der Außenminister zudem, und versuchte sich wie auch Putin in seiner Rede zum Stalingrad-Gedenken an kruden Vergleichen. Auch 1941 hätte sich ein Großteil Europas „für den Beginn eines Krieges gegen die Sowjetunion“ versammelt, erklärte Lawrow. „Ich sehe keinen großen Unterschied.“
Sergej Lawrow bleibt beim russischen Narrativ: „Nazistische Ideologie“ sei „Grundlage des Kiewer Regimes“
Wie im Zweiten Weltkrieg in Nazi-Deutschland bilde nun „nazistische Ideologie“ die „Grundlage des Kiewer Regimes“, behauptete Lawrow und warf schließlich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) vor, die „russische Frage endgültig lösen“ zu wollen. Auch das klingt wenig verhandlungsbereit.
Aber es passt ins Bild: Seit Kriegsbeginn probieren Putin, Lawrow und die restliche Kreml-Propagandamaschinerie die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen. Russland soll in diesem Kreml-Narrativ als das angegriffene Opfer erscheinen, das sich gegen böse „Nazis in Kiew“ zur Wehr setzen muss – wie bereits im Zweiten Weltkrieg.
Geleakte Emails belegen derweil in diesen Tagen noch einmal überdeutlich, wie Moskau seit 2014 versucht mit Schmiergeldzahlungen Einfluss auf europäische Politiker zu nehmen, um die europäische Akzeptanz für die Annexion der Krim zu steigern. Das berichtete am Wochenende das „Organized Crime and Corruption Reporting Project“.
Verhandlungen hatte es in der Frühphase des Kriegs übrigens bereits gegeben. Bis die grausamen Kriegsverbrechen von Butscha und Borodjanka bekannt wurden. Furchtbare Bilder gingen um die Welt. Kiew beendete daraufhin die Verhandlungen. Der Kreml behauptet seitdem, ohne Belege vorzubringen, Kiew habe sich auf westlichen Druck aus den Gesprächen zurückgezogen.
Ukraine erwartet russische Frühjahrsoffensive statt Verhandlungen
„Wer heute Verhandlungen propagiert, möge bitte auch die passende Strategie nennen, damit wir ihn zum Chefunterhändler ernennen können“, kommentierte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, die Debatte über Verhandlungen unterdessen im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Bis heute vergeht kaum eine Woche ohne russische Angriffe auf zivile Ziele. In Kiew erwartet man statt diplomatischen Gesprächen nun eine Frühjahrsoffensive des Gegners. Westliche Geheimdienste gehen von mindestens 300.000 Mann aus, die Putin für seinen nächsten Großangriff entsenden will, der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow sprach zuletzt sogar von 500.000 russischen Soldaten, die dafür bereitstünden. Auch das klingt wenig verhandlungsbereit. Die russischen Soldaten werden mit Gewehren, Panzern, Mörsern und Geschützen kommen – und nicht im Diplomaten-Anzug zum Kaffeekranz.