„Bitte kein Angriff, keine Rakete“Familie aus Leverkusen war bei Hamas-Angriff in Palästina

Lesezeit 5 Minuten
Familie Wermuth aus Leverkusen war auf Pilgerreise in Israel und Palästina. Die Folgen des Angriffs der Hamas erlebten sie mit.

Familie Wermuth aus Leverkusen war auf Pilgerreise in Israel und Palästina. Die Folgen des Angriffs der Hamas erlebten sie mit.

Die Pilgerreise von Familie Wermuth begann mit dem Besuch wichtiger Orte des christlichen Glaubens. Zum Schluss verschanzte sie sich im Hotel. 

„Bitte kein Angriff, keine Rakete, kein gar nichts, einfach nur Höhe gewinnen und aus dem Luftraum raus“. Als das Flugzeug von Bernd Wermuth, seiner Frau und seinen beiden neunjährigen Zwillingstöchtern endlich aus Tel Aviv am Dienstagnachmittag abhebt, konnte der 49-Jährige nur noch beten.

Hinter der Familie aus Leverkusen lagen zu diesem Zeitpunkt vier Tage Ausnahmezustand: Die Wermuths waren in Bethlehem, in Palästina, als die Hamas am 7. Oktober ihren Großangriff auf das israelische Gebiet am Gaza-Streifen starteten. Die streng gläubigen orthodoxen Christen waren am Dienstag zuvor, am Tag der Deutschen Einheit, von Frankfurt nach Tel Aviv geflogen. Für eine Pilgerreise zu den wichtigsten Stationen ihres Glaubens, organisiert von der rumänisch-orthodoxen Gemeinde aus Düsseldorf.

Vorzeichen zu dem, was die Familie später erleben wird, gab es bereits in den ersten Nächten. Mehrmals hätten die Wermuths Schüsse gehört. Dann Schreie. „Immer wieder, bis nach Mitternacht“, erinnert sich Bernd Wermuth. Besonders in der Nacht von Freitag auf Samstag, vor dem Angriff, sei „die Hölle los“ gewesen. Die Familie war irritiert, die Hotelangestellten in Betlehem seien aber eher gelassen gewesen, sagt der Familienvater. Deshalb ging er davon aus, dass das keine große Sache gewesen sei. Deshalb setzten die Wermuths ihre Reise wie geplant fort. 

Menschen hamsterten Benzin, Trinkwasser und Brote 

Von den Angriffen der Hamas am Samstagmorgen bekommt die Familie zunächst nichts mit. Sie sitzen gemeinsam mit den anderen Pilgerreisenden – insgesamt eine 45-köpfige Gruppe – mit dem Bus unterwegs. Unter anderem zur Geburtskirche und zum Berg Tabor. An den Tankstellen, die der Bus passiert, beobachtete Wermuth immer wieder lange Schlangen. Die Menschen hätten Benzin und Trinkwasser in Kanistern gehamstert. Und Brote. 

„Es ist Krieg“, habe einer der anderen Pilgernden am Vormittag laut Bernd Wermuth gesagt. Wenig später fotografiert Bernd Wermuth den Kondensstreifen einer Rakete, die vom Iron-Dome-Abwehrsystem des israelischen Militärs abgefeuert wurde. Für den Anwalt aus Leverkusen auch mehr als eine Woche später noch ein „surrealer“ Anblick.

Kondensstreifen einer Rakete, die vom Iron-Dome-Abwehrsystem des israelischen Militärs abgefeuert wurde.

Bernd Wermuth fotografierte am Samstag, als die Hamas angriff, den Kondensstreifen einer Rakete, die vom Iron-Dome-Abwehrsystem des israelischen Militärs abgefeuert wurde.

Was wirklich passiert ist, wie ernst die Lage ist, realisiert der Leverkusener Familienvater jedoch erst am Abend, als er zurück im Hotel in Betlehem ist. In einer Bar lief der Fernseher. Bilder der Hamas wurden gezeigt, teilweise aus der Ego-Perspektive der Terroristen. Wie sie Menschen vor sich hertrieben oder einen israelischen Soldaten mit einem Motorrad hinter sich herzogen und dabei jubelten. „Das kann man überhaupt nicht in Worte fassen“, sagt Wermuth, „die freuen sich, dass ein Mensch zu Tode gequält wird“.

Seit dem Angriff sollen nach aktuellen Angaben rund 1400 Menschen – Zivilisten und Soldaten – von der Hamas am Samstag getötet worden sein, mehr als 1000 werden seit Samstag vermisst. Israel habe indes mehr als 1500 Terroristen getötet. Durch Luftangriffe auf den Gaza-Streifen seien rund 2670 Palästinenser gestorben, 9600 weitere wurden verletzt.

Auswärtiges Amt und Deutsche Botschaft waren nicht hilfreich

Bernd Wermuth versuchte mehrfach Hilfe vom Auswärtigen Amt und der Deutschen Botschaft zu bekommen. „Weil wir einfach wissen wollten, wie sollen wir uns verhalten, wie ist die Situation, wie ist die Lage“. Dadurch, dass die Familie noch in Betlehem war, also in Palästina, seien die Informationen eher undurchsichtig gewesen. Es gab Gerüchte, dass die Hamas mit Jeeps durch die Straßen fährt und wahllos Menschen erschieße. Und dass Israel die Grenzen geschlossen habe.

Hilfreich seien aber beide Stellen nicht gewesen, sagt Bernd Wermuth. Nach mehreren Anrufen entschloss sich die Pilgergruppe, im Hotel zu bleiben. „Wir hatten keine andere Option“.

Am Sonntagmorgen ging die Pilgerreise weiter nach Jerusalem. An der Grenze gab es zwar Stau, geschlossen war sie jedoch nicht. Während ein Teil der Gruppe sich abkapselte, um auf eigene Faust weiter nach Tel Aviv zu fahren und nach Bukarest zu fliegen, blieb die Familie Wermuth in Jerusalem. Die Situation war zu unsicher, gerade auch wegen der zwei kleinen Töchter.

Schüsse, Schreie, Detonationen, Kampfjets, Hubschrauber

Die Leverkusener entschieden sich auch dazu, das ursprünglich geplante Programm durchzuziehen und sahen sich unter anderem den Tempelberg an. Es sei laut Bernd Wermuth zu dem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen, dass der Nahostkonflikt derartig eskaliere. „Es hätte ja auch gut sein können, dass es ein einmaliger Terrorakt war“, sagt der Familienvater. Nur eine kurze Eskalation. In Jerusalem fühlte Bernd Wermuth sich sicher.

Doch auch in der Nacht von Sonntag auf Montag wieder Schüsse. Schreie. Detonationen. Kampfjets. Hubschrauber. „Du liegst dann wach da und denkst 'was ist jetzt los'?“

Die Familie bleibt wegen dieser unruhigen Nacht am Montag im Hotelzimmer. Die Vorhänge zu. „Ihr geht nicht mehr an die Fenster, ihr bleibt hier hinten, wir machen das Licht aus“, habe Bernd Wermuth seinen beiden Töchtern gesagt. Die Familie bereitet sich auf den Ernstfall vor: Notfallgepäck mit Bargeld, Pässen und Verpflegung wird gepackt. Das Handy ist auf volle Lautstärke eingestellt, damit die Warnapp für Raketenangriffe gut zu hören ist.

Dreimal löst die Warnapp am Montag aus. „Dann schnappst du nur noch deine Sachen und rennst“, sagt Bernd Wermuth. Die Familie begibt sich in Sicherheit in einem Waschraum in Erdgeschoss des Hotels. Ohne Fenster, ohne Außenwände. Doch der Iron Dome verhindert Einschläge.

Leverkusener Familienvater war auf einer Art „Adrenalinwelle“ 

In der Nacht auf Dienstag liegen die vier Wermuths mit Kleidung alle in einem Bett. Nur ohne Schuhe, die jedoch laut Bernd Wermuth „anziehbereit“ stehen. Falls wieder Raketenalarm kommt und es schnell gehen muss.

Viel Schlaf bekommt die Familie nicht. Zu groß ist die Anspannung. In der Nacht weint die „jüngere“ der beiden Zwillinge. Der Familienvater selbst habe keine Angst gehabt. „Für deine Kinder musst du stark sein“, sagt Bernd Wermuth. Der Leverkusener war im Überlebensmodus, die ganze Zeit auf einer Art „Adrenalinwelle“. Den Ernstfall immer im Hinterkopf.     

Selbst als die Familie es dann am Dienstag zum Flughafen in Tel Aviv schafft. Auch hier schaut Bernd Wermuth ganz genau, wie er seine Familie sichern kann. Die Halle vor dem Gate hat große Fenster. Zu Unsicher. Besser Abstand halten. In der Halle stehen Sitzbänke aus Metall. „Wenn irgendetwas ist, dann kriecht ihr da drunter“, habe Wermuth seinen Töchtern und seiner Frau gesagt.

Raketenalarm gibt es keinen mehr. Die Anspannung löst sich jedoch erst, als das Flugzeug gen Frankfurt um 14.40 Uhr Ortszeit aus Tel Aviv abhebt und den israelischen Luftraum verlässt.  

KStA abonnieren