Versuchter TotschlagAuf den Bruder gefeuert um sich „Respekt zu verschaffen“

Lesezeit 3 Minuten
Spurensicherung am Tatort in Quettingen

Spurensicherung am Tatort in Quettingen

Leverkusen – Die Geschichte klang zunächst nicht völlig abwegig. Weil sein Mandant homosexuell ist, erklärte der Verteidiger von Farud J. (alle Name geändert) Donnerstag vor dem Kölner Landgericht, sei er von seinem Bruder Achmed als „Schande für die Familie“ jahrelang drangsaliert und zuletzt vor einer Schwulenbar in der Kölner Altstadt zusammengeschlagen worden. Zu seinem Schutz habe sich der 23-Jährige daraufhin eine Schusswaffe besorgt.

Am 19. Juni vergangenen Jahres, dem Tag des Halbmarathons, trafen die Brüder vor der Wohnung ihrer Eltern Am Quettinger Feld aufeinander. Farud J. habe voller Angst die Waffe, eine serbische Zastava vom Kaliber 7,65, gezogen und mehrere Schüsse abgefeuert.

Nicht, um Achmed zu töten, sondern um sich Respekt zu verschaffen und weitere Übergriffe zu verhindern. Der Staatsanwalt wertet diese Tat als versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung, weil die Ärzte das Leben des Bruders, der mehrfach getroffen worden war, nur mit knapper Not retten konnten. Farud J., der an einer paranoiden Psychose leide, habe aufgrund seiner Krankheit allerdings im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt und könne deshalb nicht bestraft werden, sondern müsse in eine Heilanstalt eingewiesen werden, erklärte der Staatsanwalt.

Alles zum Thema Feuerwehr Köln

Schon gleich am ersten von voraussichtlich sechs Verhandlungstagen rief die 21. Große Strafkammer Achmed J. in den Zeugenstand. Der 32-jährige kaufmännische Angestellte, der aufgrund seiner Verletzungen bis heute arbeitsunfähig ist, nimmt an dem Verfahren als Nebenkläger teil und zeigte sich felsenfest überzeugt davon, dass sein Bruder ihn an jenem Sonntag sehr wohl töten wollte.

Von dessen Homosexualität habe er erst erfahren, als ein paar Monate zuvor die Polizei bei ihm aufgetaucht war, weil Farud ihn angezeigt hatte. Dabei ging es um den Vorfall vor der Schwulenbar, den sein Bruder indes frei erfunden habe. In seinem Wahn behaupte der darüber hinaus schon seit mehreren Jahren, dass er ein Zauberer und die älteste Schwester eine Hexe seien und er sie deswegen töten müsse.

Mit eben dieser Begründung habe Farud auch seit längerer Zeit versucht, sich eine Waffe zu besorgen, wie er aus seinem Bekanntenkreis erfahren habe, berichtete der 32-Jährige. Die sexuelle Orientierung seines Bruders sei ihm im übrigen völlig egal – „ich bin im Rheinland geboren und aufgewachsen und weiß sehr genau, dass jeder Jeck anders ist“, erklärte Achmed J. in akzentfreiem Hochdeutsch, wenn auch mit leicht kölschem Einschlag.

Am Tattag habe er sich von seinem Vater verabschieden wollen, der vor einem längeren Urlaub in Marokko stand, und sei in der Wohnung auch seinem Bruder begegnet. Einige Zeit später sei er zu seinem Auto gegangen und habe plötzlich einen „heißkalten Druck“ im Rücken gespürt, der ihn zu Boden geworfen habe.

Hinter ihm habe Farud mit der Pistole im beidhändigen Anschlag gestanden und wortlos weiter auf ihn gefeuert. Zwei Kugeln seien rechts und links in seinen Unterleib eingedrungen, eine andere habe den linken Arm glatt durchschlagen. Inzwischen waren etliche Nachbarn auf das Drama aufmerksam geworden und hatten Polizei und Feuerwehr alarmiert. Farud J., der die Pistole nach der Tat in ein Gebüsch geworfen hatte, wurden wenig später ganz in der Nähe festgenommen. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.

Das könnte Sie auch interessieren:

KStA abonnieren