Luisa Schlierf in RusslandLand der Gegensätze

Lesezeit 4 Minuten

Russland, das größte Land der Welt: ein Land voller Gegensätze. Die unentdeckten Weiten der Natur mit ihren wertvollen Bodenschätzen, stehen den Metropolen mit Millionen Einwohnern gegenüber. Putin und die Aktivistinnen von Pussy Riot: ein Paar, das antagonistischer nicht sein könnte. Das politische Verhalten Russlands bezüglich der Ukraine-Krim-Krise als starker Gegensatz zu unseren westlichen Demokratievorstellungen. Unermesslicher Reichtum trifft in Russland auf tiefste Armut. Herzlichkeit und Depression geben sich die Hand.

Dieses Land voller Gegensätze, Spannungen und Reichtum wirft viele Fragen auf, stiftet aber auch großes Interesse dem System und den Menschen gegenüber.

Die INet CampusGroup Cologne, eine fünfzehnköpfige Gruppe engagierter Studenten hat Brücken gebaut. Mit Unterstützung durch die Universität zu Köln, Vertreter aus den Medien und der Politik, sowie die Cronimet-, Börner- und Fazitstiftung, sowie BASF und Eon realisierten wir den Wunsch nach interkulturellen Kommunikation und anti-rassistischer Freundschaft. Weil ein Fremder ist ein Freund, den wir noch nicht kennen. Unter diesem Motto jährte sich zum neunten Mal der bereichernde studentische Austausch zwischen der Finanzuniversität Moskau und der Universität zu Köln.

Alles zum Thema Universität zu Köln

Zweifel, Bedenken und Skepsis: nicht selten wird Russland in den heutigen Tagen mit diesen Gefühlen verbunden. Meist jedoch ohne hinter die Fassade zu gucken. Dabei sollte im übertragenen Sinne gelten: Erlaube dir erst ein Urteil über Andere, wenn du 100 Meilen in ihren Schuhen gelaufen bist.

Meilen in neuen Schuhen gelaufen

Wir sind in das System Putins eingetaucht, sind also einige Meilen in neuen Schuhen gegangen. Ein neuer Weg des Verständnisses. Schnell wurde klar: Russland ist anders. Nicht nur Oberflächliches wie das Essen, das Aussehen und das Klima. Auch das Leben der Studenten ist anders: so viel reglementierter, so viel strenger, so viel anstrengender. Viele der Studenten aus Moskau wohnen noch im Schutze des Elternhauses. Der Uni-Alltag ähnelt der deutschen Schule: der Tag beginnt und endet mit einem Gong, kleine Klassengemeinschaften, beinahe jeden Tag von 9 bis 16 Uhr Unterricht, Anwesenheitspflicht, viele Hausaufgaben und wenig Wahlmöglichkeiten. Auch die Atmosphäre ist anders: Ich fühle mich in Schulzeiten zurückversetzt, in denen Lehrer mit Belohnung und Sanktion das richtige Verhalten lehren.

In den russischen Unis gibt es viele Regeln und noch mehr Anweisungen, es wird deutlich mehr Disziplin verlangt. Die Dozenten scheinen neben dem Lehr-, immer noch einen Erziehungsauftrag zu verfolgen. Freiheitlicher Individualismus und selbstbestimmte Wahlmöglichkeit des Einzelnen – das sind Werte, die in Russland geringer geschätzt werden als in Deutschland. Dafür bietet das System mehr Gemeinschaftssinn, mehr Sicherheit, mehr Halt. Durch die engeren Grenzen des Verhaltens und die Reglementierung rückt man emotional und sozial näher zusammen. Die Studenten leben mehr in einer Gemeinschaft, als es in Deutschland der Fall ist. Wie so oft konstruiert sich die Andersartigkeit durch die Zweiseitigkeit der Medaille.

Neben einem Einblick ins akademische System des größten Landes der Welt, galt der Fokus einer wirtschaftlichen und politischen Auseinandersetzung. Unternehmensbesuche deutscher und russischer Großunternehmen galten als Bewusstwerdung von internationalen Strukturen: ein Zeichen der wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten, über Landesgrenzen hinweg.

Der Ähnlichkeit der Arbeitsweise von Großunternehmen, steht der eklatante Unterschied in Bezug auf die Medienfreiheit gegenüber. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und unabhängigen Journalismus: für uns Normalität. In Russland ist objektiver Journalismus rar. Nur wenige Medienanstalten sind unabhängig und zeigen kritisch-objektive Informationen. Wer für den freien Journalismus lebt, der lebt gefährlich in Russland: Journalisten werden häufig brutal attackiert, sogar getötet, Redaktionsräume in Brand gesetzt. Kritik am kapitalistischen System Putin wird ungern gesehen. Ein Einblick in die freiheitliche Arbeitsweise unserer großen Presseanstalten konnte den russischen Studenten hoffentlich einen konstruktiven Denkanstoß geben.

Auch wenn wir kein gemeinsames Bild von Gesellschaft entwerfen konnten, so konnten wir durch die Auseinandersetzung mit den anderen Werten, Lebensweisen und Denkstrukturen gegenseitiges Verständnis gewinnen. So ein Austausch zwischen jungen Generationen zweier unterschiedlicher Länder leistet einen wichtigen Beitrag zur Völkerverständigung auf politischer, kultureller und wirtschaftlicher Ebene. Zweifel, Bedenken und Skepsis sind wie Seifenblasen zerplatzt. Eine offene interkulturelle Kommunikation als Samen einer erwachsenden Völkerfreundschaft.

KStA abonnieren