Hochwasser in Erftstadt-BlessemEin Ort am Abgrund
Erftstadt-Blessem – Und plötzlich steht man am Abgrund, und ein ganzer Ort gleich mit. Bilder und Szenen wie die aus Erftstadt-Blessem kennt man sonst nur aus Katastrophenfilmen. Weit weg. So etwas passiert im echten Leben nicht. Für die Menschen im kleinen Ortsteil von Erftstadt ist das Horrorszenario aber Realität. Sie stehen teilweise vor dem Nichts.
Ein Kollege sagt in seine TV-Kamera, Blessem wirke gerade wie der einsamste Ort der Welt. An Menschen mangelt es aber nicht. Reporter aus dem In- und Ausland waten durch die Wassermassen. Trotzdem ist es still, das Entsetzen ist zu laut.
Erftstadt: Häuser in Schutt und Asche
Der ganze Ort riecht nach Heizöl, ein bunter Film liegt auf dem ansonsten braunen Wasser. Das Wasser steht irgendwo zwischen Knöchel und Knie, je nach dem, wo man sich befindet. An der Radmacher Straße, kaum 100 Meter entfernt vom Blessemer Eck, stockt einem der Atem.
Die Straße ist weggebrochen. Holz, Schutt und Beton fallen immer wieder herab von den Ruinen, die am Rand des riesigen Kraters liegen, der sich gebildet hat. Autos sind an die Ränder getrieben worden. Sie fallen nicht einmal groß auf.
Ein Anwohner mittleren Alters ist in Richtung Abbruchkante unterwegs. Er will seinen Namen nicht nennen. Das Haus, das er sich mit seiner Frau vor einigen Jahren gekauft und selbst saniert hat, ist fast zerstört. „Alles liegt in Schutt und Asche", sagt er mit Tränen in den Augen. Man könne es einfach nicht beschreiben, bringt er gerade noch hervor, bevor der Kloß in seinem Hals zu groß wird und er weitergeht.
Siegfried Schönrock und seine Frau werden von einem Johanniter-Wagen zu ihrem Haus an der Radmacherstraße gebracht. Sie leben seit mehr als 50 Jahren dort. Die beiden haben die Nacht nach der Evakuierung in der Realschule verbracht. „Das Wasser stand uns bis zum Bauch", sagt er. Sein Auto ist wie so viele im Ort weggetrieben worden.
Heinz Berger und seine Familie haben die vergangene Nacht auf dem Dachboden verbracht. Der sichtbare Rand an der Backsteinmauer seines Hauses verrät, dass das Wasser gut einen Meter hoch in seinem Haus gestanden hat. Er wohnt mit Frau und Sohn dort, seit 62 Jahren. Auf einer Baggerschaufel seien sie und eine schwangere Frau durch ein schmales Fenster gerettet worden.
Berger ist in Blessem aufgewachsen. „Wir haben alles selbst aufgebaut und jetzt hast du nichts mehr." Berger klagt am Freitagnachmittag aber wenig. Er packt an, sein Hof steht nach wie vor unter Wasser. Kois aus dem Nachbarteich werden angespült.
Lkw-Fahrer hilft mit Spanngurten
Renato Yez, 54-jähriger Lkw-Fahrer aus Niederzissen (Rheinland-Pfalz), hat durch seinen Einsatz einer Frau das Leben gerettet. Er habe bei Bliesheim an einer Kreuzung der Feuerwehr mit Spanngurten ausgeholfen. Er sei irgendwann auf seiner Route nicht mehr weitergekommen und habe an einer Kreuzung in der Nähe der B256 anhalten müssen. Rundherum seien Hänge abgerutscht, viele Lkw seien von den Fluten gepackt worden. Aus dem Wasser habe er Hilfeschreie gehört. Die Feuerwehr habe ihn nach Seilen gefragt, worauf er ihnen vier Gurte gegeben habe, die sie zusammengebunden hätten. Damit hätten sie eine Frau aus den Fluten gezogen.
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Bund und Land haben Hilfe für die betroffenen Menschen zugesagt. Wie es aber unmittelbar weitergeht, ist ungewiss. Heinz Berger will erst einmal herausfinden, ob seine Versicherung zahlt. Im Moment steht er aber nass im Nichts. Und ein ganzer Ort gleich mit.