Die Fifa hat sich bis heute nicht von der folgenreichen Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2010 erholt. Ein Rückblick.
Fifa-SkandalWie es passieren konnte, dass Katar die Fußball-WM erhielt
Als am 2. Dezember 2010 Fifa-Präsident Sepp Blatter den Zettel aus einem Umschlag holte, auf dem in Versalien „Qatar“ stand, löste die damit besiegelte WM-Vergabe in das Emirat politische, wirtschaftliche und sportliche Schockwellen aus. Die Frage aller Fragen: Wie konnte damals die mit Abstand schlechteste Bewerbung gewinnen?
In der ersten Wahlrunde hatte die Offerte von Australien nur eine Stimme bekommen. Danach verabschiedeten sich nacheinander Japan und Südkorea aus dem Bewerberkreis. So blieben zur vierten Wahlrunde nur noch Katar und die USA übrig. Das Wüstenemirat gewann die Abstimmung deutlich mit 14:8.
22 Herren stimmten ab, keiner ist mehr im Amt
Abgestimmt hatten in Zürich 22 teils schon sehr betagte Herren. Mehr als die Hälfte hatte danach mit Korruptionsvorwürfen zu tun, keiner ist heute mehr im Amt, einige sind inzwischen verstorben. Die sehr sehenswerte ARD-Dokumentation „WM der Schande“ erzählt die Geschichte nach, die ihren Ursprung viel früher hat. Nämlich im Dezember 2008, als das Fifa-Exekutivkomitee bei einer Sitzung in Tokio beschloss, gleichzeitig zwei Weltmeisterschaften zu vergeben. Für 2018 und 2022. Die Gründe für eine Doppelvergabe – ein Nährboden für dubiose Deals – liegen im Dunklen.
Nur zwei Jahre später tauchten erste Korruptionsvorwürfe auf: Aus dem Fifa-Exekutivkomitee zeigten sich Amos Amadu (Nigeria) und Reynald Temarii (Tahiti) empfänglich, gegen hohe Geldsummen ihre Stimmen den USA zu geben – dummerweise kam die Offerte von Reportern der „Sunday Times.“ Der Imageschaden war beträchtlich, Suspendierungen unvermeidlich. Drei Tage vor der WM-Vergabe passierte der nächste Skandal: Mit Ricardo Texeira (Brasilien), Nicolas Leoz (Paraguay) und Issa Hayatou (Kamerun) hatten weitere einflussreiche Fifa-Exekutivmitglieder früher Schmiergelder für TV-Vermarktungsrechte kassiert.
Mittendrin gab der katarische Strippenzieher Mohamed bin Hamman – über den auch die ominösen Zahlungsflüsse für die WM 2006 in Deutschland liefen – vor der Kamera zu, dass gegenseitige Absprachen für Stimmenzusagen an der Tagesordnung seien. Katar, zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der tragenden geopolitischen und wirtschaftlichen Rolle wie heute, hatte mit der Herrscherfamilie seine ranghöchsten Repräsentanten eingespannt. Bereit jeden Preis zu zahlen, um mit einer Fülle von sportlichen Großveranstaltungen bis 2030 eine strategische Machtposition zu erreichen, die dem Land Sicherheit bietet und von Menschenrechtsverletzungen ablenkt. Ein Prinzip, das als „Sportwashing“ bezeichnet wird. Die Fußball-WM war als die Leuchtturmveranstaltung auserkoren.
Als Katar den Zuschlag bekam, rief Blatter aus: „2022 gehen wir in die arabische Welt, die auch ein Anrecht auf die WM hat. Das ist Neuland, und das passt genau in die Entwicklungsarbeit des jetzigen Präsidenten.“ Kurz vor der WM 2014 sollte der Fifa-Boss im Schweizer Fernsehen kleinlaut zugeben, dass der Zuschlag für eine Wüsten-WM, die wegen der klimatischen Bedingungen erst noch in den Winter verlegt werden musste, ein Fehler war. Zudem hatten sich Indizien für eine unlautere Vergabe rasend schnell verdichtet.
Die Fifa setzte deshalb im Oktober 2011 eine eigene Ethikkommission ein, doch als Chefermittler Michael Garcia im September 2014 eine Veröffentlichung seines 430-seitigen Untersuchungsberichts vorlegen wollte, bremste ihn sein Auftraggeber aus. Zwei Monate später trat der frühere US-Staatsanwalt zurück. Ende 2015 endete dann die Ära Blatter wegen Amtsmissbrauch und Untreue. Handfeste Beweise für eine im großen Stil gekaufte WM fehlen bis heute.
Machenschaften der Fifa reichen bis in die höchsten Kreise
Als sicher gilt aber, dass die Machenschaften bis in höchste Kreise reichten. 2013 berichtete das Magazin „France Football“, dass der später mit Blatter gestürzte Uefa-Präsident Michel Platini seine Stimme auf Drängen des damaligen französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy an Katar gegeben habe. Sarkozy speiste wenige Tage vor der WM-Vergabe im Élysée-Palast mit dem Emir von Katar und der Klubführung von Paris Saint-Germain.
Aus diesem Dinner Ende November 2010 entstand die Unterstützung für PSG durch einen katarischen Staatsfond. Der Pariser Prinzenpark ist heute die Spielwiese für Weltstars wie Messi, Mbappé und Neymar. PSG-Präsident Nasser Al-Khelaifi hat inzwischen großen Einfluss auf den europäischen Klubfußball. Seine Person hat das Sportswashing perfektioniert. Und so öffnet sich bald der Vorhang in seiner Heimat für das wichtigste Fußballturnier der Welt.