Immanuel Kant in der Bundeskunsthalle BonnWie kann man so scharfsinnig und gleichzeitig ein Rassist sein?

Lesezeit 4 Minuten
Illustration von Immanuel Kant in Schwarz und Gelb.

Wandfüllende Illustrationen von Antje Herzog erzählen in der Bundeskunsthalle vom Leben des Philosophen Immanuel Kant.

Zum „Kant-Jahr“ 2024 widmet die Bundeskunsthalle dem noch immer wegweisenden Philosophen eine Ausstellung ‒ jedoch nicht ohne Vorbehalte.

Seine Erkenntnistheorie beruht auf der Annahme, dass der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, das Verantwortung für sein eigenes Handeln übernehmen kann und muss: Im April hätte Immanuel Kant (1724-1804) seinen 300. Geburtstag gefeiert. Bei Fragen der Ethik und Moral, zu den Möglichkeiten der Erkenntnis und zum Völkerrecht gilt er immer noch als aktueller Referenzpunkt. Bis heute prägt sein Denken die Philosophie und wirkt weit darüber hinaus. Nicht zuletzt die Idee der unantastbaren Würde des Menschen geht auf Kant zurück, und seine Aufforderung „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ wurde zum Wahlspruch der Aufklärung.

Kant und die Aufklärung: ein ambivalentes Erbe

Doch sein Erbe wirft in jüngster Zeit auch immer wieder Fragen auf. Kant reproduzierte in seinen Werken, etwa zur Anthropologie, auch gefährliche Vorurteile, die aus heutiger Sicht rassistisch, antisemitisch und sexistisch sind. Nun wäre es trotz allem etwas voreilig, Kant zu canceln, darf man doch nicht vergessen, dass die Zeit der Aufklärung geprägt war von solchen kolonialen Überlegenheitsgedanken - und dies machte offenbar auch vor einem scharfsinnigen Kritiker wie Kant nicht Halt. Es bleibt die Frage, wie eng dieses Gedankengut mit den geistigen Errungenschaften, für die wir ihn heute feiern, verflochten ist ‒ eine ambivalente Ausgangslage für eine Kant-Ausstellung im Jahr 2024.

Die Bonner Bundeskunsthalle verspricht deshalb in ihrer Kant-Ausstellung eine differenzierte Betrachtung seines Werkes und seiner Zeit. Gemeinsam mit einem Forschungsprojekt der Uni Jena wurden eigens für die Ausstellung „kritische Interventionen“ entwickelt. Der Rundgang beginnt zunächst mit einer Reise in seine virtuell rekonstruierte barocke Heimat: Kant und Königsberg ‒ eine untrennbare Symbiose. Zeit seines Lebens verließ er seine Geburtsstadt nicht.

Eine virtuelle Zeitreise nach Königsberg

An einer Wand zeichnet ein Graphic Novel von Antje Herzog Kants Biografie im Comicstil sehr hübsch nach und zielt dabei vor allem auf das Persönliche des Denkers ab: von seinem Spazierweg über sein äußeres Erscheinungsbild ‒ an dieser Stelle sind einige Haare von ihm eingerahmt ‒ bis hin zu einem Aufriss seines Wohnhauses. Auf Tischen sind Passagen aus seinen Hauptwerken ausgelegt, versehen mit Markierungen und Kommentaren. In einer Vitrine liegt eine Erstausgabe seiner „Kritik der reinen Vernunft“ aus 1781.

Gottlieb Doebler, Immanuel Kant, 1872

Das Gemälde von Gottlieb Doebler aus dem Jahr 1872 zeigt Immanuel Kant als Gelehrten.

Die Ausstellungstexte versuchen das Komplexe wiederum herunterzubrechen und verständlich zu machen. Auch verschiedene VR- und Spielstationen wurden integriert. Das kann man als einen Widerspruch zum kantianischen Denken selbst werten oder aber als Bestrebung, das Museum weiter zu öffnen, als eine Einladung zum Denken für alle. Schließlich hat sich die Ausstellung zur Aufgabe gemacht, ein breites und junges Publikum anzusprechen, auch ganz ohne philosophische Vorbildung.

Während darunter an mancher Stelle (leider auch in der versprochenen kritischen Aufarbeitung) der Tiefgang etwas leidet, wird die Kunst diesem Anspruch am besten gerecht. Diese ergänzt die Ausstellung nicht erklärend, sondern als geistige Anregung. Erfrischend ist etwa eine bildhafte Auseinandersetzung mit Kants „Kritik der Urteilskraft“ der Künstlerin Andrea Büttner.

Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir

Auch ein Werk Anselm Kiefers, benannt nach einem Zitat Kants, ist zu sehen: „Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“, zwei Dinge, die, wie Kant es formulierte, „das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht erfüllen.“ Auf dem monumentalen Holzschnitt ist ein liegender Mann zu sehen, über ihm erstreckt sich ein weiter Sternenhimmel, der gesamte Kosmos, mit dem der Mensch durch eine feine weiße Linie verbunden ist.

Die Ausstellung schließt mit einer letzten Frage. „Was ist der Mensch?“, prangt in Großbuchstaben an der schwarzen Wand neben Kiefers Sternenhimmel. Ein Spiegellabyrinth, das die Betrachter dazu zwingt, sich selbst zu erkennen, eine wortwörtliche Reflexion über die Grundfragen unserer Existenz, liefert zumindest eine mögliche Antwort auf „Kant und die offenen Fragen.“


„Kant und die offenen Fragen“, Bundeskunsthalle Bonn, Museumsmeile, Di.-So. 10-19 Uhr, Mi. 10-21 Uhr, bis 17. März. Der Bildband zur Ausstellung mit Illustrationen von Antje Herzog kostet 22 Euro.

KStA abonnieren