Anna Oppermann in der BundeskunsthalleNur wer im Elfenbeinturm sitzt, überblickt das Chaos

Lesezeit 3 Minuten
Anna Oppermann sitzt in einem Wandbild.

Anna Oppermann 1981 im Elfenbeinturm ihrer Installation „Raumprobleme“. Eine Rekonstruktion ist jetzt in der Bundeskunsthalle zu sehen.

Anna Oppermann starb 1993 und nahm das Geheimnis ihres Erfolgs mit ins Grab. Jetzt zeigt die Bonner Bundeskunsthalle ihre monumentalen Wandcollagen.

Ein wenig verloren wirkt die Künstlerin schon, wie sie so dasitzt im selbst geschaffenen Sammelsurium. Unter ihr wuchert ein mit reichlich Kram bestückter und mit Notizzetteln gespickter Altar, neben ihr ziehen sich Fototapeten die Wand hinauf, die teilweise mehr vom gleichen, nämlich überquellenden Altarkram und Notizzettel-Girlanden zeigen. Anna Oppermann lässt derweil einige Meter über dem Boden die Beine baumeln. Sie blickt auf ein gefräßiges Durcheinander und ähnelt einer Malerin, die sich in eine Ecke gepinselt hat. „Raumprobleme“ heißt ihre Collage – so viel Selbstironie muss auch in der Konzeptkunst sein.

Statt Themen abzuarbeiten, hangelte sich Anna Oppermann lieber an Assoziationsketten entlang

Ähnliche Probleme dürften Anna Oppermann ihr ganzes, viel zu kurzes Künstlerleben hindurch beschäftigt haben. Selten war genug Raum für ihre ins Monumentale strebenden „Ensembles“, von denen man nicht genau zu sagen weiß, ob sie eher dem Montageprinzip folgten oder einem unordentlichen Gedankenhaushalt entsprangen. Statt Themen sauber abzuarbeiten, hangelte sich Oppermann lieber an Assoziationsketten entlang. Auch der Ursprung ihres 1978 entstandenen, vier Meter hohen und deutlich breiteren „Raumproblems“ erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Mit ihm protestierte sie dagegen, dass bei den Planungen einer deutschen Bundeskunsthalle die Künstler vergessen worden waren. Alternative Werktitel lauteten: „Elfenbeinturm“ und „Kundesbrunsthalle“.

Jetzt sind die Werke der 1993 verstorbenen Oppermann in der vollendeten Bonner Bundeskunsthalle zu sehen – und sämtliche Raumprobleme scheinen gelöst. Man könnte beinahe auf den Gedanken kommen, der Wiener Architekt Gustav Peichl hätte seinen ausladenden Museumsbau für das unaufgeräumte Kunstverständnis einer Oppermann geplant. Als 1989 der Grundstein gelegt wurde, gehörten ihre „Ensembles“ noch zum Gesprächsstoff der globalen Kunstszene. Vier Jahre später starb sie im Alter von 53 Jahren und nahm das Geheimnis ihres Erfolgs anscheinend mit ins Grab.

Die Bundeskunsthalle kann geradezu eine Wiederentdeckung feiern

In den vergangenen zwei Jahrzehnten war Anna Oppermann zwar nicht vergessen, aber so wenig in Mode, dass die Bundeskunsthalle mit ihrer „Retroperspektive“ jetzt geradezu eine Wiederentdeckung feiern kann. Sie beginnt mit einer Fotocollage aus hunderten Selbstporträts, darauf folgen poppig-surreale Bilder, die Oppermann in den 1960er Jahren schuf. Hier findet sich eine gewisse Fixierung auf den Unterleib; immer wieder schaut die sitzende Malerin an sich herunter und setzt stilisierte Bein-Becken-Kombinationen in ihre Kompositionen.

Im Laufe der Jahre genügte Oppermann die Unordnung auf ihren surrealen Bildern offenbar nicht mehr; es gibt im Leben eben noch anderes als die vertraute Mischung aus Sex, Träumen und Körperöffnungen. In den „Ensembles“ trieb sie die Einsicht, dass sich die Welt weder überblicken noch auf rationale Formeln bringen lässt, nun methodisch voran. Erst in kleineren Wandinszenierungen, bald schon in Collagen, die halbe Räume bis unter die Decke füllen. Ein prägendes Kompositionsprinzip übernahm Oppermann dabei von ihren frühen Bildern: Sie wiederholte das Hauptmotiv gerne in kleinen Details.

Das Hauptmotiv ihrer „Ensembles“ war das Sammelsurium. Die Themen wechselten – sofern man sie überhaupt aus dem Durcheinander pellen kann. Gelegentlich helfen großformatige Parolen wie bei einer kunstmarktkritischen Installation: Von der Anregung eines Galeristen, doch lieber in kleineren, leichter verkäuflichen Formaten zu arbeiten, hangelt sich Oppermann zu Lesefrüchten über die Reklamewelt und die Illusionen des schönen Scheins. Die Kuratorinnen ziehen für derlei Verknüpfungen den Hypertext als Vergleichsgröße heran. Man könnte es auch Vom-Hölzchen-aufs Stöckchen-kommen nennen.

Auf die Dauer ist Oppermanns Einsicht, dass wir bei der Wahrnehmung der Welt entweder vor Rätseln stehen oder uns in immer kleiner werdenden Detailfragen verlieren, leider etwas eintönig. Sobald man das Prinzip ihrer Kunstwerke verstanden hat, fragt man sich, ob das Hinschauen überhaupt noch lohnt.


„Anna Oppermann – Eine Retroperspektive“, Bundeskunsthalle Bonn, Museumsmeile, Di.-So. 10-19 Uhr, Mi. 10-21 Uhr, bis 1. April 2024. Der Katalog kostet 39 Euro.

KStA abonnieren