BirlikteFeiern gegen Vorurteile - Teil 2

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Hasan Özdag war einer der ersten türkischen Geschäftsleute, die sich Ende der 80er Jahre in der Keupstraße selbstständig machten . Tochter Zülya (re.) führt mit ihren Geschwistern die Konditorei fort.

Hasan Özdag war einer der ersten türkischen Geschäftsleute, die sich Ende der 80er Jahre in der Keupstraße selbstständig machten . Tochter Zülya (re.) führt mit ihren Geschwistern die Konditorei fort.

Nicht immer funktioniert die deutsch-türkische Allianz reibungslos. „Natürlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen, und man kann nicht alle ins Boot holen“, gibt Laue zu. „Man kann nur Angebote machen, und dieses Fest ist der Versuch, die Menschen in ihrer Verschiedenartigkeit zusammenzubringen.“ Vor allem müsse man sich bei solchen Aktionen vor diesem „positiven Rassismus“ hüten. „Man darf nicht denken: Jetzt machen wir was für DIE. Für DIE Keupstraße. DIE Keupstraße gibt es ebenso wenig wie DIE Brüsseler oder DIE Aachener Straße.“

Meral Sahin zuckt mit den Schultern. Sie ist mehr als zufrieden mit dem Erreichten: „Wir haben alle im Boot, die sich engagieren wollen.“ Ein erdbeer-rotes Kopftuch umschließt ihr Gesicht wie eine zweite Haut, die dunklen Augen blitzen energisch. Die 42-Jährige ist in Köln geboren und aufgewachsen. Sie ist eine Frau, die zupacken kann. Im Jahr 2000 hat sie sich in der Bergisch Gladbacher Straße, Ecke Keupstraße mit einem türkischen Deko-Geschäft für Festartikel selbstständig gemacht; 2014 wurde sie zur ersten weiblichen Vorsitzenden der IG Keupstraße gewählt.

Meral Sahin hat hautnah den zeitweisen Niedergang der Keupstraße nach 2004 miterlebt, die bis zum NSU-Anschlag zu den bekanntesten und ältesten türkischen Geschäftsstraßen in Deutschland gehörte. „Das Problem war nicht der Anschlag selber, sondern die Ausgrenzung dieser Straße. Wir wurden einfach unserem Schicksal überlassen“, erinnert sie sich.

„Im Grunde wussten wir zwar alle, dass der Anschlag von außen kam und nicht aus der Straße selber. Aber mit der Zeit haben wir uns einreden lassen, dass vielleicht doch die Mafia oder eine Drogengeschichte dahintersteckt. Wir fingen an, an uns selbst zu zweifeln. Das Vertrauen zwischen Türken und Deutschen ging kaputt, aber auch das Vertrauen innerhalb der Straße. Jeder misstraute jedem.“ Die Kundschaft blieb weg, viele Geschäfte schlossen.

Wirtschaftlich hat sich die Keupstraße mittlerweile erholt, doch die alten Wunden sind längst nicht alle verheilt. „Birlikte“, sagt Meral Sahin, sei der erste Schritt, etwas daran zu ändern. „Nach innen heilen wir Wunden. Gleichzeitig entsteht eine Kommunikation nach außen. Denn nur so kann Integration funktionieren. Einer öffnet die Tür, und der andere kommt herein. Vielleicht war es ja Schicksal, dass das Schauspiel nach Mülheim gezogen ist. Endlich hört uns jemand zu und gibt uns die Möglichkeit, uns selber zu äußern.“

Das Stück

„Ich will als Mensch wahrgenommen werden, als Individuum“, spricht Kutlu Yurtseven in die Kamera. „Die Nationalität ist scheißegal.“ Es ist 20 Uhr im Depot des Carlswerks. In wenigen Tagen ist die Premiere von „Die Lücke“, und Regisseur Nuran David Calis ist „allmählich etwas nervös“. Auf dem Tisch liegen voll gekritzelte Textbücher, deren Inhalt längst überholt ist. „Hier ist die fünfte Fassung“, sagt Calis und verteilt das überarbeitete Manuskript. „Tut mir Leid, aber das ist «Work in progress».“ Calis hat außerdem zwei Videos vorbereitet, die später Bestandteile des Stücks sein werden: Ausschnitte aus dem „Paulchen-Panther“-Bekennervideo der NSU, das 2011 im zerstörten Wohnhaus der Täter in Zwickau gefunden wurde, und Aufnahmen einer Überwachungskamera des TV-Senders „Viva“, die die Bombenleger Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 9. Juni 2004 in der Nähe des späteren Tatorts zeigen.

Szene um Szene erarbeiten Calis und seine Protagonisten das Stück. Yurtseven, in der Jugendarbeit tätig und Mitglied der HipHop-Band „Microphone Mafia“, ist einer von drei Mitspielern mit türkischen Wurzeln. Geboren ist er in Köln. „Wir sollen unsere Erfahrungen einbringen“, sagt er. Und erzählt von Ausgrenzung und Vorurteilen, mit denen er bisweilen noch heute konfrontiert wird. „Ich fürchte, dass die Menschen in der Keupstraße nach dem Fest eine große Leere spüren werden“, sagt er.

Sein Mitspieler Ismet Böyük nickt zustimmend. Auch er fürchtet „den Tag danach“. Der Geschäftsmann lebt seit 1991 in Deutschland. Aus der Türkei hat der damals 23-Jährige ein Diplom als Betriebswirt und einen Führerschein mitgebracht. Beides wurde in Deutschland nicht anerkannt, und das verletzt ihn noch immer. „Jetzt haben wir ganz viel Trubel hier“, sagt er. „Und dann guckst du. Alle sind weg. Und die Keupstraße bleibt die Keupstraße.

Schlussakkord

Stephan Brings sitzt im „Köz Kebaphaus“ in der Keupstraße und nippt an einem Glas türkischem Tee. Gerade hat er zusammen mit anderen Vertretern des Aktionsbündnisses „Birlikte“ die ersten Plakate in der Straße aufgehängt. Brings waren schon beim legendären ersten Arsch-Huh-Konzert am 9. November 1992 auf dem Chlodwigplatz dabei. An diesem Pfingstwochenende treten sie gleich zweimal, am Sonntag und bei der Abschlusskundgebung am Montag auf. „Ich bin froh, dass wir mitmachen“, sagt Stephan Brings. Er kennt sich aus in der Keupstraße. Vor über 30 Jahren hatten er und sein Bruder über einem Gebetsraum ihre ersten Proberäume.

„Sieben Jahre mussten die Menschen hier mit dem Vorwurf leben, der Anschlag sei so eine keupstraßen-mäßige Sache gewesen“, sagt er. „Das Fest ist von jedem von uns eine Entschuldigung dafür, dass wir es uns vielleicht ein bisschen zu einfach gemacht haben.“

Özcan Yildirim wird Pfingstsonntag seinen Hinterhof als Veranstaltungsort zur Verfügung stellen. Und vor dem Salon „Özcan“ wird er einen Stand aufbauen: Stylingprodukte, ein paar Luftballons. Gemeinsam ein solches Fest zu feiern hält er für eine gute Idee. Er erhofft sich davon, „dass die Menschen in Zukunft besser miteinander klarkommen“.

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