Popkultur als Wirtschaftsfaktor„Junge Leute ziehen nicht nach Köln, weil hier der Rhein ist“

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Norbert Oberhaus steht in einem Flur vor Blumen und Postern und schaut in die Kamera.

Norbert Oberhaus in der Festivalzentrale der c/o pop in Ehrenfeld.

Das Musikfestival c/o pop wird 20 Jahre alt. Einer der Väter dieser Erfolgsgeschichte ist Norbert Oberhaus, der nun etwas kürzertreten will.

Eine halbe DIN A4-Seite, mehr nicht. Darauf standen acht Zeilen, die Norbert Oberhaus allen Ernstes als „halbfertigen Business-Plan“ bezeichnet. Dass der Mann gelernter BWLer ist, muss auch heute noch Kopfschütteln oder gar Bestürzung hervorrufen. Doch der Enthusiasmus, Tatendrang und auch ein gewisses Maß an Lokalpatriotismus ließen der Vernunft damals keine Chance. 2004, als die Musikstadt Köln nach dem Weggang der Popkomm und dem Aus des Ringfests gefühlt am Boden lag, starteten Norbert Oberhaus und seine Mitstreiter ein neues Festival: die c/o pop.

Dass daraus eine Erfolgsgeschichte geworden ist, obwohl im ersten Jahr stolze 100.000 Euro versenkt wurden, ist hinlänglich bekannt. Auch im 20. Jahr des Bestehens schaut die c/o pop in die musikalischen Nischen der internationalen Popmusik und der lebendigen Kölner Szene.

Zugleich wird es das Jahr sein, in dem Norbert Oberhaus persönlich erstmals ein wenig den Fuß vom Gaspedal nimmt: Nach zwölf Jahren scheidet er am Donnerstag auf eigenen Wunsch hin aus dem Vorstand der Klubkomm aus, dem Verband der Kölner Clubbetreiber und Veranstalter, den er selbst mitgegründet hatte. „Ich bin jetzt 61, und wenn du junge Leute dazu bewegen willst, die Zukunft zu sichern, musst du Platz machen“, sagt Oberhaus. Und dass es ihm schwerfalle.

Köln: Neuanfang mit der c/o pop nach Wegzug der Popkomm

Auch überlegt er schon jetzt, wie er die c/o pop in etwa drei bis fünf Jahren in jüngere Hände geben kann. Als Hauptgesellschafter könnte theoretisch er die „cologne on pop GmbH“ verkaufen. Sinnvoller wäre es, die Firma beispielsweise in eine Stiftung zu überführen, sodass auch kulturpolitische oder standortpolitische Fragen Gewicht haben, überlegt Oberhaus.

Gedankenspiele, die in der Festivalzentrale derzeit nicht gern gehört werden dürften. Denn Oberhaus hat sich in all den Jahren unverzichtbar im Kreativ-Kolleg gemacht. Und das nicht nur in Köln: Vor einem Jahr gründete er die Initiative „Popboard NRW“, um landesweit für bessere Strukturen und Fördergelder zu sorgen. Der Kulturstandort NRW befindet sich im Wettbewerb mit anderen Bundesländern, vor allem Hamburg und Berlin.

Nach der Popkomm musste ein Neuanfang her, um Köln als Musikstadt wieder relevant zu machen
Norbert Oberhaus

Einst bei der „StadtRevue“ beschäftigt, baute Oberhaus in den 90ern ein Club-Programm für den Stadtgarten auf und veranstaltete selbst Konzerte. Der Kultur-Manager avancierte zu einer der Schlüsselfiguren der Kölner Alternativ-Musikszene. Zum anderen Gründungsvater der c/o pop zählt Ralph Christoph, der 1998 den Club „Studio 672“ am Stadtgarten gegründet hatte. Maßgeblich unterstützt wurde das Duo von Manfred Post, einst „Rockbeauftragter“ im Kulturamt der Stadt.

„Es ging uns nicht nur darum, ein neues Festival zu gründen, sondern um neue Strukturen für Popkultur in Köln zu schaffen. Nach der Popkomm musste ein Neuanfang her, um Köln als Musikstadt wieder relevant zu machen“, blickt Oberhaus zurück. Dem c/o pop-Team gelang es in den Folgejahren zudem, „vergessene“ Orte für die Popmusik zu entdecken: Konzerte fanden im Panoramahaus am Kennedy-Ufer oder gegenüber in der ehemaligen Bundesbahndirektion statt, auch „Kulturtempel“ wie Museen oder die Philharmonie wurden bespielt.

Ein Branchentreff mit einem Festival im Herzen der Stadt, in dem die Stars von morgen entdeckt werden - die Rechnung ging letztendlich auf: 2009, in dem in Berlin die Popkomm wegen mangelnder Anmeldezahlen abgesagt wurde, kamen 200 Bands und Kunstschaffende sowie mehr als 30.000 Besucher zur c/o pop.

Vom „Trüffelschwein“ unter den Festivals ist oft die Rede, denn dem jungen Team um Oberhaus gelang es immer wieder, Newcomern auch ungewöhnliche Bühnen zu bieten. So spielte die französische Indie-Band „Phoenix“ auf einem Parkhausdeck der Messe, auch Jan Delay, Arcade Fire, Wanda oder Chilly Gonzalez traten vor ihrem Durchbruch in Köln auf. Auch für lokale Musiker erwies sich die c/o pop als Sprungbrett: Annenmaykantereit spielen im „Green Guerilla“ an der Roonstraße, lernten dort ihren Manager kennen – und starteten richtig durch. 2012 gab Marius Lauber alias Roosevelt sein Debüt, der seitdem international gefragter ist als in seiner Heimat.

Köln: Popkultur als Wirtschaftsfaktor

„Der Imagegewinn für die im öffentlichen Ansehen stark beschädigte Stadt ist gewaltig“, schreibt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ über die c/o pop. Ein Satz, der sehr aktuell klingt, gleichwohl stammt er aus dem Premieren-Jahr 2004. Oberhaus, der mit dem Kölner Kulturpreis ausgezeichnet wurde, wird nicht müde zu betonen, dass die freie Szene ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor geworden ist. Aus einer vier Jahre alten Studie der Klubkomm, an der auch die Industrie- und Handelskammer sowie das Kulturamt der Stadt beteiligt waren, ging hervor, dass pro Jahr etwa vier Millionen Besucher bei rund 8.000 kulturrelevanten Veranstaltungen in Köln sind. Auch Kölntourismus hat das Potenzial erkannt und versucht inzwischen, mit der vielfältigen Popularkultur für die Stadt zu werben.

Junge Leute wollen in eine Stadt, in der was los ist. Sie ziehen nicht hier hin, weil hier der Rhein ist.
Norbert Oberhaus

Eine lebendige Szene sei ebenso wichtig für Unternehmen, die auf Standortsuche sind. Oberhaus: „Beschäftigte wollen nicht nach Neuss, wo – mit Verlaub – nichts ist. Oder warum siedeln sich Start-ups in Ehrenfeld an? Weil junge Leute in eine Stadt wollen, in der was los ist. Sie ziehen nicht hier hin, weil hier der Rhein ist.“

So langsam, sagt Oberhaus, komme das auch in der Stadtverwaltung an: „Die Stadt lässt sich den Umbau von Oper und Schauspiel nahezu eine Milliarde Euro kosten – nichts gegen die Hochkultur, aber wie wollen sie das einer freien Szene erklären, die um ihren Stellenwert und die damit verbundene finanzielle Ausstattung permanent kämpfen muss.“

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