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Interview

Jutta Kleinschmidt
„Gegen eine Frau zu verlieren, fanden einige viel zu peinlich“

7 min
Jutta Kleinschmidt im Jahr 2021 bei der Extreme E in Dakar, einer Off-Road Rennserie mit Elektroautos

Jutta Kleinschmidt im Jahr 2021 bei der Extreme E in Dakar, einer Off-Road Rennserie mit Elektroautos

Die Kölnerin Jutta Kleinschmidt gehört zu den weltweit erfolgreichsten Frauen im Motorsport. Ein Gespräch über ihre Karriere unter Männern, Nachhaltigkeit und ihren Sieg bei der Rallye Dakar, der so filmreif war, dass Hollywood ein Drehbuch schrieb.

Frau Kleinschmidt, Sie sind gebürtige Kölnerin und Tochter eines Kölners. Was verbinden Sie mit der Stadt?

Jutta Kleinschmidt: Kindheitserinnerungen natürlich, und den Kölner Karneval. Als Erwachsene kam ich oft zurück, meist aber beruflich. Ich mag Köln. Hier kann ich in jede Bar gehen und ein Gespräch mit den Leuten anfangen. Diese Offenheit gefällt mir sehr.

Nach Ihrem sechsten Lebensjahr zogen Sie nach Berchtesgaden. Zeigte sich da schon Ihre Begeisterung für Technik und Motorsport?

Definitiv. Seit ich denken kann, wollte ich ein Motorrad. Wir haben schon als Kinder unsere eigenen Seifenkisten gebaut und rollten damit den Berg runter. Weil ich mehr Technik, Mathe und Physik machen wollte, durfte ich sogar mit einer Sondergenehmigung auf eine Jungenschule. Damals gab es in den Mädchenschulen noch die Schwerpunkte Hauswirtschaft und Betriebswirtschaft, das war nichts für mich.

Und wann begannen Sie, sich für Rallye zu interessieren?

Das war erst gegen Ende meines Studiums. Ich war begeisterte Motorradfahrerin, hörte von der Paris-Dakar-Rallye und dachte: Da muss ich unbedingt mitmachen. Weil die Teilnahme teuer ist, habe ich die Rallye zuerst als Urlauberin begleitet. Macht eigentlich niemand, ne? (lacht)

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Sie sind also alle Etappen mitgefahren, aber ohne Wertung?

Genau, mit meinem Motorrad. Als sich am Lac Rose in Dakar die Finalisten in die Arme fielen, dachte ich: Bei denen will ich auch mal stehen.

Rallye bedeutet nicht nur Geschwindigkeit. Man fährt über Stock, Stein, und Sand, es ist heiß, das Auto ruckelt und man bleibt schnell stecken. Was reizt Sie trotzdem daran?

Ich liebe Herausforderungen, ich liebe Wettbewerb und ich liebe Technologie. Rallye war für mich die perfekte Mischung, das perfekte Abenteuer. Es geht nicht nur um Schnelligkeit, die Strategie muss stimmen und die Technik auch. Man kann nicht wie auf der Rennstrecke ein paar Testrunden drehen. 

Sie sind studierte Physikerin. Wie hilft Ihnen dieses Wissen bei einer Rallye?

Es hilft, das Auto zu verstehen. Ich habe nach meinem Studium bei BMW als Ingenieurin gearbeitet. Dieses Wissen ist natürlich ein Vorteil, denn auch eine Rallye unterliegt den Gesetzen und Regeln der Physik. Es half mir auch bei der Akzeptanz im Team – gerade als Frau. Ich konnte mich mit den Ingenieuren und Mechaniker austauschen, legte mich unter das Auto und schraubte mit.

Motorsport gilt als Männer- und Machodomäne. Kamen viele Sprüche, als Sie als junge Frau dort Karriere machten?

An Sprüche erinnere ich mich nicht, auf die hätte ich auch nicht gehört. Aber ich kämpfte schon sehr um meine Akzeptanz im Team. Vor mir hatte noch nie eine Frau die Rallye Dakar gewonnen. Die vorherrschende Meinung schien: Es ist zwar schön, wenn eine Frau mitfährt, aber wir setzen weiter auf unsere Jungs als Gewinner. Zu Beginn haben mir einige Männer gerne geholfen, aber das geht nur gut, solange du langsamer bist als sie. Danach war es mit der Hilfsbereitschaft schnell vorbei – gegen eine Frau zu verlieren fanden sie viel zu peinlich. Natürlich gab es viele tolle Teamkollegen, aber einige bekämpften mich auch massiv. Das wurde erst nach meinem Sieg in Dakar besser. Ich wurde für meine Rallye-Kollegen zu einem Neutrum, zu einer Ausnahmefrau, gegen die alle schon verloren haben – dann ist es nicht mehr so schlimm, wenn ich vor ihnen fahre.

Jutta Kleinschmidt bei der letzten Etappe der Rallye Dakar 2001

Jutta Kleinschmidt bei der letzten Etappe der Rallye Dakar 2001

Wie hat Sie diese Erfahrung geprägt?

Ich war schon früh das einzige Mädchen unter den Jungs. Das war auf der Jungenschule so, im Studium und in meinem Job bei BMW. Für mich war das einfach normal. Natürlich führte das zu Problemen, aber die habe ich als Widerstände gesehen, die ich eben überwinden muss. Ich wollte nie das Mädchen unter den Jungs sein, ich wollte immer Teilnehmer unter den Jungs sein und genauso behandelt werden. Das hat auch oft funktioniert.

Erzählen Sie bitte von der Rallye Dakar im Jahr 2001. Diesem Rennen ging ein Streit mit Ihrem Ex-Lebensgefährten voraus…

Ich fuhr die Jahre zuvor im Team meines damaligen Partner Jean-Louis Schlesser. Als mein Sponsor in die Formel 1 wechselte und wegbrach, sagte er: Ohne Geld kannst du hier nicht weiterfahren. Also kratzte ich mit Mitsubishi Deutschland etwas Geld zusammen und kaufte mich als Privatfahrerin mit Kundenauto in das Team von Mitsubishi ein. Das Auto war zwar 200 Kilogramm schwerer als die vom Werksteam, aber nicht schlecht. Mein Freund war sauer, weil ich nun für Mitsubishi fuhr, und beendete die Beziehung. Dann starteten wir beide bei dieser Wahnsinnsrallye.

Während der es weiter zu Streit kam.

Jean-Louis beschwerte sich einmal, mein Beifahrer und ich hätten einen GPS-Punkt nicht korrekt angefahren. Daraufhin wurden wir und 30 weitere Autos mit einer Zeitstrafe belegt, die uns ordentlich zurückschmiss. Gegen Ende lagen wir trotzdem auf dem dritten Platz, Jean-Louis war Zweiter und Hiroshi Masuoka, ein Werksfahrer von Mitsubishi, führte. Jean-Louis behauptete dann, ich hätte ihn auf einem Streckenstück blockiert, aber die Schiedsrichter sagten: das stimmt nicht.

Am nächsten Tag generierte Jean-Louis einen Frühstart und fuhr als Erster auf die Strecke, dabei hätte eigentlich zuerst Hiroshi starten dürfen. Hiroshi verlor komplett die Nerven. Er versuchte, Jean-Louis mit Vollgas Offroad zu überholen und erwischte dabei mit dem Rad einen Baumstumpf. Die Reparatur kostete ihn 20 Minuten. Am Abend vor der letzten Etappe war also Jean-Louis Erster, ich Zweite und Hiroshi kam knapp hinter mir auf Platz drei. Jean-Louis hatte mit einer kleinen Zeitstrafe wegen dem Frühstart gerechnet, aber da hatte er sich getäuscht: Er bekam eine Stunde wegen unsportlichen Verhaltens. Damit fiel er auf Platz drei zurück und ich führte. Für Jean-Louis war das natürlich die Höchststrafe.

Wie haben Sie in dieser Nacht geschlafen?

Gar nicht. Ich lag stundenlang im Bett und zählte Schäfchen, aber geschlafen habe ich nicht. Denn Mitsubishi wollte, dass mit Hiroshi ein Werksfahrer gewinnt, ich war ja nur Kundin. Also bauten sie mir am Abend das Reifenluftdrucksystem aus meinem Auto, mit dem man im Sand schneller Luft ablassen kann. Das hat mich ordentlich Nerven gekostet.

Wie haben Sie am letzten Tag einen kühlen Kopf behalten? Wenn das eigene Team manipuliert und der Ex-Partner an der Stoßstange hängt?

Als ich am nächsten Morgen am Startpunkt stand, waren die Sorgen weg. Ich entschied mich für einen mittleren Luftdruck in den Reifen, konzentrierte mich auf die Strecke und fuhr einfach volle Sahne los. Manchmal ist es ein Vorteil, dass ich mich nicht auf mehrere Dinge gleichzeitig fokussieren kann. Für Nervosität war einfach kein Platz.

In Dakar standen Sie dann ganz oben auf dem Siegertreppchen. Jean-Louis Schlesser ging gerichtlich gegen Ihren Sieg vor und verlor. Überschattete der ganze Stress den Sieg oder machte er ihn noch süßer?

Er machte ihn süßer. Wieso sollte das überschatten?

Naja, die Rallye schien mit viel Ärger verbunden.

Aber für mich ging alles gut aus. Ich war schon happy, als ich auf dem dritten Rang fuhr, aber dass wir am Ende gewonnen haben, war der Knaller. Darüber habe ich mich wahnsinnig gefreut.

Jutta Kleinschmidt und ihr Beifahrer Andreas Schulz bei der Rallye Dakar 2002. Ein Jahr nach ihrem Sieg traten sie erneut an und landeten auf Platz 2.

Jutta Kleinschmidt und ihr Beifahrer Andreas Schulz bei der Rallye Dakar 2002. Ein Jahr nach ihrem Sieg traten sie erneut zusammen an und landeten auf Platz 2.

Nach Ihrem Sieg in Dakar schrieb eine spanische Zeitung: Jutta Kleinschmidt hat das Talent von Pionieren. Was hat sich seitdem für Frauen im Rallyesport verändert?

Es gibt heute viele junge Frauen, die Offroad-Rallyes fahren. Wenn sie mich kontaktieren, merke ich, was für eine Motivation mein Sieg war. Mit mir hat es eine Frau bereits geschafft, ich habe bewiesen, dass selbst Paris-Dakar nicht zu schwer für uns ist. Dieses Selbstbewusstsein ist total wichtig.

Wie hat sich die Rallye Dakar in den letzten Jahren verändert?

Sie ist heute deutlich abgeschwächt: Man fährt weniger Kilometer pro Tag, wenn man eine Etappe nicht beendet, kriegt man eine große Strafzeit, darf aber am nächsten Tag wieder starten. Früher war das alles anders. Wer einen Tag nicht schaffte, fuhr nach Hause. Auch die ganzen Sicherheitssysteme gab es nicht. Wenn du dich verfahren hast, konntest du eine Rakete losschicken, allerdings nur mit einem geringen Sichtradius. Heute beobachtet der Veranstalter über GPS, wo alle seine Schäfchen herumfahren, ob es eine Kollision gab, und ein System warnt andere Fahrer, wenn hinter der Düne ein Fahrzeug festhängt. Die Rallye Dakar ist heute viel sicherer.

Was bedeutet es Ihnen heute, Ihren Namen auf Liste der erfolgreichsten Rallye-Fahrer zu lesen?

Das finde ich gut (lacht). Es ermöglicht mir, heute noch von meinem Sport zu leben und ihn mitzugestalten – beispielsweise als Präsidentin der Cross Country Rally Commission der FIA. Die Dakar war irgendwann nicht mehr nachhaltig genug. Der ehemalige Präsident Jean Todt der FIA bat mich, nach Ideen zu suchen, wie man den Sport wieder nach vorne bringt. Ich schlug kleinere, billigere Fahrzeuge für den Nachwuchs vor, weil die Rallye für jüngere Fahrer viel zu teuer wurde. Und wir brauchten mehr umweltfreundliche Technologien. Momentan darf ich für Audi das Siegerauto der Dakar-Rallye 2024 bei ausgewählten PR-Veranstaltungen fahren: Ein E- Wagen mit kleinem Energiegenerator. Dieses Teil ist ein absolutes Technikwunder und es macht irrsinnig Spaß, damit zu fahren. Es hat eine Wahnsinnsbeschleunigung und ist das beste Rallye-Auto, das ich bisher hatte.

Kann der Rallye-Sport in Ihren Augen also nachhaltig werden?

Ja. Die Rennen müssen nachhaltig werden, ansonsten kann der Sport nicht überleben. Damit setzen wir auch neue Anreize und Herausforderungen an die Autoindustrie. Die Rallye Dakar war 2008 ein letztes Mal ausgebucht, dann ging es nur bergab. Das änderte sich, als wir neue Regularien einführten, 120 kleine Buggys für den Nachwuchs besorgten und auf moderne Technologien setzten. 2022 war die Dakar zum ersten Mal wieder voll ausgebucht.

Jutta Kleinschmidt im Jahr 2021 bei der Extreme E in Dakar

Jutta Kleinschmidt im Jahr 2021 bei der Extreme E in Dakar

Was für eine Autofahrerin sind Sie?

Eine ganz normale.

Keine rasante?

Ich fahre so schnell, wie ich darf. Ohne Führerschein bin ich ja aufgeschmissen. Aber wenn auf der Autobahn keine Geschwindigkeitsbegrenzung gibt, fahre ich schon etwas schneller.

Die Produktionsfirma von Steven Spielberg hat sich die Rechte für die Verfilmung Ihres Lebens gesichert. Wie laufen da die Vorbereitungen?

Eine Rohfassung des Drehbuches ist fertig, das muss jetzt überarbeitet werden. Es gibt auch schon Ideen, wer mich spielen soll. Wenn man in einem Jahr mit den Dreharbeiten beginnen könnte, würde ich mich freuen.

Inwieweit sind Sie bei der Verfilmung involviert?  

Ich bin Co-Produzentin und kann dadurch bedingt Einfluss nehmen auf einzelne Szenen. Der Film dreht sich hauptsächlich um die Dakar-Rallye 2001. Diese Rallye birgt so manches filmreiches Material, mit Konflikten, einem knappen Sieg und der ex-Liebesgeschichte. Aber es bleibt ein Spielfilm basierend auf einer wahren Geschichte. Nicht alles ist hundertprozentig so geschehen.

Werden Sie beim Dreh das eine oder andere Mal selbst versteckt am Steuer sitzen?

Das kann gut sein. Wenn schnellere Fahraufnahme von außen gemacht werden, biete ich mich natürlich gerne an.