Gewalt, Bedrohung, DiebstähleWie vier junge, kriminelle Kölner die Kurve gekriegt haben

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Sie waren als Kinder schon kriminell, heute sind sie auf dem Weg in ein geregeltes Leben – vier junge Kölner berichten.

Mit dem Projekt „Kurve kriegen“ wollen Polizei und Sozialarbeiter kriminelle Karrieren früh stoppen. 126 Kölner haben das Programm seit 2011 durchlaufen – die meisten erfolgreich.

Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichten vier ehemalige Teilnehmer von ihrem alten Leben und wie es ihnen gelungen ist, die vielleicht letzte Chance vor dem Jugendknast zu ergreifen. Um ihre Identität zu schützen, haben sie sich für diese Geschichte andere Vornamen gegeben, ihre Gesichter sind bewusst nicht erkennbar.

Lionel kickt einen Fußball in die Luft

Lionel ist leidenschaftlicher Fußballer, er sucht eine Ausbildungsstelle zum Chemikanten

Lionel, 19, der Fußballer: Es lief bei mir damals nicht gut in der Schule. Ich hatte viele Probleme, habe mit Freunden draußen abgehangen und Scheiße gebaut. Wir waren Kinder, haben uns cool gefühlt. Meine Mutter war alleinerziehend. Sie hat es bei mir auf die nette Tour versucht. Aber das hat nicht funktioniert, sie hätte härter sein können.

Mit 14 hat es bei mir Klick gemacht: Ich merkte, dass ich meiner Mutter und mir selbst schade. Ich habe mich von schlechten Freunden getrennt, mich auf die Schule konzentriert. Fußball spielen ist immer noch meine Leidenschaft. Ich suche gerade eine Ausbildungsstelle zum Chemikanten. Irgendwann möchte ich mich selbstständig machen.


Der 19-jährige Chris besprüht eine Wand mit Graffiti.

Amaru zeichnet gerne, macht Hip-Hop und will seinen Realschulabschluss machen.

Amaru, 22, der Künstler: Ich erinnere mich nicht mehr, ob es einen konkreten Auslöser gab, warum ich bei „Kurve kriegen“ gelandet bin. Ich hatte zuerst überhaupt keinen Bock darauf, meine Mutter musste mich überreden.

Ich erinnere mich noch gut an eine Schulkonferenz, wo ich mit meiner Mutter war: Es gab Ärger, weil ich viel gemalt hatte, alle Tische waren voll mit meinen Zeichnungen. Nach der Schule war ich meistens mit Freunden draußen. Wir haben Diebstähle gemacht, Sachen zerstört und ein Mal sogar Steine auf einen Bus geworfen, so dass die Scheibe zerplatzt ist. Ich hatte auch ein paar Rangeleien, kleinere Körperverletzungen.

Meine Mutter konnte nicht gut damit umgehen, sie war alleinerziehend, ich habe noch drei kleinere Brüder. Ich hatte in all den Jahren viele verschiedene Betreuer, die am Ende verhindert haben, dass ich komplett auf die schiefe Bahn geraten bin. Zurzeit arbeite ich als Lagerist, will dieses Jahr meinen Realschulabschluss machen und dann vielleicht etwas im IT-Bereich suchen. In meiner Freizeit mache ich Hip-Hop und gehe gern ins Fitnessstudio.


Chris steht mit dem Rücken zur Kamera vor einer mit Grafitti besprühten Mauer.

Chris will im Sommer eine Ausbildung beginnen.

Chris, 19, der Basketballer: Ich hatte als Kind und Jugendlicher einen festen Freundeskreis, wir haben zusammen viel Scheiße gebaut. Körperverletzungen, Ladendiebstahl, solche Dinge. Ich hatte deshalb schon früh meinen ersten Kontakt mit der Polizei. Meine Mutter war alleinerziehend, ich habe gemerkt, wie sehr sie gelitten hat.

Mit 10 oder 11 Jahren bin ich dann zu „Kurve kriegen“ gekommen und habe das auch durchgezogen. Inzwischen habe ich einen neuen Freundeskreis. In meiner Freizeit spiele ich viel Basketball. Ich gehe zurzeit noch auf die Realschule, will aber im Sommer eine Ausbildung beginnen.


Cristiano sitzt in einem Tonstudio und singt in ein Mikrofon

Cristiano macht gerne Musik, er absolviert eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker

Cristiano, 19, der Hip-Hopper: Ich war auf dem Gymnasium, wollte aber eher Spaß haben. Mit Freunden habe ich Scheiße gebaut, und das hat sich immer mehr gesteigert. Die Aktionen mussten lustiger werden, mehr Adrenalin.Wir haben Hausfriedensbrüche gemacht, weil es aufregend war, irgendwo reinzugehen, wo man nicht reingehen durfte. Ich hatte auch Anzeigen wegen Bedrohung.

Meine Mutter war alleinerziehend, es war eine schwierige Zeit für sie. Aber sie blieb immer dran, auch wenn es Momente gab, wo sie hilflos und am Ende war. Mein Vater hat nicht viel von mir mitbekommen. Als ich 13 war, empfahl man mir, bei „Kurve kriegen“ mitzumachen. Das war eine Überwindung, aber es gab ein paar gute Gespräche, und dann ging es. Heute muss ich sagen, das war ein absolut notwendiger Schritt. Ich habe gelernt, dass ich für meine Entscheidungen selbst verantwortlich bin.

Ich mache gerade eine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker. Ich bin sehr musikaffin, mache Hip-Hop – und ich boxe gerne. Das erfordert viel Geduld und Selbstkontrolle. Aber ich habe so meine Kraft einzuschätzen gelernt und kann sie gut umwandeln. Meinen alten Freundeskreis habe ich behalten.

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