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Wenn Körperlaute zur Qual werdenSelbsthilfe-Kontaktstelle Köln plant Misophonie-Gruppe

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Wer unter Misophonie leitet, den stören Alltagsgeräusche wie Kauen, Trinken oder Atmen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband möchte eine Selbsthilfegruppe für Menschen einrichten, die unter selektiver Geräusch-Intoleranz leiden. 

Das Knacken von Fingerknochen, Schmatzen während des Essens, das anschließende Schlürfen eines Getränks, ein unbewusstes Seufzen in Anbetracht des Aktenstapels auf dem Bürotisch des Kollegen, aber auch dessen unaufhörliches Geklicke zur Aus- und Einfuhr der Kugelschreiber-Mine können vertraute Laute sein, die zum alltäglichen Klangspektrum des Menschen gehören. Zumeist eher am Rande wahrgenommen, können die Geräusche in Form einer Misophonie jedoch die Psyche anderer schwer belasten.

Die Krankheit beschreibt eine selektive Geräusch-Intoleranz, die im Bereich der Neurowissenschaften erforscht wird. „Besonders krass reagiere ich auf Nase hochziehen. Die Geräusche rufen bei mir unkontrollierbare Reaktionen hervor. Das geschieht in Millisekunden“, berichtet Florian W. (Name von der Redaktion geändert). „Bei mir ist es ein körperlicher und emotionaler Reiz. Der Magen und die Arme verkrampfen sich. Das führt zu enormen Stress. Der Herzschlag steigt.“ Die davon betroffenen Leute können demnach verbal ausfallend werden. Ein richtiges Problem sei die Misophonie seit etwa drei Jahren für ihn. Er leide darunter aber schon seit dem 13. Lebensjahr, so der Lehramtsstudent.

Ganz extrem war es vor etwa drei Jahren wegen eines einen Mitbewohners, der ein Hals-Nasen-Ohren-Problem hatte. Diese Geräusche haben mich auf die Palme gebracht.
Florian W.

Florian W. outete sich mit seinen Problemen bereits früh im Familienkreis. In den vergangenen Jahren kämpfte der junge Mann jedoch überwiegend alleine gegen die Auswirkungen des Syndroms und zog dabei oftmals den Kürzeren. „Ganz extrem war es vor etwa drei Jahren wegen eines Mitbewohners, der ein Hals-Nasen-Ohren-Problem hatte. Diese Geräusche haben mich auf die Palme gebracht. Ich kann mittlerweile kaum noch Bahn fahren, weil man da von Leuten umgeben ist, die schniefen. Ich trage Noise-Cancelling-Kopfhörer, sonst schaffe ich das nicht“, berichtet der Betroffene.

Während das Phänomen in Deutschland noch eher unbekannt sei, gebe es in den USA mehr Erkenntnisse über die möglichen Hintergründe der Krankheit, berichtet W. Eine Hypothese beziehe sich auf konditionierte Reaktionen auf spezielle Geräusche: „Vielleicht gab es früher beim Familienessen ungute Situationen, die ich unterbewusst mit einem Geräusch abgespeichert habe.“ Auch an der Uni sei es für ihn äußerst schwierig, den Vorlesungen zu folgen. „Ich versuche mich wegzusetzen, wenn die Trigger kommen. Ich muss dem entgegenwirken und versuche, mir Oasen einzurichten, wo ich abschalten kann. Doch zu einer Psychotherapie konnte ich mich bisher nicht durchringen“, erklärt der gebürtige Kölner.

W. möchte sich in der Sache mit anderen Personen austauschen, die unter ähnlichen Symptomen leiden. Mithilfe der Selbsthilfe-Kontaktstelle unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes könnten einmal im Monat zwei- bis dreistündige Treffen in den Räumlichkeiten stattfinden, vorausgesetzt, es finden sich genügend Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die kostenlosen Einheiten. Bisher, so W., sei die Resonanz noch bescheiden.

Eine mögliche Misophonie-Selbshilfegruppe würde während der Entwicklungsphase in den Räumlichkeiten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes am Marsilstein zusammenkommen.

Eine mögliche Misophonie-Selbshilfegruppe würde während der Entwicklungsphase in den Räumlichkeiten des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes am Marsilstein zusammenkommen.

Für die Realisation des Unterfangens steht dem Initiator Kontaktstellen-Mitarbeiterin Sarah Huwald zur Seite: „Beim ersten Treffen übernehmen wir in Absprache die Moderation und unterstützen in organisatorischen und gruppendynamischen Fragen. Darüber hinaus ist es möglich, dass geschulte ehrenamtliche Kräfte als ‚InGangsetzer‘ die Gruppe in der Startphase begleiten“, informiert Huwald. Der Raum stehe für mehrere Meetings zur Verfügung. „Wenn sich die Misophonie-Gruppe gefunden hat, können wir aus einer Raumkartei neue Örtlichkeiten im Stadtgebiet finden“, so die Kulturpädagogin. Interessierte Teilnehmer werden gebeten, per E-Mail an misophonie.koeln@gmail.com zu schreiben.


Selbsthilfe-Kontaktstelle Köln Die Selbsthilfe-Kontaktstelle arbeitet unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Derzeit sind in Köln über 250 Gruppen angemeldet. Dazu addieren sich weitere Untergruppen. Marsilstein 4–6, 50676 Köln, Telefon: 0221 95154223, www.paritaetischer-koeln.de