Leihmütter aus der UkraineWie eine ukrainische Babyfabrik ein deutsches Baby vertauschte

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Zwei Frauen mit Mundschutz sitzen vor einem Mikroskop in der Firmenzentrale der Biotexcom-Zentrale in Kiew

Blick ins Labor der Firmenzentrale von Biotexcom in Kiew

Der Gründer der Kinderwunschfirma Biotexcom lebte Jahre in Köln. Die gebotene Hilfe ist nicht immer fehlerfrei.

Das Hochhaus am Rande von Köln-Porz ist arg in die Jahre gekommen. Vom Regen grau gewaschener Beton, acht Stockwerke, neben dem Eingang stapelt sich der Sperrmüll. Es ist ein kalter, wolkenverhangener Tag Ende Januar.

Auf einer der Klingeln steht „Tochilovsky“. Es öffnet eine ältere Dame. Sie spricht gerade genug Deutsch, um verständlich machen zu können, dass sie Alberts Mutter ist. Albert Tochilovsky. Dann ruft sie ihre Tochter an. Die ist zu einem Gespräch über ihren Bruder bereit, aber nicht jetzt, sie bittet um einen Anruf in der kommenden Woche.

Gründer des größten Anbieters für Leihmutterschaft hat in Köln-Porz gelebt

Der Bruder, Albert Tochilovsky, ist Gründer und Chef von Biotexcom. Die Firma mit Sitz in Kiew ist der größte Anbieter von Leihmutterschaft in der Ukraine, vielleicht sogar weltweit. Ukrainische Gesundheitsbehörden geben an, vor Kriegsbeginn habe Biotexcom pro Jahr etwa 1000 Kinder von Leihmüttern für Paare aus der ganzen Welt austragen lassen. Rund 150 davon allein für deutsche Paare.

Dem Unternehmen unterlaufen allerdings mutmaßlich immer wieder grobe Fehler – solche, die gerade in einem ethisch derart heiklen Geschäft nicht passieren dürften. Mal verschwinden Embryos, mal stellen sich im Nachhinein DNA-Nachweise, die die Verwandtschaft der Auftraggeber mit den Kindern belegen sollen, als falsch heraus. Immer wieder werden zudem Fälle bekannt, in denen Leihmütter durch eine zu aggressive Hormonbehandlung schwer krank wurden.

Mit der „Welt am Sonntag“, „Politico“ und „Newsweek Polska“ hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in den vergangenen sechs Monaten recherchiert, wie häufig es im Unternehmen solche Pannen gibt und warum sie passieren. Das Reporterteam sprach mit rund einem Dutzend Kunden aus mehreren Ländern, mit Hilfsvereinen, ehemaligen Leihmüttern ­und mit Ermittlern der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft. Es formte sich das Bild einer Firma, hinter der mit Albert Tochilovsky ein mächtiger Mann steht – dem in der Ukraine trotz all der bekannt gewordenen Fälle und sogar eines offiziellen Ermittlungsverfahrens bis heute niemand etwas anhaben konnte und dessen Geschäft glänzend läuft.

Zwei Mitarbeiterinnen sitzen hinter einem weißen Empfangstresen im Eingangsbereich der Biotexcom-Klinik in Kiew.

Eingangsbereich der Biotexcom-Klinik in Kiew

Was sich im Kopf abspielt, das könne man jemandem, der das alles selbst nicht erlebt habe, kaum erklären, erzählt Anke Feuerbach aus Hessen heute rückblickend. Da sei dieser drängende Wunsch, der von Monat zu Monat größer werde: Ich will ein Kind. Der Körper, der nicht mitspiele, über Jahre hinweg. All die Methoden, die man als Paar ausprobiere, Hormonbehandlungen, künstliche Befruchtung, tausende Euro, die man für all das ausgebe. Und immer die nagende Frage: Was stimmt nicht mit uns? Alle anderen können das doch auch ­– Kinder kriegen.

Sie und ihren Mann Ingo, beide Ende 30 und erfolgreich im Beruf, trieb die Sehnsucht schließlich zu einem Schritt, der ethisch umstritten und in Deutschland verboten ist. Sie mieteten den Uterus einer fremden Frau in einem fremden Land, die für sie ein Kind austragen sollte. Die Feuerbachs, die in Wahrheit anders heißen, suchten Hilfe bei Biotexcom. Heute sagt Anke Feuerbach: „Hätten wir gewusst, was passiert: Nie im Leben hätte mein Mann mitgemacht.“

Deutsche Familie zahlte Biotexcom 35.000 Euro für ein Kind

Das Angebot auf der Internetseite von Biotexcom wirkte transparent: Kunden können hier zwischen drei verschiedenen Varianten wählen, von „Standard“- bis „VIP“-Paket, wo man sogar das Geschlecht des Kindes auswählen kann. Die einfache Variante, die Feuerbachs wählten, kostete damals etwa 35.000 Euro, heute sind es laut Website etwa 5000 Euro mehr.

Die Feuerbachs riefen bei der Firma in Kiew an. Eine Betreuerin erklärte das Prozedere: Frau Feuerbach würde zunächst in Deutschland eine Hormontherapie durchlaufen, dann mit ihrem Mann nach Kiew reisen, wo in der Biotexcom-Klinik Anke Feuerbachs Eizellen entnommen und im Labor mit dem Samen ihres Mannes befruchtet würden. Die Embryonen würden einer Ukrainerin eingesetzt, die das Unternehmen aus seiner Datenbank heraussuchen werde. Das Honorar für die Leihmutter sei in den genannten Gebühren schon enthalten, um die 20.000 Euro. Während der Schwangerschaft würde man die Feuerbachs mit Ultraschallfotos auf dem Laufenden halten. Biotexcom garantierte, den Papierkram mit den Behörden zu erledigen und einen deutschen Pass für das Kind zu besorgen.

Trotz des Kriegs zieht das Geschäft mit Leihmüttern aus der Ukraine wieder an

Die Biotexcom-Zentrale liegt etwas außerhalb der Kiewer Innenstadt, in einem ruhigen Wohnviertel. An einem Tag im Dezember 2022, an dem unsere Reporter Biotexcom mit der Kamera besuchen, herrscht im Klinikgebäude Geschäftigkeit. Etwa 30 Schwangere stehen und sitzen in der Empfangshalle und warten auf ihren Check-Up. Die Tour über den Firmencampus leitet der Chef selbst, Albert Tochilovsky. Er ist gut gelaunt, weil sein Geschäft nun trotz des Krieges im Land wieder anziehe, wie er sagt. Allein für den Monat März seien 30 Geburten geplant.

Die Firma hat einen Markt professionalisiert, der von Jahr zu Jahr wächst: Die amerikanische Marktforschungsfirma Global Market Insights schätzt, dass Paare rund um den Globus 2022 insgesamt 14 Milliarden Dollar für Leihmütter und Vermittlungsagenturen ausgaben, und dass diese Summe jedes Jahr wächst. Die Zielgruppe ist groß. Allein in Deutschland ist ungefähr jedes zehnte Paar ungewollt kinderlos.

Dass gerade die Ukraine ein wichtiger Markt für Leihmutterschaft ist, hat zwei Gründe: Dort lebten schon vor dem Krieg viele Frauen in so großer Armut, dass sie bereit sind, für ein paar Monate ihren Körper zu vermieten. Und die bürokratischen Hürden sind niedrig. Das deutsche Auswärtige Amt erklärt auf Anfrage: Komme ein Paar mit einem in der Ukraine geborenen Baby zur Deutschen Botschaft in Kiew und lege eine beurkundete Vaterschaftsanerkennung und eine Verzichtserklärung der leiblichen ukrainischen Mutter vor, frage man nicht weiter nach.

Albert Tochilovsky steht in seiner Klinik in Kiew

Albert Tochilovsky, Gründer von Biotexcom

Ein paar Tage nachdem Anke Feuerbachs Eizellen befruchtetet wurden, erhält sie eine E-Mail: Es sei eine geeignete Leihmutter gefunden worden, Lina. In ihrem Bauch wachsen Zwillinge heran. Kurz vor der Geburt reisen die Feuerbachs nach Kiew und beziehen ein Zimmer im Biotexcom-Gästehaus. Ringsum, den Gang entlang, sind Paare wie sie untergebracht: aus Italien, England, Asien, auch ein anderes Paar aus Deutschland, das genau wie Feuerbachs zwei kleine Jungen erwartet.

Lina bringt die Babys zur Welt, beide gesund. Feuerbachs sind jetzt Mutter und Vater. Sie nennen die Jungen Anton und Louis. Lina treffen die Feuerbachs nicht persönlich. Wie es ihr heute geht, wissen sie nicht.

Es gibt Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Rechte der Leihmütter einsetzen – und die Biotexcom für ihren Umgang mit den Frauen kritisieren. Nach den Schwangerschaften, erzählt etwa Maryna Legenka von der Organisation „La Strada“, lasse das Unternehmen die Frauen allein – selbst dann, wenn sie Schaden genommen hätten.

Hinweise darauf, dass Babys in der Klinik vertauscht wurden

Für die Feuerbachs zählt nach der Geburt nur eines: Endlich sind sie eine Familie. Drei Wochen später, die jungen Eltern sind längst wieder zu Hause, erhalten sie eine E-Mail – nicht vom offiziellen Mailaccount von Biotexcom, sondern von der privaten Adresse einer Mitarbeiterin, die sie während ihres Aufenthalts in Kiew kennengelernt haben. In der E-Mail steht: Es tut mir leid, dass ich Ihnen dies hier mitteilen muss, uns liegt jetzt der DNA-Test ihrer Söhne vor, und er zeigt, dass einer der beiden Jungen auf der Babystation vertauscht wurde – mit Jannis, einem der beiden Söhne der anderen deutschen Familie. Für sie, sagt Anke Feuerbach, habe sich das angefühlt wie ein unerwarteter Faustschlag ins Gesicht.

Schon 2011 stand die Firma unter einem schweren Verdacht: Sie soll ihren Kunden statt Kindern aus ihrem Erbgut ganz einfach ukrainische Babys verkauft haben. Ein italienisches Ehepaar hatte über Biotexcom einen kleinen Sohn bekommen, über den die Medien später als Tommy berichteten. Als die neuen Eltern Tommy bei der Kommunalverwaltung in Brescia registrieren ließen, wurde die Sachbearbeiterin hellhörig: ein blondes Baby, das den Eltern gar nicht ähnlich sah – und dann auch noch in Kiew geboren? Sie informierte die Polizei. Diese verlangte einen DNA-Test von Eltern und Kind.

Der ergab zum Entsetzen der Eltern, dass Tommy mit seinen Eltern nicht verwandt war – obwohl der Vater sein Sperma an Biotexcom geschickt hatte. Tommy kam in eine Pflegefamilie. Die Adoptiveltern klagten sich über Jahre hinweg durch viele Instanzen. Ohne Erfolg, sagt ihre Anwältin heute. Sie hätten Tommy nie zurückbekommen.

Die beiden sagten mir: Wenn du diesen Fall vor Gericht bringst, wirst du nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft arbeiten.
Juriy Kovalchuk, Ex-Staatsanwalt in der Ukraine

In der Ukraine nahmen Polizei und Staatsanwaltschaft im Jahr 2016 Ermittlungen gegen das Unternehmen auf. Der Vorwurf: Menschenhandel. Weil Tommy nicht der biologische Sohn des Italieners war, hatten die Eltern rechtlich gesehen ein fremdes Kind gekauft und außer Landes gebracht.

Firmengründer Tochilovsky, der während der Ermittlungen zeitweise unter Hausarrest in seiner Villa in Kiew stand, beteuerte damals in Interviews, es habe sich um einen bedauerlichen Einzelfall gehandelt. Um menschliches Versagen eines Mitarbeiters, der wohl ein Reagenzglas vertauscht habe.

Es gibt aber einen Mann, der bis heute nicht an einen schicksalhaften Einzelfall glaubt: Juriy Kovalchuk, damals Mitarbeiter des ukrainischen Pendants zur Bundesanwaltschaft der Ukraine. Er führte die Ermittlungen. Es ging dabei auch um den Vorwurf der Steuerhinterziehung. Das Unternehmen hat über die Jahre hinweg ein Firmengeflecht mit 15 Tochterfirmen mit teils undurchsichtigen Zwecken und Sitz in Steueroasen aufgebaut. Statt die Leihmütter stets vertragsgemäß zu bezahlen, so die Überzeugung der Staatsanwälte, sei viel Geld über diese Firmen in die Taschen des Firmengründers Albert Tochilovsky geflossen.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatten keine Konsequenzen für Biotexcom

Kurz vor der Anklageerhebung hätten Tochilovsky und dessen Anwalt ihn um ein Treffen gebeten, erzählt Kovalchuk. „Die beiden sagten mir: Wenn du diesen Fall vor Gericht bringst, wirst du nicht mehr bei der Staatsanwaltschaft arbeiten.“ Er habe sich aber nicht einschüchtern lassen, wenig später habe ihn eine Untersuchungskommission vom Fall abgezogen. Der Grund: Es lägen mehr als 100 Beschwerden einflussreicher Ukrainer gegen seine Ermittlungsarbeit in diesem Fall vor, unter anderem von Parlamentariern, die mit Tochilovsky bekannt gewesen sein sollen. Letztlich hatte der Fall keine rechtlichen Konsequenzen für den Firmenchef und sein Unternehmen.

Es lohnt sich, tiefer in die Biografie von Albert Tochilovsky einzutauchen. 1976 als Sohn eines Zirkusdirektors in der Ostukraine geboren, lebte er mehrere Jahre lang mit seiner Familie in Köln, er besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Diese Verbindung nach Deutschland könnte auch erklären, warum Biotexcom gerade auf dem deutschen Markt so engagiert ist.

Eine Woche nach dem Besuch bei seiner Mutter in Köln-Porz rufen die Reporter wie vereinbart Alberts Schwester an. Es meldet sich ihr Ehemann, Albert Tochilovskys Schwager. Seine Frau sei krank, sagt er freundlich, er könne aber auch gerne Auskunft geben. Und das tut er ausführlich.

Ukrainische Leihmütter warten in der Biotexcom-Klinik auf ihren Check-up.

Ukrainische Leihmütter warten in der Biotexcom-Klinik auf ihren Check-up

Er hat nur Positives über Albert zu berichten: Der habe zwar nur eine handwerkliche Ausbildung, sei aber schon immer ein Visionär gewesen und habe viele Firmenideen gehabt. Intelligent sei er, voller Tatendrang. In Köln habe er Geld mit Handwerkerjobs verdient, in seiner Freizeit Fußball gespielt. Doch die einfachen Hilfstätigkeiten hätten ihm irgendwann nicht mehr gereicht. Er habe mehr gewollt. Eine Idee, die ihn nicht mehr losließ, sei Leihmutterschaft gewesen, erzählt sein Schwager. Medizinische Kenntnisse habe er vorher nicht gehabt.

Zu dem Ermittlungsverfahren in der Ukraine sagt der Schwager: Albert habe sich seines Wissens nichts zu schulde kommen lassen. Die Ukraine sei eben leider ein korruptes Land; jemand in der Staatsanwaltschaft habe Albert wohl etwas anhängen wollen, so habe er es gehört.

Tochilovsky selbst sagt, den Ermittlern sei es „eigentlich“ nicht um die Frage gegangen, ob Kinder mit den Eltern genetisch übereinstimmen. „In Wahrheit ging es ihnen darum, ob wir genügend Steuern bezahlt haben. Die Staatsanwaltschaft wollte einfach Geld aus unserer Firma ziehen.“ Man habe ihn aufgefordert, sein Unternehmen an Geschäftsleute aus dem Umfeld hochrangiger Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft zu verkaufen, weit unter Marktwert – andernfalls müsse er mit 15 Jahren Gefängnis rechnen.

Die vertauschten Babys der Feuerbachs könne er sich nicht erklären, sagt Tochilovsky, er habe von diesem Fall auch noch nichts gehört. „Wir machen standardmäßig in unserer Klinik DNA-Tests, also sind Verwechslungen ausgeschlossen.“ Die ukrainische Hilfsorganisation „La Strada“ fordert seit Jahren ein Gesetz, laut dem Behörden die Tests offiziell überprüfen müssten – bisher ohne Erfolg.

Bei den Feuerbachs bricht nach der E-Mail aus Kiew Panik aus. Glück im Unglück, denken sie, dass sie die Familie kennen, bei dem ihr echter zweiter Sohn nun ist. Auch die anderen Eltern haben eine solche E-Mail bekommen. Schnell ist man sich einig: Die Verwechslung darf nicht auffliegen. Beide Familien kennen den Fall von Tommy in Italien. Sie tauschen ihre Söhne heimlich zurück. Die Feuerbachs sind, ohne es zu wissen, zu Menschenhändlern geworden – streng juristisch betrachtet. Menschlich gesehen hat sie ihr Kinderwunsch in eine Falle getrieben, aus der sie sich jetzt illegal befreien.

Heute gehen die beiden Jungs in die Kita. Noch wissen sie nichts von alldem: Wie sie auf die Welt gekommen sind, und wie eine Verwechslung dazu führte, dass einer von beiden um ein Haar in einer anderen Familie aufgewachsen wäre. Anke Feuerbach sagt, sie würden ihnen alles erzählen, später. „Dann werden wir ihnen auch das Babyalbum von ihren ersten Lebenstagen zeigen. Und dann werden wir sagen müssen: Das hier, Anton, das bist aber nicht du.“


Dieser Artikel ist mit Unterstützung von journalismfund.eu entstanden.

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