Die grandiose Baritonsaxofonistin Kira Linn feiert mit einem neuen Ensemble Konzertpremiere im Loft in Ehrenfeld.
Baritonsaxofonistin Kira LinnDie Klang-Reisende, die andere ermutigt, ihren eigenen Weg zu gehen

Baritonsaxofonistin Kira Linn lebt seit 5 Jahren in Köln. Hier spielt sie in diversen Jazz-Bigbands, und auch ihr Ensemble Linntett hat sich rasant weiterentwickelt.
Copyright: Marina Rosa Weigl
Eines Tages war Kira Linn einfach da. Da saß die junge Baritonsaxofonistin im Subway Jazz Orchestra in der Reihe der Holzbläser ganz rechts außen und versorgte den Gesamtklang der Bigband mit sonor resonierenden Klängen. Spätestens wenn sie eines ihrer wenigen Soli spielte, horchte man unwillkürlich auf: Scheinbar mühelos entlockte Kira Linn ihrem großen, schweren Tieftöner herrliche Improvisationen, melodisch, warm und samtig, unaufgeregt, doch spürbar getragen von der Fabulierfreude einer passionierten Erzählerin.
Dabei war sie anfangs gar nicht zufrieden mit der Wahl ihres Instruments: „Aber dann begann es mir zu gefallen, weil das Baritonsaxofon so viele Rollen in der Bigband spielen kann – als Teil des Saxofonsatzes, als Bassfigur oft zusammen mit dem Kontrabass oder der Bassposaune, als Melodieinstrument. Eigentlich spielt das Baritonsaxofon die coolste Rolle in der Bigband!“
Eigentlich spielt das Baritonsaxofon die coolste Rolle in der Bigband!
Mittlerweile lebt Kira Linn seit fünf Jahren in Köln, immer noch spielt sie begeistert und begeisternd in diversen Jazz-Bigbands, aktuell im Fuchsthone Orchestra, mit dem sie Anfang Dezember im Stadtgarten zu erleben ist. Noch viel mehr ist seit ihrer Ankunft geschehen, vor allem ihr Ensemble Linntett hat sich rasant weiterentwickelt – als Zeugnis einer sich stetig fortschreibenden Öffnung gegenüber neuen Klangformen und populären Musikstilen, ohne die Wurzeln der improvisierten Musik zu kappen.
Mit „Woman to Sky“ für mehr Gleichberechtigung
Das dritte Linntett-Album „Illusion“, ein kühner Stilmix aus Jazz, Indie Pop und Neo-Soul, entstand, als Kira Linn neben dem Jazz Billie Eilish, Hiatus Kaiyote und Bon Iver hörte. Das Stück „Woman to Sky“, eine raffinierte Verschachtelung von Sound- und Text-Passagen, wurde in der Kategorie „Komposition/Arrangement des Jahres” für den Deutschen Jazzpreis nominiert. „Während Corona habe ich viel Musik gehört und viele Gedichte gelesen. So entstand der Impuls, eigene Texte zu schreiben und sie als Stilmittel einzubauen. Viele persönliche Gedanken sind eingeflossen, wobei mir ‚Woman to Sky‘ besonders viel bedeutet: Die Komposition soll FLINTA-Personen ermutigen, sich gegenseitig mehr zu unterstützen, weil es immer noch keine ausreichend praktizierte Gleichberechtigung gibt.“
Ein ‚Kölner Projekt‘ war schon immer in meinem Kopf.
Nun geht Kira Linn den nächsten Schritt: Im Loft präsentiert sie die Premiere ihres ersten Large Ensembles „Her Wings“: „Bislang hatte ich noch nie richtig genutzt, dass hier so viele tolle Musiker und Musikerinnen leben. Doch ein ‚Kölner Projekt‘ war schon immer in meinem Kopf, und ich wollte unbedingt für ein größeres Ensemble schreiben.“ Gleich sechs Blasinstrumente bilden den klanglichen Schwerpunkt, neben ihr selbst sind Pascal Klewer (Trompete), Carlotta Armbruster (Posaune), Tobias Herzog (Bassposaune/Tuba), Nino Wenger (Altsaxofon/Flöte) und Anna Tsombanis (Tenorsaxofon/Flöte) am Start. Zugleich setzt Kira Linn ihre Beschäftigung mit Lyrik und Gesang fort, indem sie die Dichterinnen Emily Dickinson, Amy Lowell und Sappho ins Zentrum ihrer neuen Kompositionen rückt. „Deren Gedichte und Texte berühren und bewegen bis heute, nicht zuletzt, weil diese Frauen schon zu ihren Zeiten gefühlt selbstbestimmt waren und wichtige Dinge ansprachen.“
Von Wiesbaden, über Nürnberg und Basel bis nach Köln
In gewisser Weise erzählt Kira Linn immer auch „Traveller’s Tales“, wie der Titel des zweiten Linntett-Albums lautet: musikalisch facettenreich verdichtete Geschichten einer Reisenden durch eine Welt aus Klängen. „Mir liegt es“, sagt sie, „Stücke zu schreiben, die durch einen roten Faden zusammengehalten werden.“ Dafür wurde sie bereits früh selbst zur Reisenden. Geboren in Wiesbaden, studierte sie Jazz-Saxofon an der Hochschule für Musik Nürnberg und kam für ein Erasmus-Jahr an den Jazzcampus in Basel. „Ich habe mich immer in dem Moment entschieden, in dem ich wusste und fühlte, was gut für mich war und ist. Ich merkte, dass mir Basel sehr guttut, und so habe dort zusätzlich Komposition studiert.“
Zu ihren Dozenten gehörten Jorge Rossy, Domenic Landolf und Guillermo Klein, den sie schon lange bewunderte, auch wurde sie Teil der Jazzszene in Basel und reiste mit dem Bundesjazzorchester BuJazzO. „Eigentlich aber wollte ich immer nach Köln. Vom Landesjugendjazzorchester Hessen und vom BuJazzO kannte ich bereits viele, die dort lebten, und so bin ich noch während Corona hierhergezogen. Es war nicht immer einfach, aber zum Glück hatte ich die richtigen Leute um mich, die mich bestärkt und unterstützt haben.“ Neben ihrer außerordentlichen musikalischen Kompetenz dürften auch Geduld und Ausdauer zu ihren Tugenden zählen. Von „deep breaths, small steps“ singt sie in „Women to Sky“, jenem virtuos gestalteten Kunst-Stück, das zugleich ihr selbstbewusster Appell an FLINTA-Personen ist, ihren eigenen Weg zu gehen.
Freie Improvisation kombiniert Linn mit gesprochenen Passagen
All dies und mehr fließt nun ins neue Large Ensemble ein, wobei Kira Linn erneut Musik und Texte ins Verhältnis setzt. „Ein Gedicht kreiert unmittelbar seine eigene Stimmung, und ich wollte diese Stimmung in Harmonien und Melodien umformen. Hinzu kommen gesprochene Passagen, was ich in Kombination mit freien Improvisationen sehr gerne mag.“ Zu den Blasinstrumenten und der mit Felix Hauptmann (Klavier/Synthesizer), Florian Herzog (E-Bass) und Joshua Knauber (Schlagzeug) brillant besetzten Rhythmusgruppe kommt Sängerin und Gitarristin Elsa Johanna Mohr vom Vokaltrio LUAH hinzu. „Sie kommt aus dem Singer-Songwriter-Bereich, einer Textur, die ich unbedingt einbeziehen wollte. Einerseits wird damit die Musik harmonisch einfacher, andererseits stand ich vor der reizvollen Aufgabe, das neue Akkordmaterial mit der Komplexität der Bläserarrangements und jazztypischen Improvisationen in Einklang zu bringen.“
Mit „Her Wings“ geht Kira Linns Reise weiter durch eine faszinierende Klangwelt, die Jazz und improvisierte Musik anders und weiter denkt und den Raum für Kommunikation, Selbstgespräche und Selbstvergewisserung öffnet.
Kira Linns - „Her Wings“. Konzert am 3.10., 20 Uhr, im Loft, Wißmannstr. 30, 50823 Köln. Das Premierenkonzert wird vom Deutschlandfunk mitgeschnitten und zeitversetzt gesendet.