Kinostart von Hitler-Film „Er ist wieder da“Der Führer verzweifelt an seinem Volk

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Franziska Wulf als Fräulein Krömeier und Oliver Masucci als Hitler.

Franziska Wulf als Fräulein Krömeier und Oliver Masucci als Hitler.

Er erscheint plötzlich genau dort, wo er vor 70 Jahren aufgehört hat: An der Berliner Wilhelmstraße unweit des einstigen Führerbunkers. In dem Grünanlagengestrüpp zwischen den Plattenbauten wacht er auf, benommen und etwas müffelnd in seinem verschmutzen Uniformrock. „Was is’n das für’n Opfer?“, fragen sich ein paar Jungs, als Adolf Hitler aus der Grünanlage wankt. Von dieser Art ist der Witz des neuen Films von David Wnendt. „Sehe ich aus wie ein Verbrecher?“, wird er später mal jemanden anherrschen.

Zunächst findet Hitler Unterschlupf in einem Zeitungskiosk am Brandenburger Tor, wo er anhand des ausliegenden Schriftgutes nach und nach begreifen darf, was seit 1945 passiert sein muss. Viel Zeit bleibt ihm nicht, sich darüber zu wundern, dass sein von ihm selbst dem Untergang geweihtes Volk überlebt hat und inzwischen sogar „von einer klobigen Frau mit der Ausstrahlung einer Trauerweide“ regiert wird.

Denn schon bald wird Hitler von einem Privatsender als vielversprechender Gag engagiert. In allen Talk- und Blödelformaten wird der vermeintliche Hitler-Darsteller zum absoluten Quotenbringer. Bei Frank Plasberg, bei Joko und Klaas, bei Thadeusz – überall sitzt Hitler mit am Tisch. Als der Führer im Spaßfernsehen bitteren Ernst macht, spüren die Leute: Das ist kein Double, irgendwie ist er tatsächlich wieder da.

Buchvorlage „das witzigste No Go des Jahres“

Der Regisseur David Wnendt ist seit seiner Neonazi-Studie „Die Kriegerin“ eine große Hoffnung des neueren deutschen Films. Deshalb wurde ihm nach der Verfilmung von Charlotte Roches „Feuchtgebieten“ mit „Er ist wieder da“ zum zweiten Mal die Adaption eines teuren Mega-Bestsellers anvertraut. Der gleichnamige Roman des Journalisten Timur Vermes aus dem Jahr 2012 wurde allein in Deutschland über zwei Millionen Mal verkauft – als „das witzigste No Go des Jahres“.

Die Hälfte seiner Länge bestreitet der Film mit der Komik, die aus Hitlers Staunen über das moderne Deutschland rührt. Der Wiener Burgtheater-Schauspieler Oliver Masucci spielt Hitler als Alien, der sich durch seine Sturheit aus der Masse der alerten Gegenwartsdeutschen abhebt.

Ob die Senderchefin Bellini (Katja Riemann), deren intriganter Stellvertreter Sensenbrink (Christoph Maria Herbst) oder sein Erstentdecker, der gerade entlassene TV-Mitarbeiter Sawatzki (Fabian Busch) – fast alle Figuren knicken schon bei leisem Bellen des Führers ein, weil ihnen, wie Hitler gleich erkennt, das „geistige Fundament“ für eine starke Haltung fehlt. Sie haben nichts als ihre Karriere, Fun und Wohlstand im Sinn.

Es ist schon saukomisch, Hitler dabei zuzusehen, wie er sich abends kopfschüttelnd durch die Kanäle zappt. Kochshows, Promidinner, Quizsendungen, Entrümpelshows – das Propaganda-Genie sieht ein Traummedium vor die Hunde gegangen. Mehr Hoffnung sieht er für das „Internetz“.

Regisseur Wnendt scheut eine konsequente Selbstreflexion

Als Hitler bei einem Show-Auftritt die Regeln bricht, indem er schweigt, bleibt einem erstmals das Lachen im Hals stecken. Er fixiert das Publikum, nacheinander jeden Einzelnen. Und dann sagt er: „Wenn man die Ratten im Haus hat, bestellt man keinen Clown, sondern einen Kammerjäger.“

Das ist die erste Ausstiegsluke, die Wendt aus der Komik des Stoffs gefunden hat: ihre Selbstreflexion. In der bittersten Szene sollen die Gag-Autoren des Senders auf Geheiß des Vizechefs die „rote Linie überschreiten“ und Judenwitze fabrizieren. Die Autoren murren, machen sich schließlich aber doch an die Arbeit und leiern bei der Präsentation lustlos ihre Witzchen runter. Ihre Rückgratlosigkeit erschreckt – die Verkommenheit der Spaßgesellschaft, die Wnendt schildert, deckt sich verblüffend mit der Wahrnehmung Hitlers.

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Weiter gedacht, konzentrierter auf die Medienkritik hin gedreht, hätte der Film wirklich böse werden und den eigenen Witz auf die Zerreißprobe stellen können. Aber Wnendt dreht sich geschickt noch einmal weg und findet eine weitere Ausstiegsluke: Er klettert aus der Satire heraus und begibt sich ins Dokumentarische.

Undurchsichtige Mockumentary-Teile

Hitler reist mit dem TV-Journalisten Sawatzki durch Deutschland; er stellt sich an echte Imbissbuden, redet mit echten Passanten in der Fußgängerzone, hetzt echte Fußballfans gegen einen Punk auf. Die Menschen machen Selfies mit Hitler und lassen raus, was so gärt: Wahlen seien eh manipuliert, die kleinen Leute zahlten die Zeche, die Ausländer würden immer frecher.

Das Problem dieser Mockumentary-Teile besteht darin, dass man nie genau sicher ist, wo es sich um dokumentarische und wo um inszenierte Anteile handelt, die nur dokumentarisch tun, so wie der Besuch Hitlers im Köpenicker NPD-Büro, wo der Führer den Parteivorsitzenden wegen der schlechten Performance zur Sau macht.

Auch das ist witzig, aber nicht überzeugend im Hinblick auf die Botschaft, den Ernst der Lage, für den das Dokument herhalten soll. Man hat das Gefühl, der Regisseur wollte es möglichst vielen recht machen und die, die über Hitler lachen, mit denen versöhnen, die das nicht zum Lachen finden. Ernst und Pathos sollten noch mit ins Boot der Komik. Die Folge: Wieder Untergang.

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