Auftritt im TanzbrunnenStratmann und Mädel zelebrieren die Kunst der Beleidigung

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

„Cordula? Wollen wir uns wieder vertragen?“

Köln – Wann haben Sie sich das letzte Mal aufgeregt? Über den Deppen, der Ihnen in der Straßenbahn den Rucksack ins Gesicht geschlagen hat? Der blöde Trottel, der am Flughafen den Weg zum Paketband versperrt hat? Die Giftspritze, die Ihnen an der Haltestelle frecherweise Zigarettenqualm ins Gesicht gepustet hat? Es sind Beispiele wie diese, mit denen Schauspieler Bjarne Mädel („Tatortreiniger“, „Stromberg“) und Kabarettistin Cordula Stratmann („Zimmer frei“, „Rocca verändert die Welt“) ihrem Publikum im Theater am Tanzbrunnen den Spiegel vorhalten: Muss es denn immer die ganz große Empörung sein? Einen Abend über die Kunst der Beleidigung hatten sie versprochen – und am Ende vor allem appelliert: Versuch’s mal mit Gemütlichkeit.

„Cordula? Wollen wir uns wieder vertragen?“, fragt Mädel. „Jetzt sofort?“, antwortet Stratmann. Beidseitiges Schniefen, langanhaltende Umarmung unter tosendem Applaus. Als „Gesäß“, „Pferdegesicht“, „breitarschig“, „unterbelichtet“, hatten sich die beiden noch drei Minuten vorher beschimpft. Doch die Versöhnung der beiden kommt nicht am Ende der Show, sondern zu Beginn. Geht es hier vielleicht doch viel weniger um die Beleidigung als um die Kunst des Vertragens? Naja, zwischen Beleidigung und Versöhnung stehe ja oft noch das „Beleidigt sein“. „Und auf dem Gefühl rutschen wir ja wie Seife aus“, erklärte Stratmann rund tausend Zuschauern im ausverkauften Saal. „Die Idee dieses Abends ist also eine Desensibilisierung gegen Beleidigung.“ Eine Desensibilisierung, die Dosis für Dosis erfolgen sollte – und sicher nichts für ganz zart besaitete Gemüter ist. Da sezierten Stratmann und Mädel einen beleidigenden Text aus der Literaturgeschichte nach dem anderen. Für das Kölner Publikum sicher die stärkste Dosis Desensibilisierung: Der Rundumschlag des deutschen Dichters Rolf Dieter Brinkmann gegen die Domstadt: „Ein mieses, katholisch verseuchtes, verpestetes Stückchen Erde“ sei Köln, verliest Mädel, „es wäre sehr gut, wenn es das Rheinland nicht geben würde.“ Puh, jetzt nicht aufregen. Das ist die Lehre des Abends. Besser: Sich den Frust einfach von der Seele singen.

„Fette, schlampige, schweißfüßige Kölnerinnen und Kölner“

„Drink doch eine met“, begann Stratmann also als Antwort in Richtung Brinkmann zu singen – und das Publikum stimmte ein: So funktioniert also erfolgreiche Frustbewältigung auf Kölsch. Sich nicht ärgern, beleidigen lassen, sondern locker bleiben. Haben die literarischen Beleidigungsdosen das Publikum nach anderthalb Stunden tatsächlich desensibilisiert?

Es folgt die Abschlussprüfung: „Sie waren wirklich ein furchtbares Publikum. Fette, schlampige, schweißfüßige Kölnerinnen und Kölner“, ruft Mädel in den Zuschauerraum. Keine Buhrufe kommen zurück. Sondern lauter Applaus. Die Botschaft scheint angekommen zu sein: Abperlen lassen. Neoprentaktik. Tief Luft holen. „In die Höhe wachsen“, wie es Stratmann ausdrückt. Auch wenn uns das vielleicht manchmal schwerfallen mag.

KStA abonnieren