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Max Frisch und Ingeborg BachmannDiese Briefe sollten nie erscheinen

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Max Frisch schaut zu Ingeborg Bachmann, er hat eine Pfeife im Mund. Bachmann hält die Arme überkreuzt.

Das einzige Foto, das Max Frisch und Ingeborg Bachmann gemeinsam zeigt

Diese Briefe sollten nie erscheinen. Ingeborg Bachmann (1926-1973) hatte mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass ihre Korrespondenz mit Max Frisch (1911-1991) keinesfalls an die Öffentlichkeit gelangen dürfe. Die Österreicherin forderte den Schweizer, der ihr Liebhaber gewesen war, an Heiligabend 1963 sogar auf, die Schriftstücke zu verbrennen, „damit niemand ein Schauspiel hat eines Tags“.

Und Frisch verfügte immerhin in einem frühen Testament, dass die Korrespondenz unter Verschluss bleibe. Allerdings hob er diese Verfügung später auf und legte eine Sperrfrist von 20 Jahren nach seinem Tod fest. Nun erscheint der spektakuläre Briefwechsel unter dem Titel „Wir haben es nicht gut gemacht“. Und es ist tatsächlich ein „Schauspiel“ – eines aus der Tragödien-Abteilung.

Ingeborg Bachmanns Geschwister stimmten der Edition zu

Dass es in diesem 1000-Seiten-Band gleich zwei Nachworte gibt, eines von der Bachmann-Forschung und eines von der Frisch-Forschung, zeigt die besondere Empfindlichkeit dieses so faszinierenden und erhellenden Editions-Projekts. Der Grund liegt in der Deutung der Beziehung, bei der Max Frisch zumeist schlecht wegkam.

„Stellt diese Publikation nicht einen Tabubruch dar?“, fragen die Bachmann-Experten Hans Höller und Renate Langer. Immerhin seien in den Briefen Geheimnisse enthalten, „über die zu schweigen der Anstand“ gebiete. Eine rhetorische Frage. Denn die Legitimation zur Veröffentlichung haben sich die Herausgeber bei Bachmanns Geschwistern geholt: „Der Bruder und die Schwester haben der Edition zugestimmt.“ Niemandem habe Ingeborg Bachmann mehr vertraut. Das Gute dabei sei: Sie erhalte nun die Möglichkeit, der „Deutungshoheit“ von Max Frisch etwas entgegenzusetzen, und ihm „nach ihrem Tod schriftlich ins Wort fallen.“

Max Frisch schrieb den ersten Brief

Der Autor macht im Mai 1958 den ersten Schritt. Er schreibt der 15 Jahre jüngeren, ihm persönlich nicht bekannten Kollegin, wie sehr er ihr Hörspiel „Der Gute Gott von Manhattan“ bewundere. Daraufhin ergreift Ingeborg Bachmann die Initiative. In ihrem Antwortbrief kündigt sie an, dass sie demnächst in Zürich sei, also in seiner Nähe: „Ich könnte zwei, drei oder vier Tage bleiben, und ich hoffe so sehr und ohne rechte Überlegung, dass auch Sie es wünschen könnten.“

Schon einen Monat später formuliert Frisch, der damals mit Madeleine Seigner zusammenlebte: „Ich liebe eine Frau, die mich liebt, und Du trittst in mein Leben, Ingeborg, wie ein langgefürchteter Engel, der da fragt Ja oder Nein. Und ich bin glücklich und ratlos und zu feig, um über die Stunde hinaus zu denken.“ Bald schon finden sie zusammen. Ingeborg Bachmann schreibt: „Ich kann nur an Dich denken, sonst fast nichts.“ Und er antwortet: „Ich möchte mit Dir ans Ende gehen, und wenn Du mich verlassen musst, nie wieder lieben.“

Die offene Liebesbeziehung war von Eifersucht geprägt

Die Briefe bieten intime Auskünfte zu Leben und Werk eines „berühmten Paares“ (von dem es nur ein Foto gibt, das in dem Band erstmals veröffentlicht wird). Da kommen alternative Liebesbeziehungen ebenso zur Sprache wie chirurgische Eingriffe. Mancher Spekulation wird die Grundlage entzogen. So hatte Ingeborg Bachmann während ihrer Zeit mit Frisch keinen Schwangerschaftsabbruch. Und sie neigte schon früh zu erhöhtem Medikamentenkonsum und wurde nicht erst durch die Trennung zur Einnahme von Beruhigungsmitteln verleitet.

Das Ganze ist eine Liebestragödie in Briefen. Zwar leben Bachmann und Frisch in einer „offenen Beziehung“. Doch die 1960 in einem „Venedig-Vertrag“ verabredete Toleranz bietet keinen Schutz vor Eifersucht und Entfremdung. Bachmanns Liaison mit Hans Magnus Enzensberger nimmt Frisch hin. Doch die Zuneigung zum Germanisten Paolo Chiarini geht ihm dann doch zu weit. Bachmann ihrerseits hat zunächst keine Einwände gegen Frischs Beziehung mit Marianne Oellers. Doch dann merkt sie, wie ernst ihm die Sache ist.

Wo zwei Autoren sich lieben, entsteht hochkarätige Literatur

Literarisch betrachtet ist die Korrespondenz ein Feinkostangebot. Immerhin greifen hier zwei Spitzenkräfte der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur zur Feder. Da wird nach allen Regeln der Kunst formuliert – behutsam, präzise, elegant, anschaulich, schön. Und es geht nicht nur um Liebe und Literatur. Über vieles tauscht man sich aus. Als Bachmann mit ihrem neuen VW-Käfer nach Rom fährt, schreibt sie, dass sie „mit dem Wägeli“ bereits nach den ersten 300 Kilometern befreundet gewesen sei.

Während die Bachmann-Frisch-Beziehung nur knapp fünf Jahre währte, erstreckt sich ihre Korrespondenz über 15 Jahre. Nicht wenige Frisch-Briefe sind nur als Abschriften oder Durchschläge überliefert, die er vor dem Gang zum Briefkasten angefertigt hatte. Die Bachmann-Forschung schließt daraus, „dass er immer schon an eine literarische Verwertung dieses Briefwechsels dachte und dafür Material sammelte.“ Frischs Vorgehen wird scharf verurteilt: „Es ist die Sünde wider den freien Geist der Literatur, ein Verrat an dem ihm am nächsten stehenden Menschen.“

Das gegenseitige Verhängnis des Autorenpaars

Allerdings ist den Briefen zu entnehmen, wie gut Ingeborg Bachmann über die Entstehung des Romans „Mein Name sei Gantenbein“ (1964) informiert war, in dem sie sich in der Figur der Lila gespiegelt sah. Dass hier ein „Missbrauch der Geliebten als Studienobjekt“ vorliege, wie die gelegentliche Unterstellung lautet, scheint von den Briefen entkräftet zu werden. So gab Ingeborg Bachmann mehrfach Rat und Anregung zum Manuskript.

Woran genau das Glück zerbrochen ist? Die Briefe geben einige Hinweise, aber doch keine Gewissheit. Die Bachmann-Experten meinen, dass das Drama der Beziehung „in den unvereinbaren Vorstellungen von Liebe und Zusammenwohnen“ gelegen habe. Thomas Strässle und Barbara Wiedemann, die Vertreter der Frisch-Forschung, weisen darauf hin, dass Bachmann und Frisch mit vielem gleichzeitig zu kämpfen hatten: „mit ihrer Leidenschaft, mit sich selbst, mit ihrer Zeit, mit ihrer Sucht.“ Und es wird die Hoffnung ausgesprochen, dass die Dokumente es möglich machen, „durch die Feindbilder hindurchzusehen und diese Beziehung zu erkennen als das, was sie war: ein gegenseitiges Verhängnis.“

Ingeborg Bachmann, Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht – Der Briefwechsel“, hrsg. von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle und Barbara Wiedemann, 1078 Seiten, Suhrkamp.

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