GottesdienstWarum es in Ordnung ist, an Weihnachten nicht in die Kirche zu gehen

Lesezeit 3 Minuten
St Martin imago Kirche Westend61

Groß St. Martin im goldenen Licht.

  • Jonah Lemm, Volontär des „Kölner Stadt-Anzeiger“, hat sich Gedanken zum Weihnachtsgottesdienst gemacht.
  • Der 21-Jährige ist der Ansicht, dass der Kirchgang aus Pflichtgefühl unnötig ist.

Köln – Gott und ich haben nicht das beste Verhältnis. Ich glaube nicht an ihn, und deswegen hält er sich vielleicht aus meinem Leben weitestgehend heraus. Damit habe ich 2017, in einer säkularisierten Gesellschaft, auch kein Problem. An 364 Tagen im Jahr.

Nur wenn ich am 1. Weihnachtsfeiertag auf der Familienfeier meine Tante zur Begrüßung umarme, wird sie mich Sekunden später mit einem erwartungsvollem Blick anschauen, um wieder - wie jedes Jahr - die gleiche Frage zu stellen, die sie so ritualisiert hat wie das Braten der Weihnachtsgans und das Schmücken des Baums: „Und, warst du dieses Jahr in der Kirche?“ Ich werde wie sonst verneinen. Auch ihre Reaktion wird die gleiche wie immer sein: Sie wir traurig sein, als hätte ich mit nur einem Wort all ihre Überzeugungen in Frage gestellt. Dabei ist dem gar nicht so. Ich will nur nicht aus Gefälligkeit ein Teil davon sein.

Neuer Inhalt

Die vier Kerzen brennen, es ist Heilig Abend. Für viele Familien gehört da der Gang in die Kirche einfach dazu. 

An Weihnachten, so scheint es mir, bekommt das Wort „Gottesdienst“ für einen Tag lang, dem Heiligabend, nicht nur in Teilen meiner Familie eine ganz neue Bedeutung: Der „Dienst“ als Pflicht. Pünktlich da sein, funktionieren, wieder gehen. Der Lohn ist das Gefühl, sich keine Vorwürfe machen zu müssen. Es ist ja Tradition. Immerhin einmal im Jahr findet man sich im Gotteshaus ein, man ist ja gläubig, schließlich steht das in der Steuerkarte. Doch das kann doch nicht der Sinn eines Kirchgangs sein, auch nicht am christlichsten aller Feste.

Es gibt kein „Gute-Christen-Schein“

Ich will niemandem sagen, er solle an Weihnachten nicht in die Kirche gehen - auch wenn er es vielleicht sonst nicht tut. Scheinheilig ist niemand, der nur einmal im Jahr den Gottesdienst besucht. Schließlich gibt es neben dem Glauben selbst eine Reihe guter Gründe dafür: das Gemeinschaftsgefühl, das Beisammensein, den Trost, den eine Predigt spenden kann, das Orgelspiel.

Die Liste kann weitergeführt werden. Wer sich dafür begeistern kann, wer sich dabei geborgen oder einfach nur gut fühlt, sollte in die Kirche gehen. Es braucht ohnehin keine Legitimierung, es gibt keinen „Gute-Christen-Schein“ mit dem man an Weihnachten beweist, dass man es sich dieses Jahr verdient hat und nicht nur ein Eintagsglaubender ist. Jeder, der möchte, darf kommen.

Im Umkehrschluss darf aber auch jeder, der nicht möchte, fernbleiben. Und das, ohne von irgendwem getadelt zu werden. 

Dann lieber am Esstisch sitzen bleiben

„Wenigstens an Weihnachten könntest du dich doch mal aufraffen“, sagte ein Freund kürzlich zu mir. Warum? Das würde weder mir, noch der Kirche etwas nützen. Ich finde es gar unfair, wenn ich als Nichtgläubiger, als Ausgetretener, mich auf eine der Holzbänke zwängte, vorne spricht ein Mann oder eine Frau aus vollster Überzeugung über den Glauben - aber ich habe das Gefühl, das geht mich alles nur bedingt etwas an. Sicher, es geht auch um Nächstenliebe, um Gedanken für Bedürftige und Menschen, die mir nahe stehen. Es geht aber auch um Gott - und der ist mir nun mal ganz und gar fremd.

So finde ich es besser, mit meinen Eltern am Esstisch sitzen zu bleiben, mit ihnen Zeit zu verbringen, mal wieder ein ausgelassenes, langes Gespräch zu führen. Das kommt im restlichen Jahr manchmal zu kurz und macht mich glücklicher als ein einmaliger Kirchenbesuch. 

Das könnte Sie auch interessieren:

Es drängt sich natürlich die Frage auf, wieso ich überhaupt Weihnachten feiere. Ist ja immerhin auch christlich. Die Antwort: Ich mag es, Menschen, die ich mag, eine Freude zu bereiten. Ich mag es, mit ihnen Zeit zu verbringen. Der Anlass ist für mich nebensächlich. Dennoch finde ich es schön, wenn das ritualisiert passiert, jedes Jahr aufs Neue. Ich kann mir gut vorstellen, dass Menschen aus den selben Gründen auch den Gottesdienst besuchen - eben jeder, wie er mag.

KStA abonnieren