Debatte um Wolfs-Jagd„Wölfe, die Haustiere reißen, sollten bejagt werden dürfen“

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Ein guter Schritt in Richtung mehr Artenvielfalt oder Gefahr für Schafe und Ponys?

  • Die Rückkehr des Wolfes in das dicht besiedelte Bundesland NRW galt lange als Sensation. Seit einzelne Tiere Schafe reißen, kippt die Stimmung – ein Pro und Contra.
  • Thorsten Breitkopf meint: „Wölfe, die massenhaft Haustiere reißen, sollten bejagt werden dürfen.“
  • Maria Dohmen argumentiert: „Mitnichten hat sich der Wolfsbestand aus seinem Schutzstatus heraus entwickelt.“

Pro: „Wölfe, die massenhaft Haustiere reißen, sollten bejagt werden dürfen.“ Der Wolf ist auf dem Weg zurück in seine alte Heimat. Einst vom Menschen als Rivale ausgerottet, erobert er sich sein Land zurück. Erste Wölfe gab es zunächst nur auf Truppenübungsplätzen oder in der Lüneburger Heide – in menschenleeren Landschaften. Heute hat es der Wolf ins Umland großer Siedlungen geschafft. Der Wolf hat klar seinen Platz auch in unserer Kulturlandschaft zurückerobert.

Inzwischen ist der Wolf auch in NRW wieder heimisch. Nicht nur vor den Toren Kölns. Sogar im super-urbanen Ehrenfeld wurde einer gesehen. Dieser machte dort keinerlei Probleme – so wie 99 Prozent der in Deutschland lebenden Wölfe auch.

Rehe, Hirsche und Wildschweine: Davon ernährt sich der Wolf zu gut 96 Prozent. Das sind die Ergebnisse einer Analyse von mehr als 2000 Kotproben, die der Nabu veröffentlicht hat. Nutztiere wie Schafe machen dagegen weniger als ein Prozent aus. Das ist gut für den Wolf und gut für die Schafe. Allerdings gibt es auch Ausnahmen.

Wölfe in Schermbeck greifen auch Ponys an

Im Wolfsgebiet Schermbeck am Niederrhein lebt die Wölfin „Gloria“ mit ihrem Rudel. Und diese Familie ernährt sich eben nicht von den aufwendig zu jagenden schnellen Rehen, sondern von Haustieren, die keine Möglichkeit zur Flucht haben, weil sie hinter Zäunen grasen. 29 Schafe haben die Schermbecker Wölfe bereits gerissen. Seit rund einem Jahr greifen die Wölfe auch Ponys an. Allein im Oktober 2021 wurden im Raum Hünxe drei Ponys und ein Pferd durch Wölfe getötet.  Das zeugt nicht von normalem Wolfsverhalten. Diese Tiere haben die Scheu vorm Menschen verloren. Und das ist eine Gefahr.

Solchen Angriffen auf Haustiere muss Einhalt geboten werden. Dort stehen zwei ökologische Ideen gegeneinander. Zum einen der Wunsch, dem Wolf wieder einen Lebensraum zu geben. Zum anderen ökologische Landwirtschaft. Denn die Tiere, die solchen Wölfen zum Opfer fallen, sind oft jene aus extensiver Landwirtschaft. Also Kühe und Schafe, die nicht jede Nacht im  Stall dicht an dicht stehen, sondern eben naturnah im Freien. Eine solche Bio-Haltung ist im Wolfsgebiet  schlicht nicht möglich ohne Schäden und grausame Tierrisse.

Hütehunde essen mehr Tiere aus dem Napf, als sie beschützen

Der Glaube, die Tiere mit einem sicheren Zaun oder Herdenschutzhunden vor den Wölfen zu  bewahren, ist naiv. Die Zäune sind extrem teuer und  halten Wölfe kaum ab.  Und Herdenschutzhunde fressen im Jahr fast mehr Fleisch aus dem Napf als sie lebende Tiere bewachen. Ein landwirtschaftlich fragwürdiges Konzept.

Einzige Möglichkeit ist, Wölfe mit problematischem Verhalten durch Jagd zu entnehmen. Dazu muss der Wolf ins Jagdrecht, wie das in vielen nordischen Ländern selbstverständlich ist. Das heißt nicht, den Wolf ausrotten zu wollen. Unter staatlicher Aufsicht werden jene Wölfe erlegt, die eine Gefahr darstellen. Auch Dachse und Füchse, Rehe und Wildschweine werden bejagt  – teils intensiv. Keines dieser Tiere ist deshalb vom Aussterben bedroht.

Klare Jagdregeln müssen her

Den Wolf, auch wenn der seine Scheu vor dem Menschen verloren hat und Haustiere tötet, immer zu schonen, ist ein sehr urbaner Gedanke. Im ländlichen Raum ist die Stimmung eine andere, wenn man Bauern kennt, deren Lämmer und Kälber  brutal getötet wurden. Wir brauchen eine klare gesetzliche Regel für die Bejagung problematischer Wölfe.

Thorsten Breitkopf  (44) ist Chef des Wirtschaftsressorts und geboren im ländlichen Oberbergischen Kreis, wo der Wolf wieder Fuß fasst. Er plädiert dafür, das Tier ins Jagdrecht aufzunehmen, um Wölfe, die viele Haustiere töten, entnehmen zu können.

Contra: „Mitnichten hat sich der Wolfsbestand aus seinem Schutzstatus heraus entwickelt.“

Der Schutz des Wolfes ist Gesetz.  Artenschutzprogramme sind keine Ideologie, sondern substanzielle, international anerkannte Konzepte. Dass sich Wölfe in NRW wieder angesiedelt haben, wo die Konkurrenz im Naturraum derart vielfältig und aggressiv ist, bleibt eine Sensation.

Wo Schutzräume etabliert werden, muss anderes zurückstehen

Dass mit ihm auch Probleme Einzug halten, versteht sich von selbst. Wo Schutzräume etabliert werden, muss anderes zurückstehen, sonst bräuchte man sie nicht. Überdies ist es eine Grundverfasstheit unserer Lebenswelt, dass  marktwirtschaftliche Interessen diesen entgegenstehen  – Gewinnmaximierung vs. Umweltschutz. Aber auch innerhalb ökologischer Schutzdiskurse entsteht Widerspruch, etwa zwischen Tier- und Waldschützern. Der eine will den heilen Baum, der andere die reiche Rehwildwelt.

Nun geben Rissvorkommen im Schermbecker Wolfsgebiet die Kulisse für den politischen Plan einer Wolfsverordnung, die auch den Abschuss ermöglicht. Der Gedankenweg von drei toten Ponys zur „letalen Entnahme“ scheint da erstmal pragmatisch kurz. Zumal sich durch die hohe mediale Aufmerksamkeit eine Lupenperspektive bildet, die beschallt von einer emotionalisierenden Erzählung über wild gewordene Wölfe die Verhältnismäßigkeiten verzerrt – und die überaus seltenen Tiere im Land wieder genau in die feindliche Rolle hineinklischiert, der sie ihre Ausrottung vor 170 Jahren verdankt.

In NRW sind derzeit sieben erwachsene Wölfe nachgewiesen

Dabei ist es mitnichten so, dass der Wolfsbestand sich aus seinem  Schutzstatus heraus entwickelt hätte. Derzeit sind in NRW  nach Angaben des Umweltministeriums sieben erwachsene Wölfe mit Welpen auf drei Rudel verteilt sowie ein Einzeltier nachgewiesen. Sieben. Damit ist die Zahl der erwachsenen, ortstreuen Wölfe im Vergleich zum Vorjahr nicht gestiegen.  

Dass die Wölfe in NRW keine Gefahr für Menschen darstellen, steht außer Frage. Der Abschuss eines „problematischen“ Tieres, sprich, das Nutztiere reißt, ist leicht zu fordern, birgt aber ebenfalls Probleme. In Niedersachsen hat sich jüngst die  Genehmigungspraxis des Landes als verfassungswidrig erwiesen. In mindestens fünf Fällen kam es zu  Fehlabschüssen.  Und auch wenn eine Jagdpraxis in Norwegen etabliert ist, bleiben die Konflikte. Eine liberale Abschuss-Politik drückt dort immer stärker gegen den Artenschutz; kurz vor Weihnachten wurden 25 Wölfe in einer Schutzzone zum Abschuss frei gegeben – das hätte die Tötung eines Viertels des nationalen Bestandes bedeutet. Ein Gericht stoppte den Vorgang.

Nutztierhalter in Wolfsgebieten werden vom Land mit Rat und Geld unterstützt. 2021 kam es in NRW zu etwas mehr als 40 Rissen von teils ungeschützten Tieren. Da kann weder von einer Ausreizung aller Herdenschutzmöglichkeiten, noch von einer kompensatorischen Überforderung die Rede sein. Und was ist mit größeren, beruhigten Schutzzonen, mit digitalen Warnsystemen, wie sie in anderen Ländern angewendet werden? Der Wolf ist es wert, kreativ zu werden.

Eine Erkenntnis von Umweltschützern aus Niedersachsen sollte man  über allem im Herzen bewegen: Der Abschuss führt nachweislich nur dann zur Ruhe, wenn der Wolf wieder ausgerottet wird.

Maria Dohmen ist Ressortleiterin NRW/Story und spricht sich für erweiterte Schutzmaßnahmen aus. Sie hat mindestens eine militante Tierschutztochter, die in den Kinderstreik tritt, wenn ihr auch nur ein abgeschossener Wolf zu Ohren kommt.

KStA abonnieren