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Gastbeitrag von Christoph ButterweggeSoli verdoppeln, nicht abschaffen!

Lesezeit 4 Minuten
Ein Taschenrechner liegt auf Geldscheinen.

Der Soli wird aktuell heiß diskutiert. Viele Menschen würden ihn gerne abschaffen.

Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge erklärt, warum der Solidaritätszuschlag grundgesetzkonform umgewidmet werden kann.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Klage eines Aschaffenburger Ehepaars gegen den Solidaritätszuschlag – im Volksmund liebevoll „Soli“ genannt“ – abgewiesen, ihn erneut für rechtmäßig erklärt und den Fall auch nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. In der Begründung ihres Urteils konstatieren die Richter, dass der Zweck dieser Ergänzungsabgabe – Deckung der Kosten des Vereinigungsprozesses – zwar gegenwärtig noch fortbestehe, aber nach Bewältigung der „Generationenaufgabe“ Deutsche Einheit wegfallen müsse.

In diesem Zusammenhang war von 30 Jahren die Rede, was hieße, dass der 1995 (wieder)eingeführte Zuschlag Mitte der 2020er Jahre ausliefe. Zudem dürften die Kläger noch Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einlegen, wo die Richter den Soli schon vorher für nicht (mehr) grundgesetzkonform erklären könnten.

Schon die griechischen Philosophen der Antike wussten, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss, wenn es gerecht zugehen soll
Professor Christoph Butterwegge

Die vom „Bund der Steuerzahler“ unterstützte Klage unterstellt, dass der Soli nach dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 und seiner Umgestaltung 2021 nicht mehr erhoben werden darf, weil sein Zweck – die finanzielle Unterstützung des „Aufbaus Ost“ – erfüllt und seine Konzentration auf Besserverdienende nicht mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar seien.

In seinem Urteil hat der BFH allerdings erklärt, dass der erhöhte Finanzbedarf des Bundes zur Deckung der vereinigungsbedingten Kosten fortbestehe, weil die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen in Ost und West zumindest noch nicht vollendet sei.

Schon die griechischen Philosophen der Antike wussten, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss, wenn es gerecht zugehen soll. Der in Artikel 3 unserer Verfassung niedergelegte Gleichheitsgrundsatz schließt daher keineswegs aus, Finanzstarke und Finanzschwache unterschiedlich zu behandeln. Sonst müsste die Steuerprogression ebenfalls für grundgesetzwidrig erklärt werden – was den Steuerzahlerbund als Lobby von Konzernen und Spitzenverdienern sicherlich in Hochstimmung versetzen würde.

Der Soli ist das steuerpolitische Instrument mit dem größten Umverteilungseffekt
Professor Christoph Butterwegge

Die bei ihm genauso unbeliebte Vermögensteuer, die bis heute in Artikel 106 des Grundgesetzes steht, aber seit über einem Vierteljahrhundert nicht mehr erhoben wird, beweist übrigens, dass der Verfassungsgesetzgeber die Reichen stärker zur Finanzierung der Staatsausgaben heranziehen wollte. Nichts anderes geschieht mittels des Solidaritätszuschlags, insbesondere seitdem ihn bloß noch zehn Prozent der Einkommensteuerpflichtigen zahlen müssen. Nur 3,5 Prozent werden mit der vollen Höhe des Zuschlags von 5,5 Prozent auf ihre Steuerschuld herangezogen.

Der Soli ist das steuerpolitische Instrument mit dem größten Umverteilungseffekt, seit die letzte Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Vermögensteuer 1997 eingefroren und die erste Regierung unter Angela Merkel (CDU) die Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge 2009 eingeführt hatte. Durch diese beiden Entscheidungen sind dem Staat einerseits Hunderte von Milliarden Euro an Einnahmen entgangen und andererseits präzise Informationen über den Reichtum seiner Bürgerinnen und Bürger entzogen worden.

Der besondere Charme des Solidaritätszuschlages besteht darin, dass er nicht bloß auf die Lohn- und Einkommensteuer (von Spitzenverdienern) erhoben wird, sondern auch auf die Kapitalertrag- und die Körperschaftsteuer (von Anlegern bzw. Unternehmen). Wer seine Abschaffung fordert, obwohl ihn bloß noch Spitzenverdiener und Kapitalgesellschaften wie GmbHs und AGs entrichten müssen, während 90 Prozent aller Steuerzahlenden davon befreit sind, nimmt eine weitere Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich billigend in Kauf.

Die Folgen wären für den Bundeshaushalt desaströs und verteilungspolitisch skandalös. Auf der einen Seite entstünden mit dem Wegfall des „Soli“ Rückzahlungsverpflichtungen im hohen zweistelligen Milliardenbereich, die den Staat zusätzlich belasten würden. Auf der anderen Seite würde sich die ohnehin stetig wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit noch verschärfen. Deshalb sollte man den Solidaritätszuschlag umwidmen, verdoppeln und für die Bewältigung der Probleme verwenden, die durch Covid-19-Pandemie, Energie(preis)krise und Inflation entstanden sind.

Spitzenverdiener müssten auch bei einer Verdoppelung des Soli nicht darben.
Professor Christoph Butterwegge

Die finanzstärksten Bürgerinnen und Bürger sollten in einer Krisensituation wie der gegenwärtigen mehr Verantwortung für die Staatsfinanzen übernehmen. Für Singles mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 100 000 Euro wird 2023 Einkommensteuer in Höhe von rund 32.000 Euro fällig – und ein Solidaritätszuschlag von exakt 1723,59 Euro.

Würde dieser Betrag für die Bewältigung der genannten Krisen verwendet und verdoppelt, also in der Spitze auf elf Prozent der Einkommensteuerschuld erhöht, beliefe sich die Mehrbelastung für die Einzelnen gerade mal auf 143,63 Euro im Monat – wohlgemerkt: bei einem Bruttoeinkommen von rund 10 000 Euro. Spitzenverdiener müssten demnach auch dann nicht darben.