„Bestaussehende Fahndungsfoto“Donald Trump gestaltet seine Festnahme als gigantische Ego-Show

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Donald Trump, ehemaliger Präsident der USA, kommt am Trump Tower in New York an. Trump ist vor seinem Termin zur Anklageverlesung in New York angekommen.

Donald Trump, ehemaliger Präsident der USA, kommt am Trump Tower in New York an. Trump ist vor seinem Termin zur Anklageverlesung in New York angekommen.

Zur deutschen Prime-Time wird Donald Trump vor Gericht erwartet. Der Republikaner macht bereits seine Anreise zum Spektakel.

Irgendetwas läuft hier mächtig falsch. „Der kommt bestimmt von dahinten“, vermutet eine deutsche Touristin. „Nein, ich glaube, der ist schon da“, meint ihre Freundin. Die beiden drängen sich wie Hunderte andere Schaulustige im Pulk hinter einer Absperrung auf der 56th Street in Manhattan. Nebenan lockt der Klamottenladen von Abercrombie & Fitch. Aber die Wartenden starren über die Fifth Avenue auf einen gold-gläsernen Wolkenkratzer.

Ein paar Schritte weiter hinter einem weiteren Gitter lauern die professionellen Fotografen. Sie haben Leitern und riesige Teleobjekte mitgebracht. „Schafft den verdammten Bus von der Straße“, brüllt einer plötzlich aufgebracht, als sich ein Fahrzeug in sein Bild schiebt. Da haben es die Kollegen vom Fernsehen besser: Sie kreisen in vier Helikoptern über der von Dutzenden Polizisten gesicherten Kreuzung im Herzen von Manhattan.

Donald Trump: Festnahme als Triumphzug

Kein Popstar wird erwartet und auch kein Kinoheld. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Nüchtern betrachtet stellt sich ein skrupelloser Lügner und Betrüger den Behörden, die ihn endlich anklagen. Doch der gelernte Reality-TV-Star Donald Trump versteht es, selbst seine Festnahme als gewaltige Ego-Show und – mehr noch – als regelrechten Triumphzug zu gestalten.

Am Montagmittag ist er mit einer eindrucksvollen Kolonne von zehn schwarzen SUV-Fahrzeugen von seinem Protz-Anwesen Mar-a-Lago vorbei an fernsehgerecht postierten jubelnden Anhänger zum Flughafen von Palm Beach gefahren und dort in seine rot-weiß-blaue private Boeing 757 gestiegen, die in plumper Anspielung auf die Präsidentenmaschine „Trump Force One“ heißt. Natürlich hat er das vorher auf seiner Propagandaplattform Truth Social angekündigt. Dort erklärte er auch, dass er - „glaubt es oder nicht“ - gedenke, sich dem New Yorker Staatsanwalt Alvin Bragg freiwillig zu stellen, den er zuvor als „Tier“, „Psychopathen“ und Teil einer jüdischen Intrige übelst diffamiert hatte. Den Abflug übertrugen alle amerikanischen Nachrichtensender live. Bei einigen war anschließend gar ein Flight-Tracker eingeblendet, auf dem man die Position der Maschine verfolgen konnte.

Der Narzisst genießt die Aufmerksamkeit

Nun also ist er am New Yorker Flughafen La Guardia gelandet - wie rund 40.000 andere Passagiere an jedem Tag, für die sich kein Mensch interessiert. Trump besitzt ein Penthouse im 66. Stock seiner nach ihm benannten Wolkenkratzers an der Fifth Avenue, in dem er jahrelang gelebt hat. Insofern ist seine Präsenz in Manhattan eigentlich keine Sensation. Und über den Anlass der Reise – mutmaßliche Betrügereien und Gesetzesverstöße im Zusammenhang mit einer Schweigegeldzahlung an einen Porno-Star nach einer außerehelichen Affäre – würde jeder normale Politiker peinlichstes Stillschweigen wahren.

Trump aber ist jeder Anlass recht, seine Person ins Zentrum des öffentlichen Interesses zu drängen. Er hat seine Anklage von Anfang an zu einem von Linksradikalen inszenierten „Anschlag auf unsere Nation“ umgebogen. Nachdem er dann vor „möglichem Tod und Zerstörung“ warnte, die seine Verhaftung auslösen könnte, ist die Kriminalgeschichte endgültig zum Nachrichten-Thema Nummer eins geworden. Der pathologische Narzisst genießt die Aufmerksamkeit. Sein Sohn Eric postete ein Foto aus der „Trump Force One“: An Bord des Flugzeugs liefen die Fernsehbilder, die die Maschine beim Abflug zeigten.

Mehr Reporter als Trump-Anhänger

Mehr Selbstbespiegelung ist kaum möglich. Doch auch politisch und finanziell zahlt sich die zynische Show, die den Rechtsstaat zum Deppen zu machen versucht, bestens aus. Fast alle innerparteilichen Rivalen um die Präsidentschaftskandidatur haben sich notgedrungen mit Trump solidarisiert. Und seine Kampagne hat seit Bekanntwerden der Anklage angeblich sieben Millionen Dollar Spenden eingenommen.

„Ich hab‘ ihn!“, ruft kurz nach 16 Uhr aufgeregt die deutsche Touristin. Sie meint Trump auf dem Foto. Unter lautem Sirenengeheul ist seine Kolonne überraschend von der Madison Avenue zu einem Seiteneingang des Trump Towers gefahren. Der Ex-Präsident mit seiner typischen roten Krawatte zum blauen Anzug ist ausgestiegen, hat kurz gewinkt und ist im Gebäude verschwunden.

Proteste vor Gerichtsgebäude angemeldet

Lauten Jubel hört man allerdings nicht, denn an der Kreuzung stehen fast ausschließlich Reporter, Kameraleute und Fotografen. Ein Stück weiter südlich, vor einem Swatch-Laden, haben Trump-Fans ein paar Plakate und Banner ausgerollt. „Beendet die Mauer!“ und „Trump, rette Amerika!“ steht darauf. Die Gruppe zählt maximal drei Dutzend Mitglieder, und kurioserweise sind viele von ihnen chinesisch-stämmige Amerikaner. Manhattan ist Demokraten-Land. Ein einsamer Trump-Anhänger mit einer „Fuck Biden“-Fahne avanciert angesichts der erdrückenden Überzahl der Medienleute im Vergleich zu den Demonstranten rasch zum gefragten Interviewpartner.

Ein Mann hält in New York ein Plakat, das die Verhaftung des Ex-Präsidenten fordert.

Ein Mann hält in New York ein Plakat, das die Verhaftung des Ex-Präsidenten fordert.

Am Dienstag wird sich das Geschehen knapp sechs Kilometer nach Süden zum Gericht verlagern, und dort könnte die Sache anders aussehen. Zwei Gruppen haben für den engen Collect Pond Park gegenüber des Justizgebäudes, der am Montag noch komplett in der Hand der Fernsehsender ist, Proteste angemeldet: Im einen Teil der Grünanlage wird gegen Trump demonstriert, im anderen marschieren die Young Republicans von New York mit der rechtsradikalen Kongressabgeordneten Marjorie Taylor Greene auf. Die Besitzerin eines Fitnessstudios in Georgia hat sich in jüngster Zeit zur politischen Leibgardistin von Trump aufgeschwungen und bedient die Basis mit aufwiegelnder Rhetorik.

„New York City ist unser Zuhause, kein Spielplatz für Ihren unangebrachten Ärger“

Die Polizei in New York hat sämtliche 35.000 örtlichen Beamten zur Präsenz in Uniform auf den Straßen verpflichtet und die Sicherheitsvorkehrungen verschärft. „Reißen Sie sich zusammen!“, mahnte Bürgermeister Eric Adams am Montag und meinte damit offensichtlich Greene und ihre Getreuen: „New York City ist unser Zuhause, kein Spielplatz für Ihren unangebrachten Ärger.“

Ob dieser Appell fruchtet, istr offen. Nach einer Nacht in seinem Apartment wird Trump am Vormittag beim Bezirks-Staatsanwalt erwartet. Dort muss er seine Fingerabdrücke abgeben und ein Fahndungsfoto machen lassen. Auch das will er offenbar für die eigene Wahlkampfwerbung nutzen. Amerikanische Medien berichten, dass nicht nur der Ablauf der Reise, sondern auch die Körpersprache und selbst der Gesichtsausdruck genau choreografiert würden. „Es wird das männlichste, bestaussehende Fahndungsfoto aller Zeiten sein“, hat ein Berater des Ex-Präsidenten großspurig angekündigt.

Anklageverlesung zur deutschen Primetime

Anschließend soll Trump um 14.15 Uhr Ortszeit (20.15 Uhr MESZ) vom Richter die Anklage vorgelesen werden. Er dürfte auf „nicht schuldig“ plädieren und darf dann wahrscheinlich bis zum Beginn des Verfahrens in mehreren Monaten wieder nachhause. Von dieser Möglichkeit will der 76-Jährige offenbar schnell Gebrauch machen. Schon für 20 Uhr am Dienstagabend hat er in Mar-a-Lago zu einer Rede eingeladen.

Erwartet werden nach Angaben der Trump-Kampagne rund 500 illustre Gäste – darunter Kongressabgeordnete und Großspender. Die Fernsehstationen werden das Spektakel zur besten Sendezeit live übertragen. So sorgt der Politmafiosi Trump dafür, dass selbst am historischen Tag der erstmaligen Anklage eines ehemaligen US-Präsidenten nicht etwa der amerikanische Rechtsstaat, sondern der mutmaßliche Täter das letzte Wort behält.

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