LaRouche-SekteVom Kader-Seminar in den Tod

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Jeremiah Duggan nahm sich 2003 in Wiesbaden angeblich das Leben.

Jeremiah Duggan nahm sich 2003 in Wiesbaden angeblich das Leben.

Berlin – Bei der Europawahl am Sonntag steht auch die Bürgerrechtsbewegung Solidarität, abgekürzt BüSo, zur Wahl. Es ist eine Tarnorganisation der LaRouche-Bewegung, einer Politsekte von Verschwörungstheoretikern und Antisemiten. Auf Listenplatz 16 kandidiert die Französin Elodie Viennot. Sie ist eine wichtige Zeugin in den seit elf Jahren laufenden Ermittlungen um den Tod des jungen Briten Jeremiah Duggan in Wiesbaden, die inzwischen alle Anzeichen eines Justizskandals tragen.

Dazu zählt, dass diese Zeugin bis heute nicht vernommen wurde, unter anderem, weil die deutsche Polizei angeblich ihre aktuelle Adresse nicht herausfinden konnte. Ein Anruf beim Bundeswahlleiter könnte helfen. Es ist nur ein Detail in einer ganzen Liste unglaublicher Vorgänge einer Ermittlungstätigkeit der Staatsanwaltschaft Wiesbaden, die nach dem Urteil der beteiligten Anwälte „an Schlampigkeit ihresgleichen sucht und insbesondere für ein Todesermittlungsverfahren beschämend ist“. Das sind fast milde Worte angesichts einer Geschichte, die einen auch an gezielte Vertuschung und Verschwörung glauben lassen könnte.

Von einem Auto erfasst

Im Dezember 2012 haben die Anwälte der Mutter von Jeremiah, Erica Duggan, einen bedeutenden juristischen Erfolg erzielt. Sie erreichten vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main einen äußerst seltenen Ermittlungserzwingungsbeschluss gegen die Staatsanwaltschaft. Sie habe zwar „anfängliche Ermittlungen vorgenommen, die Einstellung aber auf eine objektiv tatsächlich nicht zutreffende Tatsachengrundlage gestützt und sich damit den Blick auf ein anderes mögliches strafrechtlich relevantes Tatgeschehen versperrt und diesbezüglich die gebotenen Ermittlungen unterlassen“, stellten die Richter fest. Sie wiesen die Staatsanwälte an, „die Ermittlungen zwingend wieder aufzunehmen und mit besonderer Nachdrücklichkeit zu betreiben“.

Doch passiert ist seither wenig, wie die Anwälte festgestellt haben. Unter anderem gibt es bis heute kein Rechtshilfeersuchen an Frankreich, um dort lebende Zeugen zu vernehmen, die vermutlich die letzten Stunden Jeremiah Duggans mit ihm verbracht haben. Nun versuchen die Anwälte mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, neuen Druck auf die Ermittler zu machen.

Der damals 22 Jahre alte Jeremiah Duggan würde vermutlich noch leben, wäre er nicht bei einem Gastsemester an der Pariser Sorbonne in die Fänge der LaRouche-Sekte geraten, die ihn im März 2003 mit anderen jungen Leuten zu einer Tagung nach Wiesbaden verfrachtete. Auf der Konferenz des „Schiller-Instituts“ sollte auch der Sektenboss sprechen, der fanatische US-Millionär, Verschwörungstheoretiker und verurteilte Betrüger Lyndon LaRouche, dessen Frau Helga Zepp-LaRouche die deutsche Abteilung der Sekte leitet, die mal als Europäische Arbeiterpartei, mal als BüSo, mal als Schiller-Institut auftritt. Nach dem Vortrag blieb Jeremiah wie die meisten der rund fünfzig Teilnehmer in Wiesbaden, um noch an einem „Kadertreffen der Militanten“ teilzunehmen, einer Schulung, die ein Aussteiger der Sekte als massive Gehirnwäsche bezeichnet hat.

Zwei Tage später, mitten in der Nacht, rief Jeremiah seine Mutter in London an: „Ich bin in großen Schwierigkeiten, bitte hilf mir.“ Dann wurde das Telefonat unterbrochen, ebenso ein zweiter knapper Anruf kurz darauf. In Jeremiahs Stimme, sagt Erica Duggan, sei Todesangst gewesen. Das war am 27. März 2003 morgens um halb sechs.

Vierzig Minuten später lag der Sohn tot auf der B 455, einer Schnellstraße bei Wiesbaden-Erbenheim. Drei Autofahrer gaben an, dass Jeremiah auf der vierspurigen Straße herumgeirrt und auf Autos zugerannt sei. Einer habe ihn dann mit seinem Wagen erfasst, ein weiterer überrollt. Schon drei Stunden nach Jeremiahs Tod legte sich die Polizei auf Selbstmord fest.

Nur Erica Duggan hat nie geglaubt, dass ihr Sohn sich das Leben nehmen wollte. Sie begann ihre eigenen Ermittlungen, fand Teilnehmer des Kader-Seminars und erfuhr: Als man dort über die angebliche jüdische Weltverschwörung hetzte, die laut Sektenlehre für die Anschläge des 11. September 2001 verantwortlich war, stand Jeremiah auf und sagte: „Ich bin Jude.“ Ein Teilnehmer berichtete, daraufhin sei „Jeremiah richtig in die Mangel genommen“ worden.

Die entscheidende Frage ist, wo Jeremiah die Nacht vor seinem Tod verbracht hat. Die Polizei glaubte dem zur LaRouche Sekte gehörenden Sebastian Drochon. Er sagte aus, er sei gemeinsam mit Jeremiah in der Wohnung eines zur Sekte gehörenden Ehepaars in der Wiesbadener Hallgartenstraße gewesen. Nach dem Telefonat mit seiner Mutter sei Jeremiah mit Angstzuständen auf die Straße gelaufen und verschwunden.

Das Oberlandesgericht stellte zu dieser Version kühl fest: „Jeremiah Duggan ist objektiv nicht in der Lage gewesen, in dem ihm möglichen Zeitfenster zwischen dem Telefonat mit seiner Mutter und dem Zeitpunkt seines Todes die ca. 5 Kilometer von der Hallgartenstraße in Wiesbaden zum Unfallort am Ortseingang von Wiesbaden-Erbenheim zu gelangen.“ Ein Widerspruch, der Polizei und Staatsanwaltschaft nicht interessiert hat.

Der Leibwächter hat geredet

Viel wahrscheinlicher ist ein anderer Ablauf. Danach dürfte Jeremiah nicht in jener Wohnung, sondern im als EIR GmbH getarnten Schiller-Institut gewesen sein, das nur wenige hundert Meter vom Unfallort entfernt liegt. „Ein Fußgänger, der von den Räumlichkeiten der EIR GmbH auf der Bahnstraße Richtung Wiesbaden flüchten will, würde am Ende seiner Flucht genau an diese Einmündung geraten und sich mit der Situation konfrontiert sehen, dass er nicht weiterlaufen kann, sondern die vierspurige Straße überqueren muss, wenn er nicht zurückgehen will oder kann“, hat das Gericht festgestellt.

Das passt zu den – inzwischen von ihr allerdings bestrittenen – Aussagen von Ingrid Meyer, der Mutter des Leibwächters von Lyndon LaRouche, Niels Meyer. Er ist der Hauptbeschuldigte, wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Er soll seiner Mutter damals erzählt haben, „sie hätten Jeremiah gejagt, man habe ihn beschimpft, gehänselt, mit ihm gerauft“. Danach sei der Engländer von Sektenmitgliedern in den Tod getrieben worden, die von Polizei und Staatsanwaltschaft übernommene Selbstmordtheorie sei eine Legende zum Schutz der Sekte. Die Frage ist: Wer hat seit elf Jahren ein Interesse, diese Sekte zu schützten?

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