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Analyse„Mütter“-Verbot bei der Tagesschau? Wenn Wahlkampf und ARD-Bashing freidrehen

Lesezeit 4 Minuten
Eine schwangere Frau hält sich den Bauch. (Symbolbild)

Eine schwangere Frau hält sich den Bauch. (Symbolbild)

Dass die „Tagesschau“ das Wort „Mutter“ streichen will, kann weder ein „Bild“-Redakteur, noch Markus Söder oder der Chefredakteur des BRs allen Ernstes glauben. Ein Fall von Empörungsmache, Wahlkampf und Hasenfüßigkeit rund um „gebärende Personen“ und andere Mütter.

Groß war die Aufregung, als die Boulevardpresse an diesem Wochenende auf einen Vorgang hinwies, der sich auf der Website der „Tagesschau“ abgespielt haben soll – und der nach einiger Empörung in den Sozialen Medien sogar den Ministerpräsidenten Bayerns, Markus Söder, sowie den Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks auf den Plan rief. Letzterer setzte daraufhin offenbar ARD-intern die Änderung eines Textes von zwei Korrespondentinnen des ARD-Hauptstadtstudios durch und meldete das pflichtschuldigst dem Ministerpräsidenten unter dessen Twitter-Meldung – obwohl der Text gar keinen Fehler enthalten hatte.

Was war passiert? Die Aufregung begann, als die „Bild“-Zeitung in ihrer Onlineausgabe am Samstag empört behauptet hatte: „Tagesschau streicht das Wort ‚Mutter‘“. Der „Bild“-Redakteur Philip Fabian beschrieb darin, dass „bei der gebührenfinanzierten ‚Tagesschau‘“ über den Entwurf des Bundesfamiliengesetzes für ein neues „Familienstartzeitgesetz“ nicht mehr das Wort „Mutter“ verwendet werde. Vielmehr sei von „entbindenden“ oder „gebärenden Personen“ die Rede. Fabian leitet den Text mit der Frage ein: „Was stimmt mit dem Begriff ‚Mutter‘ nicht?“

„Tagesschau“ wollte „niemanden diskriminieren“

Auf Anfrage habe die „Tagesschau“-Redaktion erklärt, die habe die Bezeichnung „entbindende Person“ nicht etwa aus dem Gesetzentwurf übernommen. Sondern: „Der Begriff wurde gewählt, um niemanden zu diskriminieren.“ Die „Bild“-Redaktion erweckt daraufhin in der Überschrift sowie in einem Tweet zum Text den Eindruck, bei der „Tagesschau“ – womöglich gar in der meistgesehenen deutschen TV-Nachrichtensendung – werde das Wort „Mutter“ gestrichen.

Tatsächlich betrifft diese Wortwahl ausschließlich diesen einen Text – aus einem spezifischen Grund: In dem Bericht geht es um einen Gesetzentwurf des Familienministeriums, der eine gerechtere Verteilung der Kinderbetreuung und Hausarbeit stärken will: Im Fall einer Kindsgeburt soll künftig nicht nur die Mutter, die das Kind gerade bekommen hat, Anspruch auf freie Tage bekommen, sondern auch ihr Partner oder – in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften – die Partnerin.

Da sich in einer Ehe oder Partnerschaft von zwei Frauen mit Kind oder Kindern durchaus beide Frauen als Mütter fühlen dürften, wollten die „Tagesschau“-Autorinnen offenbar herausstreichen: Nicht nur die „gebärende Frau“ hat Anspruch auf Sonderurlaub, sondern auch die andere Mutter, eben die Partnerin.

„Bild“ und Söder im Kampf gegen „Woke-Wahn“

Ob es „Bild“-Autor Philip Fabian möglich war, diesen nicht sonderlich komplexen Zusammenhang zu durchdringen, blieb zunächst unklar. Klar ist aber, dass die „Bild“-Zeitung aus dem Axel-Springer-Verlag bereits seit Jahren zu den Medienhäusern zählt, die sich offensiv und kampagnenartig gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzen. Zudem hat sie in ihrer Leserschaft großes Aufregungs- und damit Klickpotenzial beim Thema „diskriminierungsfreie Sprache“ erkannt. Beides zusammen hat Fabian am Samstag also zu einem Text verdichtet, der die bekannten Reflexe gezielt anspricht.

Für ein ähnliches Vorgehen ist auch der bayrische Regierungschef und CSU-Vorsitzende Markus Söder bekannt. Als zum Beispiel die „Bild“ im vorigen Sommer ebenfalls bei Twitter meldete, dass künftig nicht mehr die ARD, sondern das ZDF Filme der „Winnetou“-Reihe zeigen werde, da erweckten beide – „Bild“ und Söder – gezielt den Eindruck, die ARD sei aufgrund der „Kritik einzelner“ (sic!) eingeknickt.

An diesem Wochenende kommentierte Söder nun die „Bild“-Meldung über das vermeintlich gestrichene Wort „Mutter“ bei Twitter, indem er die ARD aufforderte, „den Woke-Wahn“ zu korrigieren. „Für so einen Unsinn braucht es keine Zwangsgebühren.“ Zwangsgebühren gilt als Begriff aus dem rechtspopulistischen Umfeld der AfD, mit dem gegen Rundfunkgebühren Stimmung gemacht wird – vor allem, wenn die medialen Inhalte der AfD nicht genehm sind.

BR-Chef: „Dies war keine ARD-Linie!“

Söder befindet sich derzeit im Vorwahlkampf zur bayrischen Landtagswahl und nutzt deshalb dieser Tage Twitter verstärkt als Medium, um die besagten Reflexe für sich und seine Partei auszunutzen. Ob das dem Chefredakteur des formal von der Politik unabhängigen öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunks, Christian Nitsche, bekannt ist, ist nicht belegt – darf aber angenommen werden.

Dennoch meldete er sich am Samstag ebenfalls bei Twitter, um dem Ministerpräsidenten als Antwort auf dessen Forderung pflichtschuldigst zu melden, dass die „Tagesschau“-Redaktion den Artikel in dessen Sinne geändert habe – „nicht auf Weisung, sondern nach interner Klärung“, wie er auf kritische User-Nachfragen hin betonte. „Dies war keine ARD-Linie!“, schrieb Nitsche – mit Ausrufezeichen.

Unklar blieb zunächst, ob es überhaupt eine andere ARD-Linie für Texte gibt, in denen klargestellt werden soll, dass bei zwei Müttern sowohl die gebärende Mutter, als auch die nichtgebärende Mutter künftig Anspruch auf Sonderurlaub haben, und ob der Text gegen diese Richtlinie verstoßen hat oder ob es keine Richtlinie gibt und die Nichtverwendung des Wortes Mutter deshalb unzulässig war sowie die Frage, ob Nitsche sich demnächst für eine solche Richtlinie innerhalb der ARD einsetzen wird.

Auf die Anmerkung einer Userin, dass „niemand, aber auch wirklich niemand, gefordert (hat), dass Mütter nicht mehr Mütter genannt werden sollen“, antwortete der BR-Chefredakteur lediglich: „Das ist auch gut so.“

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