Aymaz über islamischen Antisemitismus„Türkische Sender verbreiten antisemitische Hetze“

Lesezeit 6 Minuten
Berivan Aymaz, Vize-Präsidentin des Landtags von NRW (Grüne)

Berivan Aymaz, Vize-Präsidentin des Landtags von NRW (Grüne)

Die Grüne Landtagsvizepräsidentin Berivan Aymaz fordert ein konsequentes Vorgehen gegen Hass und Hetze, die aus Ankara gepredigt wird.

In Deutschland sind jetzt viele überrascht darüber, dass es einen ausgeprägten Antisemitismus gibt. Sie auch?

Nein. Überrascht bin ich nicht, aber dennoch erschüttert über den Antisemitismus, der in vielen Formen massiv ausbricht. Antisemitismus ist in Deutschland weit verbreitet. Lange wurde aber ignoriert, dass viele Menschen hier leben, die aus Ländern kommen, in denen Antisemitismus völlig unkritisch gesehen wird. Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft und müssen die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Milieus – also auch innerhalb migrantischer Gruppen stärker berücksichtigen.

Der Antisemitismus ist also importiert?

Den Begriff „Import“ finde ich in gesellschaftlichen Debatten grundsätzlich problematisch. Antisemitismus ist ja keine Ware, sondern eine weltweit verbreitete menschenverachtende Ideologie, die historisch in Europa wurzelt. Wir dürfen es uns jetzt nicht so einfach machen und den Antisemitismus lediglich auf die muslimische und migrantische Community externalisieren. Vielmehr muss es darum gehen, ihre historischen Hintergründe zu durchdringen und dabei auch die europäische und deutsche Verantwortung nicht zu vernachlässigen.

Kritik an der israelischen Regierungspolitik wird als legitim angesehen.

Es gibt gute Gründe, die israelische Regierungspolitik zu kritisieren, das ist völlig legitim. Es sind ja in den letzten Monaten Menschen in Israel selbst zu Hunderttausenden gegen Netanjahus Politik auf die Straße gegangen. Doch die brutalen Angriffe der Hamas am 7. Oktober dürfen damit keineswegs relativiert und vermischt werden. Das war blanker Terror. Die Angriffe richten sich gegen das Existenzrecht Israels und gegen jüdisches Leben. Immer wenn der israelisch-palästinensische Konflikt eskaliert, tritt der israelbezogene Antisemitismus offen zutage. Daher müssen die Hintergründe des Konflikts und politische Entwicklungen im Nahen Osten kontinuierlich angesprochen werden. Wir dürfen den Demagogen und Antisemiten nicht das Feld überlassen.

Ist das ein Versagen der Bildungspolitik?

Wir dürfen nicht der irrigen Annahme verfallen, dass unsere Schulen alle gesellschaftlichen Probleme aus dem Weg räumen können. Ja, Bildung ist zentral. Aber die Hintergründe der vielschichtigen Konflikte im Nahen Osten und insbesondere des israelisch-palästinensischen Konflikts zu vermitteln, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss mehr Raum bekommen.

Bei der umstrittenen Demo in Essen sind Frauen und Männer getrennt marschiert und haben die Einführung eines Gottesstaats gefordert. Wie ist Ihr Blick auf den Vorgang?

Das war eine erschreckende Machtdemonstration. Wir erleben derzeit, dass Islamisten die Gunst der Stunde nutzen, um ihre Ideologie salonfähig zu machen. Dass auch einige linke Gruppierungen sich mit Islamisten gemein machen, offenbart eine erschreckende Nähe zu antisemitischen Positionen. Dahinter stehen falsch verstandene postkoloniale Theorien, das ist geschichtsvergessen und verantwortungslos. Das Schweigen in diesen Kreisen zu den 1200 Ermordeten und zu über 200 verschleppten Menschen ist ohrenbetäubend.

Sind die Juden in Deutschland nicht gut genug geschützt?

Es ist beschämend, dass in Deutschland 85 Jahre nach den Novemberpogromen erneut Häuser mit Davidsternen markiert werden und jüdische Kinder nicht unbeschwert zur Schule gehen können. Daher ist es richtig und wichtig, dass wir jetzt Schutzmaßnahmen verstärken. Aber wir dürfen uns damit nicht abfinden. Jüdisches Leben in Deutschland muss ohne Polizeischutz möglich sein.

Der Weg dahin scheint weit zu sein…

Ja, aber wir müssen die gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Antisemitismus in all seinen Formen zu bekämpfen, aktiv und fortwährend annehmen. Eine der größten rechtsextremistischen und antisemitischen Organisation, die in Deutschland agiert, sind die „Grauen Wölfe“ aus der Türkei. Es wird endlich Zeit, dass Bundesinnenministerin Faeser dem Auftrag des Bundestages nachkommt und ein Verbot der „Grauen Wölfe“ ernsthaft prüft. Zudem dringen türkische TV-Sender mit ihrer ununterbrochenen, puren antisemitischen Hetze und Israelfeindlichkeit in unzählige Haushalte bei uns ein. Gegen Antisemitismus, in welcher Form er sich auch äußert, darf es keine Toleranz geben. Dagegen müssen wir effektiv angehen.

Fragt sich nur wie…

Wir brauchen mediale Gegenkonzepte und zusätzliche mehrsprachige Formate gegen ausländische Einflussnahme wie aus der Türkei. Es ist fatal, dass in dem Bereich in der Vergangenheit gekürzt wurde. Das ist der falsche Weg. Wir müssen aber auch klare Position im Umgang mit der Ditib beziehen. Sie ist ganz klar der türkischen Religionsbehörde Diyanet untergeordnet, die unverfroren ihren Juden- und Israelhass aus Ankara predigt.

Was schlagen Sie vor?

Staatliche Kooperationen mit der Ditib, die sich immer noch verweigert, sich von den antisemitischen Äußerungen ihres Vorgesetzten in Ankara zu distanzieren, gehören auf den Prüfstand, so auch die Mitgliedschaft der Ditib im Beirat für den islamischen Religionsunterricht. Hier muss die Politik eine klare Kante zeigen. Das gilt auch für die außenpolitischen Beziehungen. Wenn Erdogan die Hamas als Befreiungsorganisation bezeichnet und Israel zu einem Terrorstaat erklärt, dann ist es das falsche Zeichen, ihm in Berlin den roten Teppich auszurollen.

Dabei spielt sicher eine Rolle, dass die Türkei ein wichtiger Nato-Partner ist.

Die Türkei hat sich in den letzten Jahren in vielen internationalen Fragen weniger als ein Partner des Westens erwiesen, sondern vielmehr als ein Sicherheitsproblem. Derzeit agiert sie als Brandstifterin im israelisch-palästinensischen Konflikt. Wir müssen auch international deutlich machen, dass wir es ernst meinen mit dem Kampf gegen Antisemitismus und dem Existenzrecht Israels.

Was halten Sie von der Zwei-Staaten-Lösung?

Auch in dieser politisch äußerst schwierigen Lage müssen Wege gefunden werden, die den Frieden und die Sicherheit in der Region dauerhaft garantieren. Dies kann nur durch ein friedliches Nebeneinander Israels und eines Palästinenserstaates gelingen. Es gibt es keine Alternative zur Zweistaatenlösung. Ein Flächenbrand in der gesamten Region muss unbedingt abgewendet werden.

Wie lange wird der Krieg noch dauern?

Dieser fürchterliche Krieg wurde durch das grausame Massaker der Hamas in Israel ausgelöst. Sie trägt die alleinige Verantwortung dafür und muss jetzt auch dafür sorgen, dass er endet. Ein Schlüssel-Faktor ist die Freilassung der über 200 israelischen Geiseln

Sie haben kurdische Wurzeln, engagieren sich als Politikerin aus einem muslimischen Kulturkreis in besonderer Weise für Israel. Wie kommt das?

Ich habe als 17-Jährige erstmals in Rahmen eines Schüleraustauschprogramms das Land Israel und seine Menschen kennengelernt. Mich hat die Vielfalt und die Lebendigkeit der israelischen Gesellschaft tief beeindruckt und mir neue Perspektiven auf die Region des Nahen Ostens verschafft. Daher liegen mir Austauschprogramme sehr am Herzen und ich hoffe sehr, dass diese bald wieder aufgenommen werden können.

Derzeit scheint das schwer vorstellbar.

Gerade jetzt ist es wichtig, Räume der Begegnungen mit Menschen aus Israel zu schaffen. Wenn die Sicherheitslage in Israel es derzeit nicht zulässt, müssen diese umso mehr hier intensiviert werden. Auch der Austausch mit jüdischen Gemeinden in Deutschland ist von besonderer Bedeutung, da Jüdinnen und Juden unabhängig davon, ob sie einen Bezug zu Israel haben, stark von den aktuellen Entwicklungen betroffen sind. Wir sollten alle Möglichkeiten der Begegnung und des Austauschs nutzen.

Berivan Aymaz (Grüne) ist Vizepräsidentin des Landtags und Vorsitzende der Parlamentariergruppe Israel.

KStA abonnieren