Takim-TerrorzelleTipp vom FBI half Düsseldorfer Behörden, IS-Kämpfer zu schnappen

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Mitte April führen vermummte Polizisten tadschikische Islamisten in Karlsruhe dem Haftrichter vor.

  • Über Jahre soll eine Terrorzelle aus NRW Anschläge im Auftrag des IS vorbereitet haben
  • Sie experimentieren mit selbstgebautem Sprengstoff und Gift für Attentate
  • Ein Tipp aus den USA alarmierte die deutschen Behörden

Düsseldorf – Der Mann mit den langen Haaren wirkte ein wenig abgemagert. 58 Kilogramm verteilten sich auf eine Größe von 1,72 Meter. Das Foto des Schweizers Daniel D. zeigte den frustrierten Blick eines inhaftierten Kämpfers der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Im Sommer 2019 machten sich Verhörspezialisten der US-Behörden nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf den Weg, um den Extremisten in einem syrischen Gefangenlager kurdischer Guerillakämpfer zu verhören.

Daniel D., Kampfname Abu Mariyam, vor 26 Jahren in Genf geboren, stand auf der Suchliste der Amerikaner. Der gelernte Bauarbeiter gehörte zeitweilig zur IS-Einheit für Operationen im Ausland. Also: für Anschläge.

Beleg für Schläferzellen in NRW?

Detailliert schilderte D. laut einem Bericht der US-Bundespolizei FBI geplante Attentate durch IS-Kämpfer. Im Dezember 2018, so der Informant, sei eine elfköpfige Truppe in die Türkei aufgebrochen. Von dort aus wolle sie unter dem Flüchtlingsstatus nach Deutschland reisen. Der Chef dieses Kommandos hat zu diesem Zeitpunkt wohl schon enge Kontakte ins Zielland: Zu einer Schläferzelle aus Nordrhein-Westfalen, bestehend aus tadschikischen Flüchtlingen. Takim-Zelle wird sie genannt und sie agierte wohl schon seit einigen Jahren im Dunklen. Offenbar, um potenzielle Anschlagsziele auszuspähen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) nahm die Aussagen von Daniel D. so ernst, dass die Behörde im vergangenen Jahr einen Gefahrenabwehr-Vorgang unter dem Codenamen „Reuse“ einleitete. NRW-Staatsschützer deuteten die Aussagen des Schweizer IS-Kämpfers als Beleg dafür, dass die IS-Führer bei „Schläferzellen  (…) Anschläge in Westeuropa angeordnet haben“.

Attentate auf US-Luftwaffenstützpunkte geplant

Schon zwischen 2011 und 2017 waren einige Mitglieder  der Takim-Zelle eingereist und hatten Asylanträge gestellt. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gaben sie sich als Opfer der Nachstellungen durch den tadschikischen Geheimdienst aus. Manche bekannten offen, dass sie radikal-islamische Salafisten seien, die man verfolgt habe. Das Bamf schöpfte keinen Verdacht und  gewährte einen vorläufigen Bleibestatus.

Die Islamisten sollen daraufhin insbesondere Attentate auf die US-Luftwaffenstützpunkte Spangdahlem (Rheinland-Pfalz) und Geilenkirchen (Kreis Heinsberg) geplant haben. Auch  Sportveranstaltungen hätten sie ins Blickfeld genommen. Es soll auch  Mordpläne gegen einen Islamkritiker aus Neuss und einen albanischen Geschäftsmann gegeben haben.

Bombenanleitung über Telegram

Zur Jahreswende 2018/2019, schon  bevor die Informationen von Daniel D. durchsickerten, bemerkten die NRW-Terrorfahnder zum ersten Mal, dass sich aus der tadschikischen Community zwischen dem Niederrhein und dem Raum Siegen eine höchst gefährliche Truppe gebildet hatte. So redeten Teilnehmer in abgehörten Telefonaten über Fußball und den Wunsch, ein Märtyrer zu werden. Später werteten die Ermittler den in den Gesprächen genannten  Verein Real Madrid, auch die Königlichen genannt, als Synonym für den IS. Auch glaubten die Beamten, das Wort „Fußballspielen“ stehe für Anschläge.

Im März 2019 nahmen die Sicherheitsbehörden den Chef der Zelle in Wuppertal fest. Doch die restlichen Takim-Mitglieder verfolgten ihre Pläne für den Dschihad unbeeindruckt weiter. Die Zelle übte mit selbstgebauten Sprengkörpern, experimentierte mit Gift für Attentate, chemischen Artilleriegeschossen und Drohnen, die Munition abwerfen sollten. Beim Messenger-Dienst Telegram luden sie sich das „Küchenbuch für Mudschahedin“ herunter, eine Instruktion, um  Sprengstoff herzustellen. Zugleich stellten die Ermittler fest, dass sich die Gruppe nach Kursen zum Fallschirmspringen und  Fliegen am Tegernsee oder in Bitburg erkundigte. Die Stadt in der Eifel liegt nahe der US-Base Geilenkirchen, von der die großen Luftraumaufklärer „Awacs“ starten, die auch in Syrien, dem Irak und Jordanien aktiv sind. Die Taktiken erinnerten die Düsseldorfer Strafverfolger auffallend an jene, die der Schweizer IS-Mann  im Sommer im Verhör mit den US-Behörden geschildert hatte. Von nun an zogen sie Parallelen zwischen den beiden Terrorverfahren.

Behörden belauschten Telefonate in österreichisches Gefängnis

Bald fing die Kripo Telegram-Chats mit einem Kämpfer aus Syrien ab. Der Befehlshaber, Deckname „Abu Fatima“, animierte die Takim-Gruppe dazu, in Deutschland „etwas zu machen“. Die NRW-Behörden glauben inzwischen, den Auftraggeber  identifiziert zu haben: Es handelt sich um einen Mann aus der kaukasischen Teilrepublik Dagestan. Er gilt als einer der Planer der Lkw-Attacke durch einen IS-Anhänger in der Stockholmer City mit fünf Toten und 14 Verletzten im April 2017.  Nach und nach enttarnten die Strafverfolger in Düsseldorf und beim Staatsschutz Mönchengladbach ein Netzwerk, das weit über NRW hinaus Kontakte zu kaukasischen Terroristen in Europa pflegte.

Am 11. September 2019 belauschten die Behörden ein brisantes Telefonat: Einer der Köpfe der Takim-Einheit in NRW rief einen Bekannten in Österreich an. Der 24-jährige Tschetschene Magomed D. saß gerade eine Strafe im Linzer Gefängnis ab, weil er beim Ausreiseversuch nach Syrien erwischt und verurteilt worden war. Man unterhielt sich über das Befinden des Amirs (Anführers), der ebenfalls in Österreich einsaß.

Zelle plante Anschläge auf Weihnachtsmärkte

Wie Magomed D. an das Handy im  Gefängnis kam, ist noch unklar. Zwei Monate später allerdings enttarnten die österreichischen Sicherheitsbehörden eine Gruppe Tschetschenen, die über Telefonate aus dem Gefängnis Anschläge auf den Weihnachtsmarkt am Wiener Stephansplatz und in Deutschland geplant haben soll. Derzeit ist nicht klar, ob auch die NRW-Zelle in entsprechende Vorhaben eingebunden war.

Über den Jahreswechsel 2019/2020 hinweg wollte der Porsche-Konzern eine Lackieranlage in Stuttgart-Zuffenhausen abbauen. Auf der Baustelle entdeckten Terrorfahnder  laut einem Vermerk „zahlreiche Tschetschenen aus Frankreich, zu denen vielfältige staatsschutzrelevante Erkenntnisse im In- und Ausland vorliegen“. Einer der Köpfe der Takim-Gruppe in NRW zog hier die Strippen: Ein Verwandter führte als Subunternehmer dort die Arbeiten aus. Der Terrorchef organisierte etwa 60 Arbeiter, um den Lohn für einen „inhaftierten Bruder“ zu sammeln.

Angriffe sollen möglichst viele Opfer fordern

Ein Bericht einer BKA-Verbindungsbeamtin aus Moskau bestärkte im März  noch einmal die NRW-Sicherheitsbehörden in ihrem Verdacht. Darin schilderte die Kriminalhauptkommissarin neue Erkenntnisse über Anschlagspläne des IS. So forderten die Anführer der selbst ernannten Kalifatskämpfer „die Attentäter auf, gezielt Anschläge mit Kraftfahrzeugen durchzuführen“. Ferner sollten die entsandten „Gotteskrieger“ Gasexplosionen in eigens angemieteten Wohnungen durchführen. Die Angriffe sollten möglichst viele Opfer fordern.

Über ein Jahr lang beobachteten die hiesigen Sicherheitsorgane die Aktivitäten der Takim-Zelle, ehe sie  im April dieses Jahres zugriffen und die restlichen Mitglieder der Zelle verhafteten.  Zwei Pistolen wurden dabei sichergestellt.

Zwei der tadschikischen Dschihadisten allerdings waren bereits im Herbst 2019 in ihre Heimat abgeschoben worden. Die beiden Terrorverdächtigen mussten dort ins Gefängnis. Das Gefangenenschicksal aber währte  nicht lange: Den Ermittlungen zufolge war es dem Takim-Kader gelungen, seine Komplizen gegen Schmiergeld zu befreien. Einer der beiden Dschihadisten machte sich auf den Rückweg nach NRW. Ende April wurde er in Albanien aufgegriffen. Nach einem Auslieferungsersuchen landete er am 3. August in Frankfurt/Main.

Beamte des Präsidiums Düsseldorf nahmen ihn in Empfang.

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