Trauzeugen-AffärePatrick Graichen ist schwer angeschlagen – aber für Robert Habeck kaum zu ersetzen

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Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, r.), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), und Patrick Graichen, Staatssekretär im BMWK.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, r.), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), und Patrick Graichen, Staatssekretär im BMWK.

Die Affäre um Staatssekretär Patrick Graichen belastet Robert Habeck. Aber es werden auch vermeintliche Skandale gesucht, die keine sind.

Es kommt nicht alle Tage vor, dass der Bundeskanzler nach der Zukunft eines Staatssekretärs gefragt wird. Am Freitag passierte das gleich zwei Mal - in der Regierungspressekonferenz und beim Staatsbesuch von Olaf Scholz in Kenia. In Berlin sagte Regierungssprecher Wolfgang Büchner, dass die Aufarbeitung der Vorgänge durch das Wirtschaftsministerium aus Sicht des Kanzlers „In Ordnung“ seien.

In Afrika drückte der Kanzler selbst sich etwas komplizierter aus. Das Wirtschaftsministerium habe angekündigt, dass Fehler korrigiert würden, ließ Scholz auf Nachfrage wissen. „Ich gehe davon aus, dass auch alles andere entsprechend der Regeln, die wir haben, erfolgen wird.“ Es hat im politischen Berlin schon leidenschaftliche Treueschwüre gegeben. Kein Zweifel: Die Lage für Patrick Graichen ist ernst. Sehr ernst sogar.

Nach einem einwöchigen Trommelfeuer aus Opposition und Teilen der Medien ist der Spitzenbeamte aus dem Wirtschaftsministerium politisch schwer angeschlagen. Manche sagen, er sei bereits irreparabel beschädigt. Was hat man ihm in den vergangenen Tagen nicht alles um die Ohren gehauen: Filz, Vetternwirtschaft, Klüngel, Clanstrukturen. Eine Weile kann man das aussitzen, aber wenn sich die Lage gar nicht beruhigt, ist nach den Gesetzen des Polit-Betriebs früher oder später ein Rücktritt fällig. Oder auch ein Rauswurf.

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Fall Graichen: Unnötige Skandalisierung

Darüber, ob solche Konsequenzen im Fall Graichen angemessen wären, lässt sich lange streiten. Der 51-Jährige hat ohne jeden Zweifel einen schweren Fehler begangen, als er sich am Auswahlverfahren für die Geschäftsführung der staatlichen Energieagentur Dena beteiligte, obwohl sein Trauzeuge unter den Bewerbern war. Die Verquickung der Interessen ist derart offensichtlich, dass sich auch Wohlmeinenden fragen, was um alles in der Welt Graichen da nur geritten hat.

Andererseits werden in der aktuellen Aufregung nun Dinge skandalisiert, die beim besten Willen kein Skandal sind. Dass Graichen und der parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Michael Kellner verschwägert sind, ist in normalen Zeiten allenfalls eine Meldung für das Vermischte. Auch dass Bruder und Schwester des Staatssekretärs für ein Forschungsinstitut tätig sind, das seit Jahren Aufträge aus dem Wirtschaftsministerium bekommt, ist kein Grund zur Empörung - zumal die verwandtschaftlichen Verhältnisse transparent waren, und Graichen an der Vergabe eben nicht beteiligt. So wichtige solche Differenzierung sind, so wenig finden sie in der aufgeregten Debatte Gehör.

Das Wirtschaftsministerium hat feinsäuberlich sämtliche Zuwendungen und Aufträge an das Öko-Institut seit 2012 aufgelistet. Zahlungen in Höhe von rund 13 Millionen Euro sind dabei zusammengekommen, die allermeisten der 40 Posten stammen aus der Amtszeit von CDU-Wirtschaftsministers Peter Altmaier. Die Liste soll eine Entlastung für Graichen und das Wirtschaftsministerium sein, nur bringt eine Tabelle mit 40 Posten in der öffentlichen Wirkung wenig, wenn der aktuelle CDU-Chef „Vetternwirtschaft“ brüllt, und die Bildzeitung den Resonanzraum liefert.

Robert Habeck: Debatte um vermeintlich grünen Filz im Wirtschaftsministerium

Graichen, der früh in die Offensive gegangen und seinen Fehler eingeräumt hat, mag sich ungerecht behandelt fühlen. Gleichzeitig allerdings muss er sich fragen, wie gut er sein Amt unter diesen Bedingungen noch ausführen kann. In den vergangenen eineinhalb Jahren war der 51-jährige Politikwissenschaftler und Volkswirt gleichzeitig Hand und Hirn von Habecks Energiepolitik. Er war es, der die nächsten Schritte durchdachte, er war es, der sie gegen Widerstände durchboxte.

Dabei ging er nicht immer zimperlich vor. Das erklärt zwar, warum sich jetzt so viele mit so großer Leidenschaft auf die (tatsächliche) Trauzeugen-Affäre und den (vermeintlichen) Grünen-Filz im Wirtschaftsministerium stürzen, es zeigt aber auch, welche Gefahr künftig lauert. Die Konflikte werden nicht weniger, Graichen aber steht nun unter derart strenger Beobachtung, dass jeder noch so kleine Fehler das Zeug zum nächsten Skandal hat.

Patrick Graichen: Parallelen zum Rücktritt von Christine Lambrecht?

Ihm droht ein ähnliches Schicksal wie der zurückgetretenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, bei der am Ende ein missglücktes Video für eine tagelange Diskussion ausreichte. Graichens Gegner wissen um diese Schwäche - und sie werden versuchen, sie für sich zu nutzen. Viele in Berlin fragen sich, ob er unter diesen Umständen noch auf Augenhöhe mit den Chefs der Energiemultis oder den Staatssekretären der anderen Ministerien verhandeln kann.

Angesichts der gewaltigen Herausforderungen der Energiewende sind das keine guten Voraussetzungen, zumal sich die nächsten Großkonflikte schon abzeichnen, etwa der gerade erst beginnende Ampel-Zoff über einen möglichen Preisdeckel für Industriestrompreis, dessen Konzept Graichen federführend entwickelt hat. Für Wirtschaftsminister Robert Habeck ist die Situation maximal unangenehm. Der Vizekanzler braucht eigentlich einen Staatssekretär, der politische Kontroversen abräumt, anstatt sie auszulösen.

Einfach ersetzen kann er Graichen aber auch nicht. Erstens gibt es nur wenige potenzielle Nachfolger mit vergleichbarer Expertise im Energiebereich, zweitens stammen die meisten von ihnen aus dem gleichen Dunstkreis wie Graichen. Die Gefahr wäre groß, dass auch ein neuer Staatssekretär schnell mit den gleichen Vorwürfen konfrontiert wäre wie der alte. Habeck bleibt deshalb wenig anderes übrig, als an Graichen festzuhalten. Zwar schadet ihm die Debatte inzwischen auch persönlich, die Alternativen aber sind mindestens genauso problematisch. Habeck sitzt jetzt in der Graichen-Falle. (RND)

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