Krieg gegen UkraineRussland will Großoffensive zerschlagen haben – doch hat die überhaupt begonnen?

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Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums am Montag veröffentlichten Video.

Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums am Montag veröffentlichten Video.

Russland spricht von einer gescheiterten „Großoffensive“ der Ukraine nahe Donezk. Bilder bestätigen Kämpfe, doch Experten bezweifeln die vermeintliche Angriffsgröße.

Das Video aus dem russischen Verteidigungsministerium verbreitete sich in der Nacht zu Montag wie ein Lauffeuer in den Telegramkanälen russischer Militärblogger: Es zeigt laut Russland eine Schlacht südlich von Donezk, bei der ukrainische Truppen schwer unter Beschuss geraten. Mehrere ukrainische Fahrzeuge explodierten auf einem Feld, nachdem sie getroffen wurden.

Laut einem Sprecher der russischen Armee hätten die ukrainischen Streitkräfte bei einem Großangriff versucht, die russische Front zu durchbrechen. Unter großen Verlusten auf ukrainischer Seite sei die „Großoffensive“ gescheitert, hieß es. „Sie hatte keinen Erfolg.“ Akribisch listete man auf, welche Verluste das ukrainische Militär zu beklagen habe. Von mehr als 250 Soldaten und 16 Panzern ist die Rede sowie 24 gepanzerten Kampffahrzeugen.

Dieses Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichten Videos soll nach russischen Angaben ein ukrainisches Militärfahrzeug zeigen, das während eines Gefechts in der Ukraine getroffen wurde.

Dieses Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichten Videos soll nach russischen Angaben ein ukrainisches Militärfahrzeug zeigen, das während eines Gefechts in der Ukraine getroffen wurde.

Die Regierung in Kiew kommentierte den Angriff der eigenen Streitkräfte zunächst nicht. Der ukrainische Generalstab teilte lediglich mit, es habe in den Regionen Donezk und Luhansk 29 Kampfhandlungen gegeben. Zur Gegenoffensive äußerte er sich nicht. Auch das ukrainische Zentrum für strategische Kommunikation ging nicht direkt auf die russische Erklärung ein, sondern warnte nur allgemein, Russland versuche Lügen über die Gegenoffensive und die Verluste der ukrainischen Armee zu verbreiten.

Geolokalisierte Videos und Bilder belegen die Kämpfe im Süden von Donezk. „Die ukrainische Armee hatte am Sonntag begonnen, Kräfte im Süden zusammenzuziehen und hat dann mit diesen erstmals massiv die russischen Stellungen angegriffen“, sagte Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer. „Die Videos zeigen, dass die Ukrainer punktuell Angriffe durchgeführt haben, aber wegen des schweren Abwehrfeuers der russischen Seite vorerst nicht entscheidend vorrücken konnten“, so Reisner im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Nun versucht das russische Verteidigungsministerium den missglückten Angriff als Scheitern der ukrainischen Großoffensive darzustellen. Da ist laut Reisner aber nicht zutreffend.

Alles nur russische Propaganda?

Militärexperte Christian Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung in Berlin und stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), bestätigt dies und warnt im Gespräch mit dem RND: „Wir dürfen nicht auf diese russische Propaganda einer zurückgeschlagenen Großoffensive hereinfallen.“ Dieser Vorstoß habe nichts mit einer Großoffensive zu tun, sie würde auf Bildern und Videos viel größer aussehen. „Es gibt bisher noch keine Großoffensive, die von den Russen zurückgeschlagen werden könnte.“

Dieses Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums am Montag, den 5. Juni 2023, veröffentlichten Video soll nach russischen Angaben ein ukrainisches Militärfahrzeug zeigen, das während eines Gefechts in der Ukraine getroffen wurde.

Dieses Standbild aus einem vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums am Montag, den 5. Juni 2023, veröffentlichten Video soll nach russischen Angaben ein ukrainisches Militärfahrzeug zeigen, das während eines Gefechts in der Ukraine getroffen wurde.

Der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow, der für Moskaus Angriffskrieg gegen die Ukraine verantwortlich ist, soll sich laut russischem Verteidigungsministerium zum Zeitpunkt des ukrainischen Angriffs in der Gegend aufgehalten haben. Zuletzt stand Gerassimow unter großem Druck, Erfolge der russischen Streitkräfte vorweisen zu müssen. „Es ist völlig unglaubwürdig, dass die Russen ihren Oberbefehlshaber an die vorderste Front schicken“, sagt Mölling. Es könne eine „Propagandageschichte“ sein, mit der sich der Kreml schmücken wolle.

Russischer Feldkommandeur widerspricht Darstellung

Überraschend widersprach auch der russische Feldkommandeur Alexander Chodakowski am Montag der Erfolgsmeldung aus dem Kreml. Der fehlgeschlagene Angriff der Ukraine sei nur eine kleine Operation gewesen und die ukrainischen Truppen werden weiterhin „von Erfolg begleitet“. Die ukrainischen Streitkräfte hätten die russischen Soldaten in Nowodonezke (Donezk) „in eine schwierige Lage gebracht“. Experte Reisner sieht hierin die Diskrepanz zwischen der obersten russischen Militärführung, die Vertrauen und Zuversicht vermitteln wolle, und der untersten Ebene, die diese Kämpfe noch auf der Kippe sehen und eher als einen lokalen Abwehrerfolg betrachten würden.

Größere Angriffsversuche der ukrainischen Streitkräfte gibt es offenbar auch im südlichen Saporischschja. Der von Russland eingesetzte Chef der Militärverwaltung Wladimir Rogow sagte der russischen Staatsagentur TASS, die Intensität der Angriffe hätten am Montagmorgen dort noch einmal zugenommen. „Die Lage ist alarmierend“, sagte er. Nachdem die Ukraine 400 Meter zurückerobert habe, hätte man die Truppen zurückdrängen können. „Eine Schlacht ist im Gange“, sagte Rogow. Seit einigen Tagen sucht die Ukraine entlang der gesamten Frontlinie nach Schwachstellen in den russischen Verteidigungsstellungen. Es kommt beinahe überall zu Sondierungsangriffen.

Kleinere Vorstöße beobachtet Experten Reisner neben Saporischschja auch in Marinka, Awdijiwka und Wuhledar. Durchschlagende Erfolge seien aber bisher ausgeblieben. „Es tut sich etwas an der Südfront, aber schon jetzt von der großen Offensive zu sprechen, wäre noch zu früh“, sagt Reisner. Die Kämpfe finden laut dem österreichischen Oberst ohnehin erst an den Gefechtsvorposten statt, noch nicht an den gut ausgebauten Hauptstellungslinien mit Minenfeldern, Drachenzähnen und Panzergräben. „Das ist noch alles Vorgeplänkel“, sagte er dem RND. Die vom Westen gelieferten Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 oder Challenger sind bisher auch noch nicht auf verifizierten Videos von der Front aufgetaucht.

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