Sorgen ums KindEltern haben seit Corona viele Ängste – wie können sie damit umgehen?

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Mutter umarmt ihr Kind.

Elternsorgen sind mit der Pandemie noch vielfältiger geworden.

Sorgen um ihre Kinder machen sich Eltern sowieso. Sie haben Angst, dass es sich verletzt, es gemobbt wird oder keine Freunde findet. Seit Corona kommen nochmal neue Ungewissheiten dazu: Steckt sich das Kind doch noch an? Wird diese Pandemie psychische Spuren bei ihm hinterlassen? Kommt es in der Klasse noch mit? Elternbloggerin und Kommunikationstrainerin Jeannine Mik hat mit „Keine Angst, Mama!“ (mit Sandra Teml-Jetter) ein Buch über Elternängste geschrieben und gibt Tipps, wie man aus der täglichen Angstspirale wieder heraus kommt.

In der Corona-Zeit haben viele Eltern Angst, dass ihr Kind sich ansteckt, psychisch leidet oder in der Schule abgehängt wird. Wie kann man mit solchen Ängsten umgehen?

Jeannine Mik: Es ist gerade eine herausfordernde Zeit. Routinen haben sich verändert, vieles ist ungewiss. Es gibt Dinge, die zurecht ängstigen können. Und das hat Einfluss auf uns und unsere Kinder. Entscheidend ist, dass Eltern mit der Situation umgehen, die jetzt gerade ist. Und die Frage, ob das Kind psychische Schäden aus der Pandemie davon trägt, lässt sich nicht beantworten. Wenn sich Eltern Sorgen machen, wie ihr Kind das alles übersteht, sind sie gedanklich nicht mehr im Jetzt, sondern in der Zukunft. Und über die haben sie keine Gestaltungsmacht. Eltern können aber schauen, was sie in dem Moment am Kind beobachten. Und schauen, was sie jetzt machen können. Nur im Hier kann man aktiv etwas tun.

Das Gleiche gilt auch bei der Frage, ob man im letzten Jahr beim Begleiten der Kinder versagt hat. Mütter und Väter können sich damit befassen, was alles schiefgelaufen ist und hadern, was sie hätten besser machen können, aber das geht wieder am Jetzt vorbei, denn es ist nun einmal nicht mehr zu ändern. Aber in den 20 Sekunden, in denen sie das denken, steht vielleicht ein Kind vor ihnen, das mit ihnen spielen will. Und jetzt können sie da sein. Und ihr Bestes geben.

Aktion hilft gegen Angst?

Ja. Denn auch wenn das Leben sehr herausfordernd ist, bringt es nichts, in einer Abwehrhaltung zu bleiben. Man sollte den Fokus nicht auf die Defizite legen, sondern immer in einer Art Tun bleiben. Statt in der Opferrolle stillzustehen, sich überwältigt und ausgeliefert zu fühlen, ist es bei Ängsten sehr wichtig, zu schauen, was in der eigenen Macht liegt und was man doch tun kann. Auch in einer unangenehmen Grundsituation kann man gestalten. Und dabei gerne auch mal die Kinder miteinbeziehen: „Das ist gerade ganz schön viel alles, nicht wahr? Was können wir denn tun, damit es uns besser geht, hast du Ideen?“

Die Kinder können ruhig merken, dass auch Erwachsene unsicher sind?

Auch Eltern müssen nicht immer wissen, wo es hingeht. Und sie dürfen durchaus thematisieren und benennen, was sie fühlen und das dem Kind kommunizieren: „Keine Ahnung was los ist, ich kann die Lage auch schwer einzuschätzen. Aber wir werden das gemeinsam schaffen, Schatz.“ Eltern sollten dem Kind signalisieren, dass sie gemeinsam das Beste daraus machen. Wichtig ist immer, welche Haltung die Erwachsenen haben. Erzählen sie etwas, nur um die Kinder zu beruhigen oder versuchen sie das, was sie selbst fühlen, für ihr Kind einzuordnen? Kinder bekommen mit, wenn Eltern unsicher sind und das abtun und ein „alles ist gut“ vorgaukeln. Sie spüren, wie es uns wirklich geht.

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Wie ist es, wenn plötzlich eine Angst machende Situation entsteht, man zum Beispiel einen positiven Corona-Test in der Hand hält?

Eltern können auch in so einer Situation zeigen, wie es ihnen geht. Selbst, wenn sie nicht wissen, was sie als nächstes tun sollen. Sie könnten das so mitteilen: „Ich brauche jetzt erstmal eine Minute, um das für mich einzuordnen.“

Die Angst und die Ratlosigkeit gehören einfach dazu?

Genau. Mir ging es vor ein paar Wochen selbst so. Meine jüngere Tochter hatte ganz plötzlich einen Ausschlag am Auge. Und ich habe gemerkt, wie ich in eine Sorgenspirale abgedriftet bin und uns schon mit schwer atmenden Kind im Krankenhaus gesehen habe. Das passiert vielen Menschen. Aber wenn ich mich auf das Jetzt besinne, dann sehe ich einen komischen Ausschlag und sonst ist eigentlich alles gut. Wenn ich merke, dass es mehr wird, werde ich einen Arzt aufsuchen. Es geht darum, was jetzt zu tun ist. Wenn ich dagegen gedanklich abdrifte, dann bin ich weder fürs Kind noch für mich präsent. Im Buch nutzen wir dafür einen Satz, den meine Co-Autorin Sandra Teml-Jetter aus ihrer Kindergartenzeit kennt und im Heute verwendet, um ihren Zustand zu benennen und auch für andere greifbar zu machen: Man ist dann in den Brunnen gefallen.

Und wenn man jetzt in den Brunnen fällt und es nicht mehr schafft, hochzuklettern, dann muss man an jemanden anderen übergeben, der sich ums Kind kümmert?

Buchtipp

Der erste Schritt wäre zu sagen: Uff, ich bin unten im Brunnen! Erst wenn einem bewusst ist, dass man überfordert ist oder Angst hat, kann man auch abgeben. Wenn Kinder in den Brunnen fallen, dann helfen wir ihnen dabei, herauszukommen. Die müssen das noch nicht selbst können. Erwachsene müssen das mit sich selbst ausmachen, wenn es um Ängste geht. Oder sich aktiv Hilfe suchen. Wenn ein anderer Erwachsener seine Hand ausstreckt, dann dürfen wir die nehmen. Aber unsere Kinder brauchen die Gewissheit, dass wir Großen das schon schaffen. Dieser Ansatz ist ich-zentriert, aber das ist auch gut, denn dann können sich die Kinder entspannen und haben nicht das Gefühl, sich um die Eltern kümmern zu müssen.

Was könnte den Erwachsenen helfen, besser mit den Ängsten umzugehen?

Dafür haben wir viele Beispiele und Übungen in unserem neuen Buch. Jeder muss schauen, was ihm oder ihr gut tut. Bei irrationalen Sorgen, die immer wieder kehren, kann es helfen zu fragen: Wie oft hatte ich denn schon Recht mit meiner Angst, wie oft war sie begründet? Man kann sich auf seine Erfahrung beziehen. In Bezug auf eine Ansteckung könnten Eltern sich auch zunächst objektiv fragen: Wie gefährlich ist dieses Virus für ein Kind? Andere schreiben ihre Gedanken und Ängste in einem Tagebuch nieder und bekommen dadurch etwas Abstand. Hilfreich ist auch, sich rechtzeitig Rat und Unterstützung zu holen, bei Freunden, Familie, bei einem Coach oder Therapeuten.

Manchmal ist es auch gut, die Angst einfach auszuhalten. Das Leben ist eben manchmal unangenehm, schwierig und traurig. Das ist normal. Wenn man die Angst nicht haben will, ist sie ja trotzdem da. Das gilt auch bei Kindern: Wenn sie abends im Bett Angst haben, erwidern Eltern schnell, dass es keinen Grund gäbe, Angst zu haben. Die Gefühle unserer Kinder sollten wir aber weder negieren, noch dramatisch aufplustern. Vielleicht wäre es auch einmal gut, zu sagen: „Ja, dann ist die Angst jetzt eben da. Komm, wir sitzen mit ihr.“ Der Vater oder die Mutter begleiten das Kind natürlich in dem Moment.

Wie sehr prägen uns eigentlich die Ängste unserer Eltern?

Es gibt viele verschiedene Gründe für Ängste, oft ist es ein Zusammenspiel verschiedener Dinge. Aber ein Großteil ist „anerzogen“. Es hat etwas zu tun mit unseren Erfahrungen in der frühesten Kindheit, dem „Familiennormal“ aus dem man kommt und den Alltagsängsten, mit denen man groß geworden ist und an die man sich angepasst hat. Das schränkt viele Menschen auch als Erwachsene noch ein und hindert sie daran, auf die Weise zu leben, die ihnen eigentlich wahrhaftig entsprechen würde. Dann kann es sein, dass wir Panikattacken, Verspannungen und chronische Schmerzen bekommen oder auch unsere Kinder einschränken, manchmal ohne dass es uns auffällt. Wir geben unser erlerntes „Normal“ weiter. Hier braucht es ein mutiges Hinsehen und Verändern.

Meistens ist der Grund für die Furcht ein alter. Irgendwann hat es vielleicht Sinn ergeben, sich zu fürchten oder es gab einen Auslöser für die Angst. Ein Beispiel: Ich kenne eine Frau, bei der in der Kindheit immer alles desinfiziert wurde. Jetzt ist sie selbst Mutter und übt sich täglich darin, ihr Kind auch mal dreckig werden zu lassen, weil sie weiß, dass es wichtig ist für Kinder. Für sie ist es alles andere als leicht, doch sie hat sich entschieden, dass sie dahin kommen möchte, das auszuhalten. Sie macht das mit sich selbst aus.

Man kann üben, das Kind trotz Angst loszulassen?

Ja. Es sollte natürlich in einem vernünftigen Rahmen passieren. Und es kann helfen, mit anderen Eltern zu sprechen und zu schauen, wie andere das machen. Es gibt jedoch auch persönliche Grenzen, über die man nicht hinaus kann. Dann ist es auch in Ordnung, Dinge zu verbieten und vielleicht zum Kind zu sagen: „Tut mir leid, ich kann dich das nicht tun lassen. Ich weiß du kannst das. Aber ich habe zu viel Angst.“ Wichtig ist, dem Kind zu sagen, dass es sich um eine persönliche Angstgrenze des Elternteils handelt.

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