Mitten in BerlinWie sich das Leben in einer deutsch-israelischen Familie anfühlt

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Leben in Berlin: Kirsten Grieshaber mit ihrem Mann Eran und den beiden Kindern Miri und Ari.

  • Die Journalistin Kirsten Grieshaber hat ein Buch über ihre deutsch-israelische Familie geschrieben.
  • Zwischen Chanukka-Kerzen und Christbaumlichtern kommt es immer wieder zu skurrilen Szene im Familienalltag.
  • Doch die Familie hat auch mitten in Berlin mit antisemitischen Bedrohungen zu kämpfen.

Berlin – Bei ihrer ersten Begegnung sprechen sie über den Holocaust: Kirsten und Eran, die Deutsche und der Israeli. „Ihr Deutschen habt uns nicht gerade nett behandelt im letzten Jahrhundert“, sagt Eran zu Kirsten. Beide studieren damals im Jahr 2000 an der Journalistenschule der Columbia University in New York. Zuerst will Kirsten „reflexhaft deutsch und entschuldigend“ reagieren. Dann bemerkt sie, dass Eran mit ihr flirtet. „Der Holocaust als Pick-Up-Line, das war mir bislang auch noch nicht passiert.“

Es gibt verheißungsvollere Anfänge für eine Beziehung, aber die beiden werden Freunde, dann ein Liebespaar. Als sie als Journalisten in Berlin arbeiten, verliebt Eran sich in Kirsten mit den „blauen Kulleraugen und blonden Locken“ und Kirsten in Erans „Seeräubergesicht“. Es ist der Anfang einer bunten Liebesgeschichte, die immer wieder auf die Probe gestellt wird, aber allen Widerständen trotzt. Bis heute.

Zwischen Chanukka-Kerzen und Christbaumlichtern

Kirsten Grieshaber, Deutschlandkorrespondentin der internationalen Nachrichtenagentur Associated Press, und ihr Mann Eran leben nun seit zwölf Jahren in Berlin und haben zwei Kinder. Über ihren Familienalltag zwischen Chanukka-Kerzen und Christbaumlichtern hat Grieshaber kürzlich ein Buch veröffentlicht, wobei sie einige Namen und Eckdaten zur Wahrung der Personenrechte geändert hat. In „Willkommen im Café Zahav. Meine israelische Mischpoke und ich“ erzählt die Journalistin, die in einem Vorort von Düsseldorf aufgewachsen ist, aus dem „Leben einer ganz normalen deutsch-israelischen Familie“.

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Bei der ersten Begegnung sprachen sie über den Holocaust: Kirsten Grieshaber und ihr Mann Eran.

Das Balancieren zwischen den Kulturen ist für sie nicht immer einfach, aber meistens doch sehr bereichernd: Grieshabers Kinder, die elfjährige Miri und der siebenjährige Ari, feiern begeistert Ostern und Pessach, Weihnachten und das Lichterfest Chanukka, Karneval und Purim, die jüdische Version des Faschings. Dabei kommt es immer wieder zu unwillkürlich lustigen Szenen: Wenn Grieshabers Mann der Schwiegermutter bei den Weihnachtsvorbereitungen hilft – und fast von der Nordmanntanne erschlagen wird. „Eran liegt unterm Weihnachtsbaum“, kreischte sie. Der Satz ist mittlerweile in die Familienannalen eingegangen.“

Ein Rabbi will Grieshaber auf der Stelle konvertieren

Doch die bi-kulturelle Familie sorgt in ihrem Umfeld auch für Irritationen: An einem gemütlichen Abend sitzen sie im Berliner Bistro ihres Mannes, dem Café Zahav, nach dem das Buch benannt ist und das Eran neben seiner Tätigkeit als Journalist sieben Jahre führte. Da tritt ein Rabbi ein und beobachtet sie argwöhnisch: Eran und Kirsten, die sich einen Teller warmen Humus teilen, Sohn Ari mit den blonden Locken, Tochter Miri mit dunklen glatten Haaren. „Es gefällt ihm ganz offensichtlich nicht, dass Eran mit einer Schickse, so die abwertende Bezeichnung einer Nichtjüdin, verheiratet ist“, schreibt die 47-Jährige, die sich als „ungetauftes Heidenkind katholischer Eltern“ sehr wohl fühlt. Ausnahmsweise wolle er die strengen Übertrittsregeln zum Judentum ignorieren und sie mit ein paar Segenssprüchen auf der Stelle konvertieren, so der Rabbi. Auch nachdem sie mehrfach ablehnt, baut er sich vor ihr auf und beginnt, auf Hebräisch zu singen – bis ihr Mann ihn schließlich rausschmeißt.

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Zu Besuch in Israel: Kirsten Grieshabers Mann und ihre beiden Kinder am Strand von Tel Aviv.

Auch in Erans israelischer Familie sind nicht alle begeistert von der „Nicht-Jüdin“ an Erans Seite. Während seine Mutter ihre Vorurteile über Bord wirft und sie schnell ins Herz schließt, bricht seine orthodox-lebende Schwester Yael den Kontakt zu ihnen ab. Grieshabers Mann, der Familienmensch, ist tief getroffen, sie selbst erschüttert: „Dass man mich wegen meiner Herkunft und Andersartigkeit diskriminierte, war für mich eine ganz neue Erfahrung.“

Der Israeli verschmäht das koschere Lamm

Die kulturellen Unterschiede werden auch beim Besuch von Grieshabers Familie in der Nähe von Düsseldorf offenbar: Die Eltern, beide Wissenschaftler, wollen alles richtig machen und servieren eine „koschere Lammkeule“, die Eran aber verschmäht, weil er kein Lamm mag. Grieshabers Eltern sind enttäuscht. Zum Frühstück isst er dafür gleich zwei Eier, obwohl für jeden nur eins vorgesehen war. „Eran frühstückt einfach wie es die Israelis tun. Von allem wird bei jedem Essen mindestens die dreifache Menge serviert, für vier Personen gibt es also mindestens zwölf Eier.“

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An der Klagemauer in Jerusalem: Kirsten Grieshabers Mann Eran, ihre Tochter Miri und ihr Sohn Ari.

Beim Besuch einer katholischen Hochzeitsfeier bei Verwandten in Bayern am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur wird es Eran zu viel, als er in der Kirche unter einer riesigen leidenden Jesusfigur Platz nehmen muss. „‘Bei aller Liebe für deine Familie‘, schnaufte er. ‚Aber muss ich an Jom Kippur wirklich unter einem blutenden Jesus sitzen? Gleich erzählt der Pfarrer wahrscheinlich noch, dass wir Juden euren Jesus ermordet haben!“

Konflikt um die Beschneidung des Sohnes

Hin und wieder kommt es auch innerhalb ihrer Beziehung zu Konflikten. Der vielleicht größte bahnt sich mit der Geburt ihres Sohnes Ari an, den Eran beschneiden lassen will. „‘Gerade weil wir hier in der Diaspora leben, ist es wichtig, dass Ari sich jüdisch fühlt, und dazu gehört nun mal auch die Beschneidung‘“, argumentiert er. Doch Grieshaber ist skeptisch und will ihren Sohn vor dem Eingriff bewahren.

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Sogar ihre Schwiegermutter mischt sich ein und will den Enkel während eines Familienurlaubs in Israel beschneiden lassen. „Dana war hin und weg von ihrem Enkelsohn. Nur dieser kleine Makel, der unbeschnittene Schniedel, der störte sie gewaltig.“ Zwar kann die Großmutter sich nicht durchsetzen, aber das Thema ist noch nicht vom Tisch. Als Grieshaber widerstrebend beim Jüdischen Krankenhaus anruft, um einen Termin zu machen, erfährt sie, dass ihr Sohn mindestens zwei Jahre alt sein müsse und der Eingriff nur unter Vollnarkose gemacht werde. „Inzwischen ist Ari sechs Jahre alt. Er hat noch immer seine Vorhaut. Mein Mann mag weder Krankenhäuser noch Narkosen. Und ich habe die Beschneidung nie wieder angeschnitten.“

Sogar in Berlin wird die Familie bedroht

Auch wenn Grieshaber den „Culture Clash“ immer wieder humorvoll beschreibt, wird sie ernst, wenn es um rassistische und antisemitische Anfeindungen geht. „Als anständiges Professorentöchterchen wurde ich früher in Deutschland nie persönlich mit Rassismus konfrontiert. Das änderte sich schlagartig, als ich mit Eran zusammenkam.“ Ihre Familie gerät in Gefahr. Immer wieder. Weil Erans Haut dunkel ist. Weil er Jude ist. Und Kirsten mit einem Juden zusammen ist. Und das in Deutschland, dem Land der Täter.

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Nach  bedrohlichen Zusammentreffen mit Neonazis auf Usedom und in Brandenburg, meidet die Familie Ausflüge in die ostdeutsche Provinz. Sogar in Berlin, der vermeintlich tolerantesten Stadt der Bundesrepublik, werden sie bedroht. Zum Jahrestag der Progromnacht 1938, als in ganz Deutschland Anschläge auf Juden verübt wurden, hatte eine rechtsextreme Gruppe auf Facebook unter der Überschrift ‚Juden unter uns!‘ einen Stadtplan von Berlin veröffentlicht, auf dem siebzig Adressen von jüdischen Einrichtungen aufgelistet waren. Auch das Bistro von Grieshabers Mann ist darunter.

Polizeischutz als Routine

„Ich fühlte mich einfach nur kraftlos“, schreibt Grieshaber. „Würde das denn niemals aufhören? Wurde eigentlich alles nur noch schlimmer?“ Polizisten fahren vermehrt Streife vor Erans Café. Der Polizeischutz kommt Grieshaber schon wie eine „traurige Routine“ vor, die zuletzt während des Gaza-Krieges, als arabische Demonstranten „Juden ins Gas“ skandierten, nötig war. Sie ist verunsicherter als ihr Mann, der seit jeher mit der Diskriminierung lebt. „‘Wir Juden werden schon seit Jahrhunderten verfolgt, das wird sich nie ändern‘“, erklärt er. „‘Ich lasse mich nicht einschüchtern und verstecke mich vor niemandem.‘“

Doch als ein älterer Deutscher ihm in Berlin Pfefferspray in die Augen sprüht, nachdem er erfahren hat, dass Eran Jude ist, ist auch ihr Mann geschockt. „Zum Glück hatte Eran keine bleibenden Schäden an den Augen“, schreibt die Autorin. „Seine Seele haben sie im Krankenhaus nicht untersucht.“

Jüdisch oder christlich?

Es sind solche Szenen in Grieshabers Buch, die den Leser sehr traurig stimmen. Doch dann sind da auch die vielen anderen, die Hoffnung machen, dass es in Zukunft wieder mehr jüdisches Leben in Deutschland geben kann. Zum Beispiel als Eran in seinem israelischen Bistro in Berlin Chanukka feiert und glücklich seine Gäste, Deutsche und Israelis, Gourmets, Hipster und Latte-Macchiatto-Mütter beobachtet, wie sie ihre koscheren Krapfen „Sufganiot“ verspeisen. Oder wenn Grieshabers Tochter auf die Frage, ob sie sich jüdisch oder christlich, israelisch oder deutsch fühle, erklärt: „Ich bin einfach nur Miri“ – und „natürlich Berlinerin“.

Zum Weiterlesen: Kirsten Grieshaber: Willkommen im Café Zahav, Meine israelische Mischpoke und ich. Bastei Lübbe, 238 Seiten, 10 Euro.

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