Kölner Psychologin erklärtWie kann ich mit meinen Kindern über Krieg und Terrorismus sprechen?

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Titelbild des neuen Kinderbuchs „Wann ist endlich Frieden?“ von Elisabeth Raffauf.

Für ihr Kinderbuch hat Elisabeth Raffauf auch mit geflüchteten Kindern gesprochen

Die Nachrichten aus Nahost sind schockierend. Warum es nichts bringt, Kinder davon abzuschirmen, erklärt die Psychologin Elisabeth Raffauf.

Die Kölner Psychologin Elisabeth Raffauf ist eine gefragte Expertin, wenn es darum geht, wie man mit Kindern auch über schwierige Themen sprechen kann. Nun hat sie ihr erstes Kinderbuch mit dem Titel „Wann ist endlich Frieden?“ veröffentlicht, zusammen mit dem Illustrator Günther Jakobs. Es soll Kindern altersgerecht Krieg, Gewalt und Flucht erklären, handelt von Versöhnung und Frieden. Das Buch erschien nur wenige Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel.  

Frau Raffauf, warum haben Sie sich dazu entschieden, ein Kinderbuch über Krieg und Frieden zu schreiben?

Das erste Mal darüber nachgedacht habe ich nach Beginn des Ukrainekriegs, also vor etwa anderthalb Jahren. In dieser Zeit habe ich sehr viele Anfragen bekommen, wie man mit Kindern über Krieg sprechen sollte.

Nun hat Ihr Buch in diesen Tagen durch den Angriff der Hamas auf Israel nochmal eine neue Aktualität bekommen.

Ja, auch wenn das sehr bitter ist. Das Buch behandelt sogar das Thema Terrorismus. Es hilft Kindern, wenn wir sie darin unterstützen, Worte für das zu finden, was sie mitbekommen und was sie empfinden.

Die Psychologin Elisabeth Raffauf im Porträt.

Elisabeth Raffauf ist Diplom-Psychologin und arbeitet in freier Praxis in Köln. Sie ist unter anderem für den WDR und die Kindernachrichtensendung „Logo“ tätig, für den Kölner Stadt-Anzeiger schreibt sie die Ratgeber-Kolumne „In Sachen Liebe“.

Dabei sind die Informationen über das Ausmaß der Gewalt so erschütternd, dass viele Eltern ihre Kinder vermutlich eher davor schützen möchten. Finden Sie diesen Impuls falsch?

Ich kann diesen Impuls auf jeden Fall verstehen. Die Nachrichten, die uns aus der Region erreichen, sind ja auch für Erwachsene kaum auszuhalten. Aber gleichzeitig halte ich es für eine unrealistische Strategie, die Kinder abzuschirmen. Sie bekommen alles mit, was passiert, das können wir als Erwachsene gar nicht verhindern. Selbst wenn sie noch klein sind und keine Nachrichten schauen, spüren sie die Aufregung und die Unruhe in den Gesprächen der Eltern. Deswegen hilft es auch nicht, zu sagen „Da ist ja nichts.“ Das verunsichert die Kinder, denn sie denken dann, dass mit ihren Gefühlen etwas nicht stimmt, weil die Erwachsenen das ja so sagen und sie gleichzeitig aber etwas anderes wahrnehmen.

Sie verhandeln in Ihrem Kinderbuch Fragen, die schon für Erwachsene sehr kompliziert sind. Zum Beispiel, warum Menschen andere Menschen erschießen, oder warum sie zu Terroristen werden.

Das stimmt. Und Eltern können auf solche Fragen auch ganz offen antworten: Ich verstehe selbst nicht, warum jemand so etwas Entsetzliches tut. Oder: Ich finde das auch ganz schrecklich. Es ist absolut okay, die eigene Unsicherheit zuzugeben, weil die Kinder sie sowieso spüren und gleichzeitig bekommen sie die Nachricht, dass Angst an der Stelle ein angemessenes Gefühl ist. Eltern sollten Kindern nur nicht zusätzlich Angst machen. Und ihre eigenen Ängste mit erwachsenen Freunden besprechen.

Stellen sich Kinder solche Fragen überhaupt?

Die Fragen in meinem Buch sind alle von Kindern so gestellt worden, ich habe mir keine davon ausgedacht. Einige kommen aus dem Kinderfernsehen oder dem Kinderradio. Und ich habe mit Erzieherinnen aus Kitas und mit Kindern selbst gesprochen.

Was sollten Eltern also antworten, wenn das Kind nach Hause kommt und fragt: Mama, was ist die Hamas?

Das kommt auf das Alter an. Man kann auch kleinen Kindern erklären, dass die Hamas eine Terror-Gruppe ist, die Angst und Schrecken verbreiten möchte, um ihren Willen durchzusetzen. Bei Älteren können die Eltern auch sagen: Ich weiß es selbst gar nicht so genau, lass uns das doch gemeinsam herausfinden und etwas über die Hamas im Internet nachlesen. Die Hauptfrage, die viele Kinder sich stellen, lautet: Warum machen Menschen so etwas? Und dafür gibt es mehrere Erklärungen. Man könnte seinen Kindern zum Beispiel erzählen, dass diese Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit selbst mit Gewalt groß geworden sind. Dass sie möglicherweise nicht gelernt haben, ihre Interessen mit Worten oder Verhandlungen durchzusetzen. Und wenn die Kinder mehr wissen möchten, können Eltern auch noch weitere Aspekte erklären: Was will die Hamas eigentlich? Warum gibt es so etwas wie religiös motivierte Kriege? Warum wollen Terroristen erzwingen, dass andere genau so denken wie sie? Warum sagen sie: Dieses Land gehört uns, und wir setzen das mit Gewalt durch? Kinder werden zu allen diesen Themen ihre eigenen Gedanken haben. Und so kommen Eltern mit ihnen ins Gespräch. Es kann auch sein, dass die Kinder nur eine Frage haben, auf die sie eine Antwort möchten und dann ist es erstmal gut. Also: Wir müssen auch keine Vorträge halten.

Auszug aus dem Kinderbuch „Wann ist endlich Frieden?“

Die Fragen in dem Buch haben Kinder genau so gestellt

Jetzt sprechen Kinder über solche Themen ja nicht nur mit ihren Eltern, sondern sie reden auch untereinander. Und so finden die weltweiten Konflikte ihren Weg auf den Schulhof. Zum Beispiel dann, wenn Kinder streiten, weil die eine Verwandte in der Ukraine und der andere Verwandte in Russland hat. Wie stärke ich Kinder, um mit solchen Situationen umzugehen?

Das ist nicht einfach. Besonders, wenn sich zwei Kinder aus verfeindeten Ländern streiten und ein drittes ist mit beiden gut befreundet, hat also das Gefühl, dazwischen zu stehen. Vielleicht können sie ihr Kind ermutigen, nachzufragen: „Seid ihr denn beide für Frieden? Dann habt ihr etwas gemeinsam.“ Die allermeisten Menschen wünschen sich Frieden. Sie können Ihr Kind auch ermutigen, vielleicht gemeinsam mit anderen Kindern, der Lehrerin vorzuschlagen, in der Klasse darüber zu sprechen.

Nun haben wir in den vergangenen Tagen immer wieder von besorgten Lehrerinnen und Lehrern gehört, die kaum wissen, wie sie der aufgeheizten Stimmung unter Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft begegnen sollen. Es geht nicht nur um Streit, sondern um Gewaltverherrlichung und Antisemitismus.

Ja, und damit ist ein Punkt erreicht, an dem Kinder, die das mitbekommen, unter Umständen Unterstützung von Erwachsenen brauchen. Und auch das Vertrauen, dass sie zu ihren Lehrerinnen und Lehrern hingehen können, um nach Rat zu fragen, was sie tun können. Das können Kinder nicht allein lösen.

Wie bewahre ich ein Kind davor, selbst Hass anheim zu fallen?

Gefühle von Hass, Wut oder Aggression kennen alle Menschen. Es geht also nicht darum, Kindern zu vermitteln, dass sie diese Gefühle nicht haben dürfen. Sondern ihnen in Kindergärten und Schulen den notwendigen Raum zu geben, diese Gefühle zu verarbeiten, ohne anderen zu schaden. Das kann tatsächlich ein richtiger Tobe-Raum sein, wo Kinder hingehen können, wenn sie sauer sind. Genauso wichtig ist es, Kinder darin zu unterstützen, über diese Gefühle zu sprechen, ohne verletzend oder beleidigend zu werden.

Wie sollten Eltern reagieren, wenn sie Hassbotschaften oder Propaganda-Videos auf dem Smartphone ihrer Kinder finden?

Das Wichtigste im Umgang mit dem Smartphone ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern. Wenn Kinder kommen und erzählen, sie hätten da so ein schlimmes Video geschickt bekommen, tun sie das, wenn sie wissen, dass die Eltern dann ruhig bleiben. Eltern können erklären, dass man so schreckliche Bilder nur ganz schwer aus dem Kopf bekommt. Und dass die Kinder solche Videos nicht zu Ende schauen sollten. Sie können solche Inhalte auch gemeinsam mit ihren Kindern melden, unter anderem bei jugendschutz.net.

In Ihrem Buch kommen viele Kinder zu Wort, die aus Afghanistan, Syrien oder der Ukraine geflüchtet sind. Warum war Ihnen das so wichtig?

Na ja, um die geht es doch! Diese Kinder haben Krieg und Flucht erlebt. Ich wollte nicht über, sondern mit ihnen sprechen. Zu begreifen, was diese Kinder erlebt und welche Wünsche und Hoffnungen sie haben, das ist für mich der Kern meines Buches. Diese Kinder haben sich ihre Flucht nicht ausgesucht, sie mussten fliehen. Und die meisten möchten wieder nach Hause. Wir hier in Deutschland sind Zuschauerinnen und Zuschauer, wenn es um Kriege geht. Und wir brauchen diesen Perspektivwechsel, um zu verstehen.

Inwiefern?

Eines dieser Kinder hat beispielsweise gesagt: „Frieden bedeutet für mich Glück.“ Und das ist möglicherweise ein Gedanke, den viele Menschen hier noch nie hatten. Weil Frieden etwas ganz Selbstverständliches ist. Ein anderer Jugendlicher sagt: „Es ist so schön, dass ich hier zur Schule gehen kann, ohne Angst vor Bomben oder Entführungen.“ Wie groß der Wert von so etwas für Kinder und junge Menschen ist, erfahren wir ja nur, wenn wir sie fragen.

Das heißt, auch Erwachsene können von Ihrem Kinderbuch etwas lernen?

Auf jeden Fall.

Elisabeth Raffauf, Günther Jakobs: „Wann ist endlich Frieden? Antworten auf Kinderfragen zu Krieg, Gewalt, Flucht und Versöhnung“ Sauerländer, 45 Seiten, 16 Euro, ab sieben Jahren

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