Botox-Behandlung in der Shopping-Pause„Früher durfte es nicht mal der Mann wissen, heute ist es Lifestyle“

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Arzt Marlon Drüe in den Räumen von Docboom in der Mittelstraße in Köln.

Marlon Drüe ist behandelnder Arzt bei Docboom. In der Praxis in der Mittelstraße macht er unter anderem Unterspritzungen mit Botox und Hyaluronsäure.

Beauty-Behandlungen scheinen heute so normal zu sein wie ein Besuch beim Friseur. Dafür sorgen neue Läden wie „Docboom“ mitten in Köln.

„Hast du was machen lassen?“ Diese Frage wurde noch bis vor Kurzem meist nicht wahrheitsgemäß beantwortet. Viel Schlaf und viel Wasser sollten die Gründe für pralle, straffe Haut sein. Heute sagen Menschen viel selbstverständlicher, dass sie sich Falten wegspritzen lassen. Die Prozedur ist denkbar einfach geworden. Eine Behandlung mit Botox kann in Köln mittlerweile ganz selbstverständlich in die Shopping-Tour integriert werden. Ein Trend, der auch Kritik hervorruft. 

Botox in der Mittagspause

Seit Oktober 2022 gibt es den Laden Docboom an der Kölner Mittelstraße. Die Tür steht offen, wer hereinkommt, wird von Cansu Cetinkaya in einem stylischen Ambiente in Creme- und Rosa-Tönen empfangen.

Die Arzthelferin Cansu Cugali im Foyer bei Docboom.

Cansu Cetinkaya empfängt die Kundinnen und Kundinnen bei Docboom – auch ohne Termin.

Ein Termin ist nicht unbedingt nötig, auch spontane Besuche sind willkommen. Wer will, kann sich hier in der Mittagspause Botox oder Hyaluronsäure spritzen lassen, das dauert nur etwa 15 Minuten. Auch einige Haar-Behandlungen, Lifting und die sogenannte Fett-weg-Spritze werden angeboten. Details und Preise sind detailliert und transparent auf der Firmenhomepage gelistet. Eine Botox-Behandlung für Stirn- oder Zornesfalten ist ab 189 Euro zu haben, vollere Lippen dank „Lipflip“ gibt es ab 149 Euro. Die meisten Behandlungen müssen alle paar Monate wiederholt werden.

„Unser Ziel ist es, dass die Kunden eine für sich positivere Ausstrahlung bekommen. Ein Trend ist auf jeden Fall das sogenannte Well Ageing. Alles soll möglichst natürlich sein und die Harmonie muss stimmen“, erklärt Marlon Drüe. Der Arzt führt mit seiner Kollegin Tatjana Mojeiko die Behandlungen in den Räumen im Obergeschoss durch. „Die richtige Beratung ist mir sehr wichtig, wir machen auch immer Vorher- und Nachher-Fotos, damit die Kunden ein realistisches Bild von ihrem Aussehen haben. Das ist vor allem bei den jungen Kunden wichtig, damit die nicht mit 35 total überspritzt sind“, erzählt er. Er selbst, 30 Jahre alt, hat auch schon Filler unter der Haut. „Die Hemmschwelle sinkt auf jeden Fall, wenn man hier arbeitet“, sagt er.

Arzt Marlon Drüe von Docboom steht hinter einem Ringlicht.

Hinter diesem Ringlicht werden bei jeder Behandlung Vorher- und Nachher-Fotos gemacht, hier ist der Arzt Marlon Drüe zu sehen.

Botox ist die Abkürzung für das Nervengift Botulinumtoxin, das die Gesichtsmuskeln in ausgewählten Arealen lähmt. Spritzt man Botulinumtoxin in den Muskel, zerstört es dort Proteinkomplexe, die für die natürliche Muskelbewegung durch Nervenimpulse verantwortlich sind. Durch diese Reaktion wird auch die Faltenbildung unterbunden. Die Wirkung tritt nach einigen Stunden oder Tagen ein. Wie jedes Medikament kann Botox Nebenwirkungen wie zum Beispiel unerwünschte Lähmungen oder kleine Blutergüsse verursachen, diese verschwinden in der Regel aber von selbst wieder. 

„Zwischen Kosmetiksalon und Schönheitsklinik“

Die Docboom-Filiale in der Mittelstraße ist eine von sieben in ganz Deutschland. Das Konzept haben die Eheleute Filiz und Roald Christoph bereits 2019 in Hamburg mit dem Arzt Bülent Ugurlu entwickelt. Sie wollten ein Angebot „zwischen Kosmetiksalon und Schönheitsklinik“ schaffen, das sich nicht verstecken muss und mit dem Beauty-Eingriffe enttabuisiert werden. Offenbar haben sie damit einen Nerv getroffen, das Geschäft läuft prächtig. Neben Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf und Köln sind drei weitere Filialen in Bremen, Hannover und ein weiterer Shop in Hamburg in Planung. „Pro Jahr wollen wir drei bis fünf neue Praxen eröffnen und bis 2026 zum Marktführer gehören“, erklärt Roald Christoph.

Die Trends: Lippen, Kinn, Augenringe und Nase

Marlon Drüe polstert in Köln vor allem Lippen auf, aber auch Botox-Injektionen im oberen Teil des Gesichts seien „kurz vor dem Urlaub“ äußerst beliebt. Die typische Kundin sei weiblich und zwischen Mitte 20 und 40, manche ließen sich vorbeugend unterspritzen, um Falten gar nicht erst entstehen zu lassen. Insgesamt kämen deutschlandweit vor allem Frauen zur Behandlung. Zu den beliebtesten Eingriffen zählten Lippen auffüllen, Augenringe entfernen sowie Botox für Zornesfalte, Nase und Kinn. Auch Männer kämen immer häufiger und nehmen die genannten Behandlungen in Anspruch. Auch beliebt: Sich die Kinnlinie mit Hyaluronsäure wieder schärfer konturieren zu lassen. „Die Zielgruppe Mann wird über die Jahre auf jeden Fall noch größer werden“, glaubt Christoph. Ab und zu werde Botox auch aus medizinischen Gründen gespritzt, etwa um Migränebeschwerden einzudämmen. Dazu wird es in bestimmte Muskelgruppen in Kopf, Nacken und Schulterbereich injiziert. Auch gegen übermäßiges Schwitzen kann Botox helfen.

Ein Behälter mit verschiedenen Spritzen und Ampullen.

Ein Behälter mit verschiedenen Spritzen und Ampullen.

„Beauty-Eingriffe haben extrem zugenommen“

So wie Marlon Drüe im Kleinen für Köln die Erfahrung gemacht hat, dass sich immer mehr Frauen und Männer ganz selbstverständlich Botox oder Hyaluronsäure zur Verjüngung spritzen lassen, kann Roald Christoph diese Entwicklung deutschlandweit für seine Docboom-Filialen bestätigen. „Beauty-Eingriffe haben in den letzten Jahren extrem zugenommen. Ästhetischen Eingriffe sind viel selbstverständlicher und normaler geworden. Das ist wie zum Friseur zu gehen.“ Er glaubt, dass dabei auch die sozialen Medien eine große Rolle spielen. Früher hätten Influencer eher zurückhaltend auf Werbepartnerschaften reagiert, jetzt sei es völlig normal, für Beauty-Eingriffe zu werben.

Einen enormen Anstieg an Beauty-Eingriffen hat auch Lutz Kleinschmidt festgestellt. Der Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie arbeitet seit 20 Jahren als leitender Arzt in der Parkklinik Schloss Bensberg. Seine Patientinnen und Patienten seien „zwischen 18 und 88 Jahre“ alt und wollten meistens Unterspritzungen machen. Etwa zehn bis zwölf Prozent der Kunden seien Männer, der Rest Frauen. Geheim gehalten würden die Behandlungen schon lange nicht mehr: „Das hat sich total verändert. Früher durfte es keiner wissen, nicht mal der eigene Mann. Manchmal findet man diese Einstellung heute noch bei etwas älteren Patientinnen um die 50. Für die Jüngeren ist das überhaupt kein Thema mehr, sondern einfach Lifestyle.“

Lutz Kleinschmidt, Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie, leitender Arzt Parkklinik Schloss Bensberg

Lutz Kleinschmidt ist Facharzt für plastische und ästhetische Chirurgie und leitender Arzt in der Parkklinik Schloss Bensberg.

„Die Ärzte werden direkt am Patienten angelernt“

Botox to go sieht Kleinschmidt kritisch: „Früher durften nur Fachärzte für plastische Chirurgie oder Dermatologie in Praxen solche Eingriffe durchführen. Heute machen das Menschen, die Medizin studiert haben und mehr nicht. Die Ärzte werden quasi direkt am Patienten angelernt.“ Gefährlich sei das vor allem bei Injektionen mit Hyaluronsäure, hier bestehe für unerfahrene Ärzte die Gefahr, Gewebe und Blutgefäße dauerhaft zu verletzen. „Medizin wird immer mehr zu einem Wirtschaftsbetrieb, ich halte das für unseriös und ethisch sehr zweifelhaft“, sagt Kleinschmidt. Noch schlimmer findet er, dass es inzwischen sogar Do-it-yourself-Anwendungen für zu Hause gebe: „Junge Mädchen kaufen sich Hyaluronsäure und spritzen sie sich selbst.“ Das sei brandgefährlich, denn es gebe keine Möglichkeit mehr gegenzusteuern, wenn etwas schiefgeht.

Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Bilder im Internet

Um diesem gefährlichen Trend beizukommen, fordert Kleinschmidt deshalb genau wie die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie, deren Mitglied er ist, eine Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Bilder im Internet. „Eine Kennzeichnungspflicht ist enorm wichtig, weil sonst Begehrlichkeiten und Eindrücke geweckt werden, was man alles machen kann. Es handelt sich aber um künstliche Intelligenz, das ist keine echte Medizin“, sagt er. 

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