FrühjahrsmüdigkeitWeniger schlafen gegen die Müdigkeit

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60 Prozent der Frauen und 54 Prozent der Männer fühlen sich im Frühling schlapp.

60 Prozent der Frauen und 54 Prozent der Männer fühlen sich im Frühling schlapp.

Die Tage werden wieder länger und wärmer, man sieht Schmetterlinge über blühenden Wiesen tanzen, auf denen knutschende Paare in der Sonne liegen. Keine Frage: Der Frühling ist eine Zeit des Erwachens. Andererseits macht auch jedem Zweiten die Frühjahrsmüdigkeit zu schaffen.

Laut einer Umfrage der Hildesheimer Wickert-Institute leiden 54 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen unter Frühjahrsmüdigkeit. Einer der Hauptgründe: Der Wechsel der Jahreszeit geht ihnen im wahrsten Sinne auf die Nerven – und damit treffen sie auch physiologisch ihren Zustand ziemlich auf den Punkt.

Nervosität nimmt zu

Die Schweizer Chronobiologen Verena Lacoste und Anna Wirz-Justice ermittelten nämlich, dass im Frühjahr die Zahl der Morgenmuffel um die Hälfte zurückgeht, doch dafür auch Nervosität und psychosomatische Beschwerden deutlich zunehmen, was auf einen hohen Erregungszustand des vegetativen Nervensystems schließen lässt. Im Mai und Juni kommt es dann ganz dicke, denn in diese Monate fallen die besonders schweren Phasen einer Depression: In keiner anderen Zeit des Jahres passieren so viele Selbstmorde.

Schilddrüse spielt große Rolle

Neben den Nerven spielt auch die Schilddrüse eine wichtige Rolle im Entstehen der Frühjahrsmüdigkeit. Denn sie arbeitet nach dem Winter weniger als sonst, um den Arbeitsstoffwechsel zurückzufahren. Zum Ausgleich wird der Aufbaustoffwechsel angeregt: Kinder erleben zwischen März und Juni einen regelrechten Wachstumssprung, während Erwachsene ihrer Waage dabei zusehen müssen, wie deren Zeiger erbarmungslos nach rechts driftet. Die Drosselung des Arbeitsstoffwechsels ist eben keine günstige Voraussetzung im Kampf gegen den Speck, den man sich im bewegungsarmen, aber weihnachtsopulenten Winter zugelegt hat.

Zwischen Februar und April werden hierzulande etwa zehn Prozent mehr Kinder geboren als im Jahresdurchschnitt. Was zurückgerechnet bedeutet, dass die „Frühjahrsgefühle“ eigentlich im Hochsommer ihren Höhepunkt finden. War allerdings der Sommer extrem heiß, bleibt der Geburten-Boom im nächsten Frühjahr aus. Denn unter tropischer Hitze erlahmt die Libido des Mitteleuropäers.

Außerdem führt speziell der April mit seinen Wetterkapriolen dazu, dass sich die Hautblutgefäße in ständigem Wechsel weit und eng stellen müssen, was Blutkreislauf und vegetatives Nervensystem belastet und entsprechend müde macht. Ganz zu schweigen davon, dass der vorausgegangene Winter an den Reserven eines Biostoffes gezehrt hat, dessen Bildung von den Sonnenstrahlen abhängt: Vitamin D.

„Nicht nur, dass die Tage im Winter kürzer sind“, erklärt Bernd Uehleke vom Naturheilkunde-Lehrstuhl der Berliner Charité, „durch die wettergemäße Kleidung werden allenfalls noch Gesicht und Hände von der Sonne bestrahlt“. Die Folge: Der Vitamin-D-Pegel geht in den Keller – und damit möglicherweise auch die Stimmung. Denn Wissenschaftler fanden unlängst Vitamin-D-Rezeptoren in genau jenen Hirnregionen, die für das Gedächtnis und die Stimmungslage zuständig sind.

Das hilft gegen die Müdigkeit

So vielfältig die potenziellen Ursachen der Frühjahrsmüdigkeit, so vielfältig die möglichen Gegenmaßnahmen. Hilfreich sind Freiluft- und Ausdauersportarten wie Joggen oder Radfahren. „Und regelmäßige Saunagänge von mindestens einem Mal pro Woche bereiten das Blutgefäßsystem auf die Wetterkapriolen vor“, sagt Bernd Uehleke. Auch Kneippsche Anwendungen können die Anpassungsfähigkeit des Körpers verbessern. Beispielsweise, indem man bei der morgendlichen Dusche den Duschkopf mit dem wechselnd kalten und warmen Wasserstrahl über Arme und Beine zum Herzen hin bewegt.

Nicht zu viel schlafen

Bleibt die Frage, ob man der Müdigkeit nicht einfach durch besonders viel Schlaf beikommen kann. Psychiater Tom Bschor von der Schlosspark-Klinik in Berlin warnt jedoch: „Wer den Schlaf künstlich in die Länge zieht, riskiert, dass er sich noch erschöpfter und abgeschlagener fühlt.“ Außerdem verstärken Schlaf-Überdosierungen die Neigung zur Depression. Nicht umsonst wird – quasi als Umkehrungsstrategie – der Schlafentzug von Psychiatern in der Behandlung von Depressionen eingesetzt.

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