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Senfglas, SMS, Karl KlammerAcht Alltagsdinge, die wir schmerzlich vermissen

Lesezeit 7 Minuten
Eine gelbe Telefonzelle steht am Rande einer Straße.

Der letzte Groschen ist gefallen: Ende Januar werden die letzten Telefonzellen abgeschaltet.

Ende Januar werden die letzten Telefonzellen endgültig eingestellt. Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen. Wir würdigen acht Dinge, die wir schmerzlich in unserem Alltag vermissen.

Der letzte Groschen ist gefallen, jetzt heißt es Abschied nehmen. Schon im Oktober hat die Telekom die Münzzahlung an ihren Telefonzellen eingestellt. Bis Ende Januar wird dann auch die Zahlfunktion mit Telefonkarte abgeschafft– die Telefonzelle verschwindet nach 142 Jahren aus dem öffentlichen Raum. Und auch wenn das Telefonieren mit dem Smartphone angenehmer ist und wir den technischen Fortschritt begrüßen – es ist das Ende einer Ära, auf die wir mit Wehmut zurückblicken.

Und während wir da so stehen und uns von nostalgischen Erinnerungen treiben lassen, sind uns gleich acht weitere Dinge eingefallen, die aus unserem Alltag verschwunden sind und die wir seitdem schmerzlich vermissen.

Die Büroklammer bei Word

Zugegeben: Das Verhältnis zur Word-Büroklammer lässt sich nur als Hassliebe beschreiben. Denn „Karl Klammer“ (so hieß der Assistent in Deutschland, „Clippy“ in den USA) ging den meisten Word-Anwendern gehörig auf die Nerven. Kaum hatte man ein neues Dokument geöffnet und die ersten Wörter getippt, glotzte einen Karl mit seinen großen Augen von der Seite an und fragte dumme Dinge wie: „Sie wollen wohl einen Brief schreiben. Brauchen Sie Hilfe?“ Nein, danke. Karl Klammer machte digitales Mansplaining groß, bevor es die Kommentarspalte auf Facebook gab. Ungefragt belagerte er Word-Nutzer mit ungebetenen Tipps, Rechthabereien und wenig hilfreichen Ratschlägen. 2008 verbannte Microsoft Karl Klammer endgültig aus seiner Schreibsoftware. Die meisten Word-Nutzer weinten ihm keine Träne nach.

Und doch: Wenn ich heute Word öffnete, etwa um einen Artikel zu schreiben, und dabei einsam auf die weiße Seite starre, erinnere ich mich gern an die Zeiten zurück, als Karl Klammer mit gestrenger Miene über meiner Arbeit wachte. Auch wenn er nervtötend war – immerhin war man nicht allein. Mit Karl konnte ich mich wunderbar herumstreiten und vor der eigentlichen Arbeit drücken. Seit 2021 kursieren Gerüchte, dass Karl Klammer bald wieder sein Comeback feiern könnte. Ich bin dafür! Mittlerweile sind seine Ratschläge bestimmt auch besser geworden. (fho)

Thomy-Senfglas 

Bei meiner Oma gab es zwei Arten von Geschirr. Versteckt im massiven Holzschrank im Wohnzimmer fristete das sogenannte „gute Geschirr“ sein Dasein: filigran geschwungene Tässchen und mit allerlei Stuck verzierte Teller. Das „gute Geschirr“ war für besondere Anlässe reserviert, man bekam es kaum zu Gesicht, allenfalls an Feiertagen oder runden Geburtstagen wurde es feierlich und behutsam ausgepackt. Stattdessen begnügte man sich mit dem Geschirr, das im schlichten Hängeschrank über dem Herd verstaut war. Abgegriffene Teller, ein buntes Sammelsurium von Tassen und – ganz zentral – ein Satz Thomy-Senfgläser.

Mit ihrer bauchigen Form und dem glatten Deckel waren die Senfgläser prädestiniert für ein zweites Leben als Trinkglas, sobald der Senf ausgelöffelt war. Einfach ausspülen und fertig. Nachhaltiger und preiswerter ging es kaum. Ich habe mich jedenfalls immer über sie gefreut, denn bei meiner Oma wurde in den Gläsern so viel Limo serviert, wie man wollte. Ende letzten Jahres war damit Schluss. Den Kundinnen und Kunden sei das Öffnen des Blechdeckels zu umständlich, teilte das Unternehmen mit. Stattdessen haben die Senfgläser jetzt einen schnöden Schraubverschluss. Limo kann man daraus nicht mehr trinken – schade! (fho)

MP3-Player 

Laut Angaben von Statista standen Nutzerinnen und Nutzern des Streamingdienstes Spotify im September 2022 über 80 Millionen Tracks zur Auswahl. Eine schier endlose Auswahl, Playlist folgt auf Playlist. Auf meinen allerersten MP3-Player passten ganze 21 Songs, je nachdem, wie lang die Stücke und wie groß die Dateien waren. Die Hälfte machten Rockmusik und Titel der 80er Jahre aus, denn das Gerät hatte ich von meinem Vater übernommen und einige Songs gleich mit. Sein Musikgeschmack prägt mich bis heute – ob das auch passiert wäre, wenn es damals schon die unendlichen Weiten von Spotify gegeben hätte? Manchmal fehlt es mir, das silberne, leicht abgenutzte Gerät, die sorgfältige Auswahl neuer Songs, das Abwägen – lieber noch ein bisschen Pop, oder doch lieber den Track von Saga behalten? So wurde jeder Song zu einem Highlight und ich kann noch heute jeden einzelnen davon auswendig mitsingen. (chy)

Schulmilch

Wenn ich mich an die Grundschulzeit zurückerinnere, denke ich zuallererst an Milch. Kleine Glasflaschen, die jeden Morgen in Kästen im Klassenraum stehen und darauf warten, von einer Horde Kinder leer getrunken zu werden. Vanille, Erdbeere und Kakao: Ich konnte mich damals gar nicht entscheiden, welche Geschmacksrichtung es werden soll. Kaum war der Strohhalm durch den dünnen Plastikdeckel gesteckt, schlürfte die Klasse um die Wette. Super lecker und super süß. Zu süß nach Meinung der Landesregierung und so gehören Kakao und Co. in den Grundschulen der Vergangenheit an. Für mich wird die Vanillemilch immer sinnbildlich für eine tolle Grundschulzeit stehen. (jpc)

Faltbare Landkarte

Ja, sie sind riesig und unpraktisch und einmal ausgeklappt lassen sie sich niemals wieder ohne Risse zusammen falten, aber die Karten sorgten zumindest dafür, dass die Menschen einen groben Überblick hatten, wo es hingehen soll. Statt immer sofort Google Maps anzuwerfen und wie die Lemminge dem blauen Pfeil zu folgen und dabei trotzdem nichts von der Umgebung wahrzunehmen, könnte man sich auch erstmal einen Überblick über die Stadt oder die Urlaubsroute verschaffen. Wo liegt welches Viertel? Welche Autobahn muss ich nehmen und in welche Richtung geht es? Vielen Menschen würde ein bisschen mehr Orientierung ganz ohne technische Hilfsmittel sehr gut tun. (twe)

SMS

„Ich schreib’ dir ne WhatsApp!“ – „Nee, ich bin doch bei Signal!“ „Klaus erreichst du jetzt bei Telegram“ – „Huch! Ist der jetzt ein Querdenker?“ „Können wir den Klassenchat bei Threema einrichten?“ – „Was ist das denn?“ Puh… mich strengt das an, dass ich bei so vielen Kontakten in meinem Telefon erst überlegen muss, über welchen Messenger-Kanal ich sie am besten erreiche. Gruppenchats kriege ich auch immer seltener hin, irgendeine boykottiert immer WhatsApp. Ging das nicht mal einfacher? Ich wünsche mir die klassische SMS zurück. Meinetwegen auch das mit dem Mehrfachdrücken für die einzelnen Buchstaben, dann stimmt das auch wieder mit der KURZnachricht. (jym)

MSN Messenger

Damals, in den Nullerjahren, war das Internet noch eine große Verheißung. Mit leuchtenden Augen sprach man davon, wie die digitale Welt uns alle klüger und demokratischer machen würde. Von Fake News und Shitstorms hatte man noch nie gehört und Donald Trump war nur ein windiger Geschäftsmann mit komischer Frisur. Ich war noch zu klein, um diese Euphorie nachvollziehen zu können, das Internet fand ich aber trotzdem toll. Vor allem wegen des MSN Messengers. Als es Facebook und Co. noch nicht gab, hockten sich meine Schulfreunde und ich nach der Schule an unsere klobigen PCs, um dort weiter miteinander zu schreiben: „Hi, was geht?“ „Nix, bei dir?“ „Auch nix.“ Es waren einfache Zeiten. Über den Messenger konnte man zusammen Spiele zocken, Fotos austauschen und die Person anschreiben, in die man verknallt war. MSN war ein Instant-Messenger. Das heißt: Man konnte nur mit Menschen schreiben, dessen Kontaktdaten man auch hatte. Es war so etwas wie der Vorläufer von WhatsApp, mit dem Unterschied, dass die Nachrichten aufhörten, sobald man den PC runtergefahren hatte – und wieder Ruhe herrschte. (fho)

Analog-Fotografie

In meinem Regal steht eine Box, in der noch alles liegt, was man braucht. Zwei, drei alte Farbfilme und einige schwarz-weiße mit unterschiedlicher Körnung und Lichtempfindlichkeit. Dazu ein montierbares Blitzgerät und vor allem: Meine Mamiya NC1000s, eine analoge Spiegelreflexkamera Baujahr 1978, die mir mein Vater zu Beginn meines Studiums in den Nullerjahren vermacht hat. Der vollständig manuell zu bedienende Fotoapparat war also damals schon Retro, aber die Bilder so schön und einzigartig, dass ich lange Zeit gar kein neueres Modell haben wollte. Bis heute denke ich sehnsüchtig an die Zeiten zurück, in denen ich mit der Mamiya durch Paris, Barcelona und vor allem natürlich Köln gestreift bin. Ein Foto war eine sehr bewusste Entscheidung, erst Verschlusszeit und Blende wählen, dann das Motiv scharfstellen. Bis zu 36 Fotos hatte ein Film in der Regel und wie die aussehen würden, blieb trotz Übung immer eine Überraschung. Zur Entwicklung bei Foto Gregor gab es dann bei Abholung stets einen netten Plausch und Praxistipps dazu. Als ich neulich mit meinem Smartphone im Drogeriemarkt am Fotodrucker stand, dachte ich: Zeit, die analoge Mamiya wieder aus der Box zu holen. Auch, weil es viel mehr Spaß gemacht hat, so zu fotografieren. (eul)

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