Mangel bekämpfenBranchen im Kreis Euskirchen begrüßen Fachkräfte-Anwerbung im Ausland

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Ein Zettel mit der Aufschrift „Aushilfe für Küche/Verkauf gesucht“ hängt an der Scheibe einer Konditorei.

Es fehlt an allen Ecken und Enden an Mitarbeitenden – und das nicht nur in der Gastronomie.

Akteure aus Pflege, Handwerk und Gastronomie im Kreis Euskirchen begrüßen die von Landrat Markus Ramers geplante Anwerbung von Fachkräften.

Das Jahr 2023 will Landrat Markus Ramers dem Kampf gegen den Fachkräftemangel widmen. In Kooperation mit einer Agentur will der Kreis Kräfte im Ausland anwerben. Der Kreistag hat bereits die Einrichtung einer Koordinierungsstelle beschlossen. Und was sagen die   Akteure? Ein Stimmungsbild:

Kliniken wollen sich der Initiative von Landrat Markus Ramers anschließen

„Die Anwerbung von ausländischen Fachkräften sehen wir als einen wichtigen Schritt an, der Chancen für eine Verbesserung und Stabilisierung der Personalsituation eröffnet“, sagt Jennifer Linke, Sprecherin der Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH mit den beiden Häusern in Mechernich und Schleiden: „Daher unterstützen wir das Vorhaben von Herrn Landrat Markus Ramers voll und ganz und beteiligen uns gerne.“ Wichtig sei es aber auch, die bürokratischen Prozesse bei der Anerkennung von ausländischen Fachkräften zu verkürzen.

Darauf weist auch Andreas Schultz, Geschäftsführer der Stiftung Marien-Hospital in Euskirchen , hin.   „Eine Anwerbung aus dem Ausland ist sicher eine Möglichkeit, die man ergreifen kann und auch ergreifen sollte“, sagt Schultz. Sie könne aber nur ein „Puzzlestück“ sein und wirke eher mittel- und langfristig. Denn es brauche bis zu zwei Jahre, bevor die im Herkunftsland erworbenen Qualifikationen in Deutschland ausgebaut und anerkannt werden. Zuweilen gebe es Sprachprobleme, kulturelle Unterschiede, Heimweh, womöglich auch Traumata bei den Menschen, die zugewandert sind, so Schultz: „Das sind Aspekte, die immer mitbedacht werden müssen.“

Das Marien-Hospital selbst werbe (noch) keine Kräfte aus dem Ausland an: „Da würden wir uns aber der Initiative des Kreises anschließen.“ In der Region strecke die Stiftung Marien-Hospital verstärkt die Fühler aus. „Wir versuchen, uns bei der Rekrutierung ständig zu optimieren“, sagt Schultz. Die Pflegefachschule im Haus sei dabei eine große Hilfe. „Wir haben dort viele Leute, die nach der Ausbildung bleiben wollen“, so Schultz. Die hätten natürlich gute Chancen.

Der Fachkräftemangel ist in den Krankenhäusern spürbar

Beide Krankenhausbetreiber bekommen den Fachkräftemangel zu spüren. „Wie viele Unternehmen im Kreisgebiet ist auch der Gesundheitsverbund Kreiskrankenhaus Mechernich GmbH von einem stärker werdenden und berufsgruppenübergreifenden Fachkräftemangel betroffen“, erklärt Jennifer Linke. „Jedoch war es uns bislang immer möglich, die vorgegebenen Personaluntergrenzen für pflegesensitive Bereiche einzuhalten. Zurzeit liegen wir sogar klar darüber und können eine sehr stabile Besetzung vorweisen.“

Auch im Marien-Hospital seien bislang keine Stationen geschlossen worden. Doch es gebe schonmal akute Engpässe, etwa in den Bereichen OP, Intensiv und bei den Hebammen.

In der Altenpflege wird „die Luft dünner“

„Wir merken, dass die Luft dünner wird“, sagt Malte Duisberg. Noch seien alle Stellen bei der Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim Gemünd besetzt, deren Geschäftsführer Duisberg ist. Doch viele Mitarbeiter gingen bald in den Ruhestand und die Zahl der Pflegebedürftigen steige. „Die Schere geht immer weiter auseinander“, so Duisberg. Zurzeit würden acht Mitarbeitende ausgebildet, es könnten aber ruhig mehr sein. Bewerbungen seien jederzeit willkommen.

Er begrüße das Vorhaben des Kreises, denn mit den Menschen, die in der Region lebten, werde der Bedarf sowohl an Pflegefachkräften als auch an Pflegehelfern nicht zu decken sein. „Wir müssen alles ausprobieren“, sagt Duisberg. Besonders gefalle ihm, dass der Kreis mit einer Agentur arbeiten wolle: „Die hat Expertise, die weiß, worauf es ankommt.“

Die Menschen bräuchten Betreuung, Sprachkurse und Wohnraum, so Duisberg: „Es muss uns ja auch gelingen, die Menschen hier zu integrieren, ihnen das Leben hier schmackhaft zu machen.“ Seine Erfahrungen mit zugewanderten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie Geflüchteten, die im Haus ausgebildet wurden, seien positiv. „Die alten Menschen reagieren eigentlich immer entspannt“, sagt der Geschäftsführer: „Wenn der Mensch das Herz am rechten Fleck hat, ist es ganz egal, woher er kommt.“

Energiewende gerät auch durch Materialengpässe ins Stocken

„Wie sollen wir die Energiewende schaffen ohne Handwerker, die Photovoltaikanlagen auf das Dach montieren?“, hatte Ramers rhetorisch  gefragt. Es fehle in der Tat an Fachkräften, sagt Oliver Oepen, Inhaber des gleichnamigen Unternehmens in Euskirchen für Photovoltaik und Elektrotechnik, auch wenn er derzeit nicht über mangelnde Azubibewerbungen klagen könne.

Oepen begrüßt das Vorhaben, Kräfte im Ausland anzuwerben. „Wichtig ist aber, dass sie schnell die deutsche Sprache lernen“, sagt der Chef von 54 Mitarbeitern: „Damit ich mit ihnen eine Gefährdungsanalyse auf der Baustelle machen kann.“ Es bringe ja nichts, wenn ihm zugewanderte Mitarbeiter zur Verfügung stünden, um etwa PV-Anlagen aufs Dach zu bauen, die aber die notwendigen Vorschriften nicht verstünden.

Doch der Fachkräftemangel sei nicht die einzige Ursache, die die Energiewende ins Stocken geraten lässt. Bürokratie und Lieferengpässe seien mindestens ebenso hindernde Faktoren, sagt Oepen: „Von der kleinen Schraube bis zum Batteriespeichermodul fehlt es an allen Ecken und Enden. Wir brauchen natürlich auch das Material, mit dem die Menschen arbeiten können.“

In der Gastronomie herrschen hohe Nachfrage und Personalnot

Betriebe, die nach Pandemie und Flut nicht mehr aufgemacht haben oder wegen fehlenden Personals das Angebot an Speisen beziehungsweise die Öffnungszeiten reduzierten, das alles kennt Patrick Rothkopf. Er ist Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Nordrhein und dessen Kreisvorsitzender. Dabei sei die Nachfrage aufgrund des Nachholbedarfs ziemlich hoch – sowohl in Restaurants als auch in Hotels. Eine Reihe von Mitarbeitern sei aber nach den Corona-Schließungen nicht mehr zurückgekehrt. Vielen Betrieben fehle es an Köchen, Service- oder Hilfskräften. In seiner Funktionärstätigkeit arbeite er an Konzepten, wie Rentner oder Menschen mit Behinderung (Inklusion) eingebunden werden könnten.

„Wir werden aber um eine Fachkräfteeinwanderung, auch aus Nicht-EU-Ländern, in den nächsten Jahren nicht herumkommen“, begrüßt Rothkopf die Initiative des Kreises: „Das ist die einzige Chance, die wir haben.“ In der Gastronomie seien Menschen aus anderen Ländern schon immer eine Bereicherung, was die Vielfalt der Speisen angehe. „Das Wort von der bunten Branche ist kein Lippenbekenntnis“, sagt Rothkopf, „es ist Realität.“


Es geht um mehr als Geld

Bereits seit Jahren entwickele die Kreiskrankenhaus GmbH Lösungen, um das Pflegepersonal langfristig zu entlasten, etwa durch vermehrten Einsatz von medizischen Fachangestellten und Versorgungsassistenten auf Stationen, Servicekräften für Transportdienste, und fortschreitende Digitalisierungsmaßnahmen, erklärt Sprecherin Jennifer Linke. Bewährt habe sich der Einsatz von Mitarbeitenden im Flexpool. „Wir haben frühzeitig erkannt, dass unsere Pflegekräfte ein starkes Bedürfnis nach Flexibilität in ihrem Dienstplan haben und dieser sich nach dem persönlichen Lebensmodell richten sollte. Die Arbeitszeiten können im Flexpool individuell festgelegt werden. Mit dem forcierten Ausbau dieses Flexpools verfolgen wir das Ziel: frei bleibt frei, ohne Einspringen. Wenn diese Basis gegeben ist, erhöht sich die Zufriedenheit enorm“, erklärt Geschäftsführer Thorsten Schütze.

Die Bezahlung der Pflegekräfte, so der Geschäftsführer der Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim Gemünd, Malte Duisberg, habe sich deutlich verbessert – im Gegensatz zum Stellenschlüssel. Der sei schon Jahrzehnte alt, während die Anforderungen weiter gestiegen seien. „Unsere Mitarbeitenden sagen mir: Ich bräuchte zwei Hände mehr, die mit mir arbeiten“, so Duisberg. Wenn er mehr Leute einstellen könnte, wäre es zwar schwierig, diese zu finden. Aber die Arbeit wäre einfacher, die Freizeit würde nicht durch plötzliche Vertretungsdienste gestört. „Das würde den Beruf für viele interessanter machen.“

Alle müssten daran arbeiten, die Bedingungen zu verbessern: „Dieser Beruf, mit Menschen zu arbeiten, hat so viel schönes.“ „Geld ist natürlich immer ein Thema, aber es geht auch ums Drumherum“, sagt Andreas Schultz, Geschäftsführer der Stiftung Marien-Hospital. Und meint damit Wertschätzung, Zufriedenheit mit der Arbeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und auch die Arbeitszeiten, sofern möglich: „Wir haben aber 365 Tage im Jahr 24 Stunden geöffnet.“ (sch)

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