Wer betreut die Kinder?Der Kita-Ausbau im Kreis Euskirchen läuft gut, aber Personal fehlt

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Man sieht ein großes Transparent an einem Zaun hängen, auf ihm steht „Erzieher*in gesucht“.

Symbolbild

Bald müssten laut den Kitas im Kreis Euskirchen Aktivitäten wie Feste oder Basteln eingestellt werden. Grund ist der Fachkräftemangel.

Beim Kita-Alltag müsse abgespeckt werden, steht in dem Schreiben eines Betreibers an die Eltern. Zeitintensive Extras wie große Feste, das Monatsbacken oder das Basteln von Muttertagsgeschenken seien möglicherweise nicht mehr zu stemmen. Der Grund: Personalmangel. Zwei Mitarbeiterinnen stünden nicht mehr zur Verfügung, Ersatz sei schwer zu finden. Eine Stelle sei seit längerem unbesetzt. Sowas komme immer öfters vor, berichten Eltern.

Ich befürchte, dass man sich landesweit Gedanken machen wird, inwieweit der Abbau von Standards erfolgen muss
Rolf Klöcker, DRK-Geschäftsführer

Während der Ausbau des Kita-Angebots im Kreis voranschreitet, vielerorts neue Gruppen entstehen, wird es für die Betreiber immer schwieriger, Erzieherinnen oder Erzieher zu finden. Dabei hatten sich Kita-Träger und Jugendamt im Kreis gerade auf einheitliche Qualitätsstandards verständigt, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. „Ich befürchte aber“, sagt DRK-Geschäftsführer Rolf Klöcker, „dass man sich landesweit in näherer Zukunft Gedanken machen wird, inwieweit aufgrund des rasant zunehmenden Fachkräftemangels nicht mehr Qualitätssteigerungen, sondern vielmehr der Abbau von Standards erfolgen muss.“

Kaum Bewerbungen auf Kita-Stellen im Kreis Euskirchen

Wie Klöcker kann sich auch Elke Baum noch an Stapel von Bewerbungen erinnern. „Die Zeiten sind vorbei“, sagt Baum, die bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) unter anderem für die Kitas in Mechernich zuständig ist.

Das Deutsche Rote Kreuz hat Klöcker zufolge in seinen 34 Kitas mit 90 Gruppen wegen Personalmangels zwar noch keine Gruppen schließen oder die Betreuungszeiten reduzieren müssen. Doch er schickt dieser Aussage ein flehendes „Toi, Toi, Toi“ hinterher. Noch sei es gelungen, die fünf neuen Kitas mit insgesamt zwölf neuen Gruppen, die in den vergangenen Jahren entstanden seien, mit ausreichend Personal zu versehen und rund 50 weitere Fach- und Ergänzungskräfte zu gewinnen.

Fachkräftemangel auch auf Bewerbungsmarkt spürbar

Es werde aber zunehmend schwieriger. Klöcker berichtet, dass ihm nicht mehr wie früher wöchentlich rund zehn Initiativbewerbungen ins Haus flattern und das DRK auswählen konnte. „Vielmehr bekomme ich heute nur dann Bewerbungen rein, wenn eine Stelle konkret ausgeschrieben ist“, sagt er. Die Bewerberin oder der Bewerber werde dann in der Regel auch zeitnah eingestellt. Der Fachkräftemangel werde immer stärker spürbar, sagt auch Elke Baum – vor allem, wenn Kolleginnen wegen Schwangerschaft oder Krankheit ausfielen, werde es schon mal eng. Das mache es nicht einfacher, wenn etwa mit einem Neubau einer Kita in Firmenich, deren Fertigstellung für 2024 vorgesehen ist, das Awo-Angebot dort um eine auf acht Gruppen erweitert werde. „Wir sind zwar zuversichtlich, dass wir die Stellen besetzen können“, sagt Elke Baum. 100-prozentig könne das aber niemand sagen: „Vielleicht müssen wir da auch eine gewisse Zeit überbrücken.“


Sofortprogramm des Landes

  • Mit dem „Sofortprogramm Kita“ will die schwarz-grüne NRW-Landesregierung dem Fachkräftemangel im Kita-Bereich entgegenwirken. „Dies wird nur ein erster Schritt sein“, so MdL Klaus Voussem (CDU). Zurzeit gebe es in NRW rund 10 500 aus Bundesmitteln geförderte Plätze im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), erklärt Familienministerin Josefine Paul (Grüne). Kitas seien schon heute klassische Einsatzorte für junge Menschen im FSJ.
  • Die Landesregierung beabsichtigt, das Kita-FSJ noch stärker zu forcieren, damit junge Menschen, die das FSJ im Bereich der Kindertagesbetreuung absolvieren möchten, auch den Weg in die Kitas finden“, so Paul. Dadurch sollten mehr junge Menschen für den Bereich der frühkindlichen Bildung gewonnen werden. Zudem erleichtere das Land den Quereinstieg, um Studierende aus pädagogischen Fachrichtungen für die Kindertagesbetreuung zu motivieren. Darüber hinaus sollen weitere Berufsgruppen (aus Psychologie sowie Sport-, Kunst- oder Medienpädagogik) für den Einsatz in den Kitas zugelassen werden.
  • Für SPD-Kreischef Thilo Waasem ist das Programm ein „Akt purer Verzweiflung“. Natürlich seien FJSler und Quereinsteiger „besser als gar keine Mitarbeiterinnen in den Kitas, aber wir wollen doch qualifizierte Kräfte für die Kinder“. (sch)

Etwa eine Bewerbung auf zwei bis drei Stellen, so Baum, gebe es derzeit, was aber nicht so schlimm sei, wie es klinge. Denn die Awo richte immer mehr Stellen ein, als vom Kinderbildungsgesetz (KiBiz) vorlangt werde.

Beim DRK im Kreis stehen in den nächsten zwei Jahren die Neubauten von fünf neuen Kitas in Blankenheim (fünf Gruppen), Schleiden-Olef (fünf) und Schleiden-Oberhausen (eine) an. Im Bad Münstereifeler Ortsteil Nöthen wird für eine und in Nettersheim-Engelgau für zwei Gruppen angebaut. „Trotz all der arbeitnehmerfreundlichen Rahmenbedingungen und der Zahlung eines attraktiven Gehalts wird es zukünftig auch für uns eine große Herausforderung werden, für diese zusätzlichen Einrichtungen geeignetes Personal zu finden, weil die Fachkräfte in dieser Anzahl einfach nicht mehr da sind.“

Kreative Ideen zur Personalakquise

Das Problem trifft kommunale wie freie Träger gleichermaßen, wie Tim Nolden, Pressesprecher der Stadt Euskirchen, sagt, „wenngleich es derzeit noch gelingt, die erforderlichen Pflichtstunden zu besetzen“. Die Kreisstadt betreibt 22 Einrichtungen.

Klar ist aber auch: Die Bewerberinnen können ganz anders auftreten, was Einsatzort oder Arbeitszeiten angeht. „Es ist jetzt so, dass die Bewerberinnen sich die Stellen aussuchen können“, stellt Elke Baum fest. Da könne es auch schon mal vorkommen, dass man erst nach einiger Zeit merkt, dass es nicht passt und man sich trenne.

Um Personal zu finden oder zu halten, lassen sich die Träger einiges einfallen. Es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Wahl des Standorts. Das DRK offeriert laut Klöcker regelmäßige Elternzeitverlängerungen und Gesundheitsangebote, einige sogar während der Arbeitszeit.

„Es geht uns darum, Mitarbeiter zu stärken und sie und die Arbeit, die sie leisten, wertzuschätzen“, erläutert er. Flexible Arbeitszeiten sind inzwischen Standard, wenn auch nicht um jeden Preis. Die Betreuung der Kinder müsse im fraglichen Zeitraum gewährleistet sein, betonen die Kita-Träger.

Könnte auch Zuwanderung helfen? Klöcker sieht mittel- und langfristig keine andere Möglichkeit, „mit all den Schwierigkeiten, die beispielsweise hinsichtlich der Beherrschung der deutschen Sprache damit verbunden sind“. Bei der Awo ist das noch kein Thema. „Darüber haben wir noch nicht nachgedacht“, sagt Elke Baum: „Der- oder diejenige muss natürlich die deutsche Sprache können, sonst kann man ja nicht mit Kindern arbeiten.“

Die Awo setze darauf, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen der Qualifikationen für die Arbeit in den Kitas zu gewinnen. Ausbildung, das betonen beide , sei natürlich das A und O. „Wer nicht selber ausbildet, darf sich meiner Meinung nach nicht wundern, dass er keine Fachkräfte bekommt“, betont Klöcker: „Auch über die Erhöhung der Ausbildungskapazitäten an den Fachschulen für Sozialpädagogik muss nachgedacht werden.“

Er wisse aber auch, dass das nicht so einfach sei. Es fehle ja nicht nur an angehenden Erzieherinnen und Erziehern, sondern auch an deren Lehrerinnen und Lehrern.


„Nachfrage nicht über Preis regeln“

  • Wenn es schon zu wenig Personal für die Kitas gibt, wie sinnvoll ist es dann, ein weiteres Jahr beitragsfrei für die Eltern einzuführen? Der CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Voussem erinnert daran, dass sich CDU und Grüne im Koalitionsvertrag darauf geeinigt haben, ein drittes Kita-Jahr beitragsfrei zu gestalten. Und dabei soll es auch bleiben, versichert Voussem: „Auch wenn uns ein Krieg dazwischen gekommen ist.“
  • Die dadurch entstandenen finanziellen Aufwendungen für Hilfen für Private und Unternehmen hätten das bisher verhindert, aber er gehe davon aus, dass der entsprechende Beschluss in den kommenden Jahren gefasst wird. „Ich halte nichts davon, die Nachfrage über den Preis zu regeln“, so Voussem. Frühkindliche Bildung sei dafür viel zu wichtig. Auch mit Blick auf die starke Zuwanderung müsse alles getan werden, um Kinder zu integrieren und sprachlich fit für die Grundschule zu machen.
  • Darin ist sich Voussem mit SPD-Kreischef Thilo Waasem einig. „Über den Preis zu regeln, dass man es unattraktiv macht, sein Kind anzumelden, davon halte ich gar nichts“, stellt Waasem fest. Seine Partei fordert viel mehr, schon ab Sommer 2023 ein drittes Jahr im Kreis beitragsfrei zu gestalten. Die 500 000 Euro, die das den Kreis kosten würde, wären laut Waasem gut investiert. (sch)
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